Offener Brief gegen Unterstellungen: „Kein russlanddeutsches Phänomen“
AfD-nah, flüchtlingsfeindlich und schlecht integriert? Mit einem offenen Brief wehren sich Spätaussiedler gegen Pauschalverurteilungen.
Die Kritik des Zusammenschlusses mehrerer russlanddeutscher Vereine ist scharf: Als „erste Anzeichen einer medialen Hetzkampagne“ und „absichtlich diffamierend“ bezeichnen die Autoren insbesondere die Fernsehberichterstattung zum Thema. Konkret beziehen sie sich dabei auf die ARD-Formate „Monitor“ und „Tagesthemen“ sowie auf Dunya Hayalis Sendung im ZDF.
„Einzelne Wortmeldungen“, so der Vorwurf, würden darin „auf das gesamte Bundesgebiet übertragen.“ Der Hintergrund: Hohe AfD-Zustimmung in bestimmten Regionen und Stadtteilen – immer wieder wird Pforzheim-Heidach genannt – wurde mehrfach mit den vielen dort lebenden Russlanddeutschen erklärt. In ihrem dreiseitigen Statement nennt die VIRA eine Reihe von Städten und Landkreisen mit ähnlich hohem Anteil von Deutschen aus Russland – aber ohne auffällige AfD-Ergebnisse.
Fehlendes Vertrauen, fehlendes Interesse
Dass es „Zurückgelassene“ mit AfD-Affinität auch unter Russlanddeutschen gibt, streiten die Briefssschreiber indes nicht ab. Dafür verantwortlich machen sie aber die Regierung: Fehlerhafte Integrationspolitik habe zur räumlichen Konzentration der Spätaussiedler geführt.
An einigen dieser Ballungsorte würden „Deutsche aus Russland zu selten von den Etablierten angesprochen“. Fehlendes Vertrauen in die traditionellen Parteien wird erklärt als Folge von fehlendem Interesse aus der anderen Richtung. „Das ist aber kein allein russlanddeutsches Phänomen“, so der Brief.
Aus dem emotionalen Schreiben geht auch hervor: Die Wut der Unterzeichner über „unbegründete Vorwürfe“ und „pauschale Anschuldigungen“ hat sich über lange Zeit aufgestaut. Schon in den 1990er Jahren hätten die Reden von Parallelgesellschaften, „Plünderern der sozialen Kassen“, und Milieus mit hoher Jugendkriminalität das öffentlich gezeichnete Bild von den Aussiedlern bestimmt.
Zahlreiche Studien, etwa zur Arbeitslosigkeit unter verschiedenen Migrantengruppen, werden in dem Brief zitiert, um solche Stigmatisierungen zu widerlegen. Die zentrale Botschaft des VIRA-Schreibens: „Die Russlanddeutschen sind genauso individuell wie alle anderen Wählerinnen und Wähler dieses Landes.“ Pauschalisierungen und Diskriminierungen seien „absolut inakzeptabel“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein