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Friede der Geburt

Sanfte Geburt Seit zehn Jahren kommen im Geburts- und Heilhaus Lüneburg Kinder zur Welt, begleitet von alternativer Medizin und traditioneller Geburtshilfe

Luxus, nur eine Geburt zur Zeit betreuen zu müssen: Johanna Leithäuser vom Lüneburger Geburtshaus Foto: Miguel Ferraz

Aus LüneburgElke Schneefuß

Ein mit Holz verkleidetes Einfamilienhaus in einem der ruhigeren Viertel der Stadt, oben, auf dem Kreideberg in Lüneburg, dort, wo man von den Touristen in der Altstadt ein gutes Stück entfernt ist. Hier im Grünen, umgeben von Kleingärten und anderen Einfamilienhäusern, kommen seit zehn Jahren Kinder zur Welt: Das Geburts- und Heilhaus feiert in diesem Sommer Jubiläum. Drei Hebammen arbeiten hier, eine vierte wird demnächst erwartet. Zu tun ist genug.

„Das ist ein 24-Stunden-Job, sieben Tage die Woche“, sagt Johanna Leithäuser, die hier mit ihren Kolleginnen werdende Mütter betreut und außerdem pro Jahr fünf bis sechs Hebammenschülerinnen im Rahmen von Praktika ausbildet.

Aber warum hier – und nicht in der Klinik? „Mir wurde schon während der Ausbildung klar, dass ich etwas anders machen möchte. Geduld und Zeit sind für eine Gebärende wichtig, das ist im Krankenhaus nicht immer möglich“, sagt Leithäuser, die mit ganz verschiedenen Therapien und Hilfestellungen werdende Mütter betreut.

Nicht, dass sie eine Schwangerschaft als Krankheit begriffe, im Gegenteil. Johanna Leithäuser gehört dem Deutschen Fachverband für Hausgeburtshilfe e. V. an, dort übt man Kritik daran, dass viele Kliniken um der Effizienz willen Schwangerschaft und Geburt mit einem Höchstmaß an Technik managen.

„70 bis 80 Prozent der Schwangerschaften werden inzwischen als Risikoschwangerschaft eingestuft. Weil die werdende Mutter zu dick oder zu dünn, zu alt oder jung ist. Das muss nicht sein“, sagt Susanne Börner, die zweite Vorsitzende des Fachverbandes. „Es gibt zu viele vermeintliche Gefahren, Schwangerschaft wird pathologisiert.“

Mehr Wertschätzung gegenüber jungen Familien, Geduld und eine Atmosphäre, die die Niederkunft erleichtert, das fordert der Verband. „Viele Frauen glauben inzwischen, dass ein Höchstmaß an Technik notwendig ist, damit die Geburt sicher verläuft. Das trifft oftmals nicht zu, die klassischen Methoden reichen häufig völlig aus“, sagt Börner.

Insbesondere den Trend zum Kaiserschnitt sieht sie kritisch: Durch diese Art der Entbindung gingen viele Kenntnisse der Geburtshelfer in der Praxis verloren, sagt sie. Steißgeburten. Mehrlingsgeburten, Spontangeburten – das alles wurde früher ohne Kaiserschnitt bewältigt. Eine Hausgeburt verläuft nach Ansicht des Verbandes zudem oft weniger traumatisch. „Information ist wichtig. Wir möchten den Frauen die freie Wahl ermöglichen und den Beruf der Hebamme stärken“, erklärt Susanne Börner.

Enstbindung inentspannter Atmosphäre

Rund 19.000 Hebammen praktizieren derzeit in Deutschland, aber nur rund 500 von ihnen bieten die Betreuung von Hausgeburten an – in der Wohnung der Schwangeren oder in einem Geburtshaus. Dabei ist Susanne Börner überzeugt, dass Ruhe, Geduld, eine Entbindung in entspannter, fast häuslicher Atmosphäre und im eigenen Rhythmus mit herkömmlichen Methoden in vielen Fällen gut für Mutter und Kind sind.

