piwik no script img

VfB nach Kapitän Gentners VerletzungDie alles überschattende 84. Minute

Kommentar von Tobias Schächter

Die unglückliche Verletzung von Christian Gentner ließ den 1:0-Heimerfolg der Stuttgarter über den schwachen VfL Wolfsburg zweitrangig erscheinen.

Sieht harmlos aus, war es aber nicht: Torwart Casteels springt mit dem Knie in VfB-Spieler Gentner Foto: imago/Sportfoto Rudel

D ie Diagnose kam noch am Samstagabend und war so niederschmetternd wie erwartet: Gehirnerschütterung, Brüche des Nasenbeins, des Oberkiefers und eines unteren seitlichen Augenhöhlenbodens – Christian Gentner wird in den nächsten Tagen operiert. Die schlimme Verletzung des Kapitäns drückte die Stimmung beim VfB Stuttgart nach dem 1:0-Heimsieg gegen den VfL Wolfsburg.

Wäre nur diese unselige 84. Minute nicht gewesen. „Die überschattet alles heute“, begann VfB-Trainer Hannes Wolf seine Analyse des verdienten Erfolgs. Wolfsburgs Torwart Koen Casteels kam in jener Szene weit aus seinem Tor herausgelaufen, um den Ball aus dem Strafraum zu fausten – und traf beim Hochspringen mit seinem Knie Gentner voll im Gesicht. „Ich schaue nach dem Ball und fauste ihn weg und genau in dem Moment treffe ich auch Gentner“, schilderte Casteels hinterher betroffen die Szene.

Wolf wollte dem Belgier keine Absicht unterstellen. Das aber tat der TV-Experte und ehemalige Schiedsrichter Markus Merk, der die Aktion als Foul einstufte und Platzverweis für den schon mit Gelb vorbelasteten Casteels forderte. Warum Video-Schiedsrichter Deniz Aytekin nicht eingegriffen habe, sei ihm rätselhaft, meinte Merk.

Casteels Absicht zu unterstellen, ist aber nicht haltbar. Dass Casteels’ Knie Gentner traf, ist ein bedauerlicher Unfall. „Wenn das Foul ist, muss man die ganze Jugendausbildung umstellen, ab fünf, sechs Jahren“, meinte Casteels, sein Gegenüber Ron-Robert Zieler pflichtete ihm bei.

Gentner hatte nach dieser Aktion kurz das Bewusstsein verloren, und war erst nach „dramatischen Minuten“ (Wolf) wieder ansprechbar. VfB-Sportvorstand Michael Reschke erzählte, VfB-Mannschaftsarzt Dr. Raymond Best habe dem ausgeknockten Mittelfeldspieler schnell die Zunge herausgeholt. Bitter sei das alles auch, weil der 32-Jährige gerade in „einer hervorragenden Verfassung“ gewesen sei, klagte Reschke.

Nicht nur schlechtes Wetter

Es war tatsächlich bitter für den VfB, der nach zwei Auswärtsniederlagen den zweiten 1:0-Heimsieg einfuhr, dass die Verletzung des Routiniers die Stimmung dämpfte. Die Stimmung in der Kabine sei gedrückt gewesen, erzählte Andreas Beck. Der Rückkehrer und ehemalige Hoffenheimer hatte nach seinem späten Wechsel von Beşik­taş Istanbul ein gutes Heimdebüt auf der rechten Außenbahn geliefert.

Der Erfolg und die mutige Leistung des Aufsteigers boten Anlass zur Hoffnung, dass der VfB mit nun sechs Punkten in der Bundesliga konkurrenzfähig sein kann. Besonders der argentinische Neuzugang Santiago Ascacibar, 20, dominierte neben Gentner im zentralen Mittelfeld mit dynamischen Antritten, klugen Pässen und aggressiven Balleroberungen. Der argentinische U20-Nationalspieler spielte wie ein Versprechen auf eine große Zukunft. Der VfB hatte das beidfüßige Großtalent jüngst für ein Paket über insgesamt rund acht Millionen Euro Ablösesumme von Estudiantes de la Plata über den Atlantik gelotst. Wenn nicht alles täuscht, ist das Potenzial der Wertsteigerung, das in diesem Spieler schlummert, ziemlich groß. „Es hat richtig Spaß gemacht, ihm zuzuschauen, der ist ja wie eine Nähmaschine über den Platz gerannt“, freute sich Sportvorstand Reschke.

Auch die Defensivachse von Torwart Ron-Robert Zieler über den sehr starken französischen U21-Nationalspieler Benjamin Pavard im Zentrum der Dreierkette und dem dominanten Ascacibar im Mittelfeld. Wolfsburg blieb nahezu chancenlos.

Der VfL konnte nach der vermaledeiten letzten Saison nicht andeuten, warum es in der aktuellen besser laufen sollte. Im Angriff konnte der junge Belgier Landry Dimata den verletzten Mario Gomez nicht ersetzen. Insgesamt fehlte der Elf von Trainer Andries Jonker jener Schwung, der den VfB auszeichnete. Wolfsburgs Sportdirektor Olaf Rebbe ätzte: „Wir haben nicht nur ganz schlechtes Wetter erlebt, sondern auch einen ganz schlechten VfL.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!