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Am Ende fand sie zur Herzfarbe

Kunst An Barbara Jedermanns Webereien kann man ein halbes Jahrhundert Kunst- und Gesellschaftsgeschichte ablesen. In einer Galerie in Wannsee sind ihre letzten Werke zu sehen: Kurz vor Eröffnung der Ausstellung ist die Künstlerin 98-jährig gestorben

Eines ihrer letzten Werke: Markt (2013) Foto: Galerie Mutter Fourage

von Waltraud Schwab

Das wollte Barbara Jedermann noch erleben: diese Ausstellung. Aquarelle und Bildwebereien aus ihren letzten 25 Jahren werden gezeigt; am vergangenen Sonntag wurde sie in der Galerie Mutter Fourage eröffnet. „Sie wusste, es ist ihre letzte Ausstellung“, eine 98-Jährige mache sich keine Illusionen, sagt ihre Tochter Katja Jedermann. Aber dann starb die Mutter bald nach einem Sturz am 14. August. Immerhin: „Die Einladungskarte hat sie noch gesehen.“

Darauf ist ein Foto von Barbara Jedermann, auf dem die Künstlerin vor einem Webteppich sitzt. Eine Meereslandschaft, blau, blau in allen Schattierungen. Sie selbst ist blau angezogen auf dem Bild, um sie herum Woll- und Garnreste in Blau.

Das Foto steht für das lange, arbeitsame, bewegte Leben von Barbara Jedermann. Ein Ist-Bild ist es. Nun aber ist es ein Erinnerungsfoto: Es zeigt, wie sie war. Wie genau war sie denn? „Das Schöne hat sie gesucht“, sagt die Tochter, „und sie hat nie aufgegeben.“

Barbara Jedermann malte mit Wolle und Stoffen. Wenn sie meinte, die Farbe eines Pullovers, den sie gerade trug, für ihre Arbeiten zu brauchen, hat sie ihn zerschnitten und verwebt. Es gelang ihr mit ihrer Technik, fließende Farbübergänge zu erreichen und das hingeworfene Farbspiel, das Aquarelle haben, in die Weberei einzubinden. Die Unregelmäßigkeit des Materials gibt den Teppichen zudem eine reliefartige Struktur. Das Aquarellhafte ihrer Gobelins ist kein Zufall. Die Künstlerin malte viel mit den wasserlöslichen Farben. Landschaften, Gartenszenen, Porträts. Gefiel ihr ein Aquarell, vergrößerte sie es und hängte die Vorlage hinter den Rahmen, an dem sie ihre Wandteppiche machte.

Vor einem halben Jahrhundert hat Jedermann mit der Weberei angefangen. Zuerst hat sie Bilder ihres Mannes, des Künstlers Gerd Jedermann, umgesetzt. Zaghaft Abstraktes malte er, wie es viele Künstler nach der Nazizeit machten, als sie versuchten, die Kunstentwicklung der verlorenen Jahre nachzuholen.

„Die Neugier blieb bis zuletzt“, sagt die Tochter. „Nur die Kraft versiegte“

Dann fing sie an, ihre eigenen Bilder zu weben. Einfache Formen zuerst, nebeneinander gesetzt. „Rot auf blauem Grund“ heißen solche Webbilder dann. Die Kanten der Farbflächen sind noch scharf voneinander getrennt.

Barbara Jedermann hatte ihren Mann 1939 kennengelernt, da war sie 20. Der sieben Jahre ältere Mann musste als Soldat Landkarten zeichnen. Sie, eine Halbjüdin, konnte 1943 noch ihre Ausbildung an der Meisterschule für Grafik und Buchgewerbe in Berlin abschließen, aber im Januar 1944 wurden sie und ihre Schwester zur Zwangsarbeit verpflichtet. „Wir mussten Trümmer wegräumen.“ Ein gefährlicher Job.

„Geht doch den Russen entgegen“, riet jemand den beiden. Das machten sie. Sie zogen Richtung Osten. Die Gerüchte über Vergewaltigungen ließen sie am Ende aber umkehren. Über Irrwege tauchten sie bei Freunden auf dem Land unter. „Ich habe die Landarbeit gern gemacht“, sagte Jedermann einmal.

Sie habe immer versucht, das Beste aus einer Situation herauszuholen, sagt ihre Tochter. Nur die zwölf Jahre Faschismus konnte sie nicht vergeben. Ihr nichtjüdischer Vater war 1934 gestorben. Nach seinem Tod war niemand mehr da, der die jüdische Mutter in Königsberg hätte schützten können. Freunde aus Berlin holten sie zu sich. Von hier wurde sie 1944 nach Theresienstadt deportiert. Als endlich eine Postkarte die Töchter erreichte, stand darauf: „Liebes Zwiebelchen, liebes Brötchen, mir geht es gut.“ Soll heißen: Schickt Zwiebeln, schickt Brot. Die Mutter überlebte das KZ. Was sie dort erlebt hatte, erzählte sie ihren Töchtern nicht. 1974 starb sie.

An Barbara Jedermanns Webereien kann man ein halbes Jahrhundert Kunst- und Gesellschaftsgeschichte ablesen. Als sie Bilder ihres Mannes kopierte, replizierte sie noch klassische Familienkonstellationen. In den 70er Jahren wird sie politisch und macht farbige Bildteppiche im Stil der naiven Malerei. Darauf verkündet sie nun klare politische Forderungen – gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Atomkraft nein danke, Lohn für Hausarbeit. Und Anfang der 80er Jahre, als gegen die Statio­nierung von Atomwaffen protestiert wird, geht sie mit dem Webrahmen auf die Straße und macht im Stil der „social art“ mit Passanten zusammen Friedensteppiche.

Sie hat das Schöne gesucht und nie aufgegeben: Barbara Jedermann in ihrem Atelier Foto: Mirko Zander

In der Zeit aber, als ihr Mann krank und schwach wurde, vertieft sie sich in Landschaftsbilder. Als er 1999 stirbt, webt die damals 80-Jährige den Schmerz in die Teppiche. Dann geht sie auf Reisen. Dreimal fährt sie nach Korea zu Freunden. Sie reist nach Tunesien, Süditalien, Kreta – malt Aquarelle mit Straßenszenen und Wüstenlandschaften; einige Motive tauchen in Wandteppichen wieder auf.

Als sie schon hochbetagt war, passierte noch etwas: die Farbe Rot wurde dominanter. „Da findet eine im hohen Alter zur Herzfarbe – nicht zu den Abschiedsfarben Grau, Braun und Schwarz“, meinte eine Bewundererin ihrer Teppiche. Barbara Jedermann sagte es anders: „Solange man neugierig ist, solange man was lernen will, ist man frisch trotz des Alters.“

„Die Neugier blieb bis zuletzt“, sagt die Tochter. „Nur die Kraft versiegte.“

Barbara Jedermann, Bildwebereien und Aquarelle 1990–2015, Galerie Mutter Fourage, Chausseestraße 15 a, 14109 Berlin-Wannsee, noch bis 8. Oktober. www.mutter-fourage.de

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