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Prozess gegen Wiesenhof-SchlachtereiZähe Schlacht ums Recht

Das Verfahren um mutmaßlich illegale Leiharbeit bei der Wiesenhof-Tochter Geestland könnte bald enden. Ob die Verantwortlichen verurteilt werden, ist ungewiss.

Kein Traumjob und auch noch mies bezahlt: Putenzerlegen in Akkordarbeit Foto: dpa

Oldenburg taz | In dem Prozess um illegale Leiharbeit bei dem zum Wiesenhof-Konzern gehörenden Putenschlachtbetrieb Geestland zeichnet sich eine Tendenz ab: Der Vorsitzende Richter Ralf Busch gab gestern eine Zwischeneinschätzung zum bisherigen Prozessverlauf ab. Demnach bewertet das Gericht, dass das Vorliegen von sogenanntem „groben Eigennutz“ bei den beiden Angeklagten Norbert D. und Frank D. „schwer zu beweisen“ sei.

Die „zähe Beweisaufnahme“, so der Vorsitzende Richter weiter, mache „den Tatnachweis schwierig“. Was nach einem eher unspektakulären Nebenkriegsschauplatz klingt, hätte für die Angeklagten erfreuliche Folgen: Denn das Vorliegen von „grobem Eigennutz“ macht aus dem Tatbestand des Vorenthaltens von Arbeitnehmerleistungen einen besonders schweren Fall mit entsprechend höherem Strafmaß und daraus folgend längeren Verjährungsfristen.

Erkennt das Gericht aber nicht auf „groben Eigennutz“, könnte das dazu führen, dass die den Angeklagten zur Last gelegten Taten verjährt sind. Sie würden dann nicht bestraft. Während die Anklage für Norbert D. bislang wenig Folgen gehabt hat – er ist nach wie vor Geschäftsführer der Geestland –, ist der wegen Beihilfe angeklagte frühere Wiesenhof-Prokurist und Geschäftsführer der Personalvermittlungsfirma ZVS Frank D. derzeit arbeitslos.

Für die Firma Geestland wiederum könnte das Ganze trotzdem teuer werden: Erkennt das Gericht an, dass bei der Beschäftigung der bulgarischen ArbeiterInnen keine Werkverträge, sondern illegale Leiharbeit vorgelegen hat, kann der Staat die ihm vorenthaltenen Sozialabgaben trotzdem eintreiben – auch wenn die Verantwortlichen aufgrund der Verjährungsfrist nicht mehr belangt werden können. Dann müsste Geestland die rund zehn Millionen Euro Sozialabgaben, von denen in der Anklage die Rede ist, trotzdem nachzahlen.

Der lange Atem der Justiz

2010: Im Rahmen von Ermittlungen gegen den Werder-Sponsor und Fleischproduzenten Wiesenhof durchsucht der Zoll die Räume der zum selben Konzern gehörenden Geestland Putenspezialitäten in Wildeshausen.

2012: Die Staatsanwaltschaft Oldenburg erhebt Anklage gegen den Geschäftsführer der Geestland Norbert D. und den Ex-Wiesenhof-Prokuristen und Geschäftsführer einer Personalvermittlungsfirma Frank D. Der Vorwurf: Die illegale Beschäftigung von 800 bulgarischen ArbeiterInnen im Rahmen von Scheinwerkverträgen. Es geht um vorenthaltene Sozialabgaben von rund zehn Millionen Euro.

Jahrelang passiert nichts, ein Sprecher des Oldenburger Landgerichts spricht von „Überlastung der Kammern“.

August 2017: Der Prozess wird vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Oldenburger Landgerichts eröffnet.

Ende Oktober 2017 könnte schließlich das Urteil fallen.

Dass die Nachweise für illegale Leiharbeit in jedem Fall schwer zu führen sind, belegt die in der Tat zähe Beweisaufnahme. Zuletzt bezweifelten die Anwälte von Norbert D. die Aussagekraft der vom Zoll ermittelten Arbeitszeitdaten. Insgesamt dreimal musste der vor knapp zehn Jahren für die Auswertung zuständige Zollinspektor anrücken, um seine Rechenwege zu erklären und Fragen zu beantworten. Die Argumentation der Anwälte: Da der Zoll bei seiner Durchsuchung nicht in den Produktionshallen war, sondern nur in den Büroräumen Unterlagen und Personaldatenbanken gesichert hat, könne man von den ausgewerteten Daten nicht auf die tatsächlichen Gegebenheiten schließen.

Im Kern dreht sich alles um die Frage, ob die bulgarischen ArbeiterInnen, die nominell bei bulgarischen Firmen angestellt und per Werkvertrag für die Firma Geestland tätig waren, direkt unter Geestland-Beschäftigten gearbeitet haben oder nicht. Denn sobald eine „Vermischung“ der Belegschaften stattgefunden hätte und die bulgarischen ArbeiterInnen auch noch Geestland-MitarbeiterInnen gegenüber weisungsgebunden gewesen wären, handelte es sich nicht mehr um einen Werkvertrag – und damit um illegale Leiharbeit.

Momentan sieht es trotz der schwierigen Beweislage allerdings so aus, als wäre der Prozess bald zu Ende – die ZeugInnen sind alle vernommen worden, die Zahlen vom Zoll liegen auf dem Tisch. Möglicherweise können die Anwälte der beiden Angeklagten schon am Mittwoch, dem 27. Oktober, ihre Plädoyers halten – die Urteilsverkündung wird dann für Mitte Oktober erwartet.

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