Genau das möchten auch die Hebammen im Geburtshaus Lüneburg den werdenden Müttern ermöglichen. Dementsprechend sind alle Räume im Geburtshaus hell und in freundlichen Farben gehalten, die Badewanne gehört zur Ausstattung dazu, ebenso der Gebärhocker.

Auch hier wird allerdings Wert auf Sicherheit gelegt, denn manchmal geht es nicht ohne den Arzt. „Bei jeder Geburt kommt eine zweite Hebamme dazu“, sagt Johanna Leithäuser – die Entscheidung für oder gegen eine Klinik fällt im Bedarfsfall gemeinsam. Sie werde mit aller Gewissenhaftigkeit getroffen, versichert die Hebamme.

Drei bis vier Stunden nach der Geburt verlassen die Frauen mit ihren Neugeborenen in der Regel das Geburtshaus, und das meistens nicht allein. Ihre Partner sind fast immer dabei, selbst bei den Vorsorgeterminen, die sich die Hebammen mit den behandelnden Frauenärzten teilen können. Inzwischen ist männliche Begleitung bei gemischtgeschlechtlichen Paaren die Regel.

„Zu 99 Prozent begleiten die Partner jede Phase der Schwangerschaft aktiv. Meistens haben sie auch wirklich Interesse, auch wenn manche Männer es nicht leicht haben, ihre Rolle während der Geburt zu finden“, meint die Hebamme.

Schon im dritten Monat beginnt in der Regel der Austausch zwischen der werdenden Mutter und ihrer Geburtshelferin. Man lernt einander im Gespräch kennen. Darauf wird in Lüneburg viel Wert gelegt. „Die Frauen entscheiden sich für das Geburtshaus als Geburtsort, weil sie die Person kennen möchten, die sie während der Geburt begleitet“, sagt Leithäuser. Sich nur um eine Geburt kümmern zu müssen, anders als in der Klinik, wo eine Hebamme oft mehrere Frauen gleichzeitig betreut, das empfindet Johanna Leithäuser als besonderen Luxus.

Dem Körper helfen, sich selbst zu helfen, ist das Ziel

Vorbereitungskurse und die Betreuung nach der Geburt, bis zur zwölften Lebenswoche des Säuglings, gehören dazu, wenn man sich für das Geburtshaus entscheidet. Wer hierherkommt, kann bei Schwangerschaftsbeschwerden auch auf Komplementärmedizin setzen. Dem Körper helfen, sich selbst zu helfen, und zwar mit natürlichen Mitteln, das ist das Ziel: Yoga und Akupunktur zählen zu den angebotenen Leistungen, außerdem homöopathische Medikamente, Naturheilkunde, Akupunktur, Osteopathie oder emotionale Traumaaufarbeitung durch Gesprächstherapie.

Die Frau, die im Geburtshaus Lüneburg für diesen Schwerpunkt steht, ist Dorothea Kind, eine der Gründerinnen der Einrichtung. Neben ihrer Ausbildung zur Hebamme ist sie Heilpraktikerin. Dass Homöopathie angefeindet wird, dass viele Schulmediziner sie als wirkungslos und überflüssig ansehen, weiß sie. „Es gibt Frauen, die nicht darauf vertrauen, aber das ist kein Problem. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, mit denen wir helfen.“ Hausmittel zum Beispiel.

„Vorzeitige Wehen sind ein Bereich, bei dem wir gut helfen können. Die Schulmedizin hat nicht auf alles Antworten. Sie können einer Schwangeren ja nicht ohne weiteres ein Antibiotikum verordnen, und sei sie noch so erkältet“, sagt Dorothea Kind.

Statt Medikamenten und Hightech setzt man im Geburtshaus daher oft auf traditionelle Methoden in der Geburtshilfe. „Das so genannte CTG, die Kardiotokografie, mit der die Herzfrequenz des Babys und etwaige Wehen der Mutter aufgezeichnet werden, kann durchaus Stress sein für das ungeborene Kind“, sagt Johanna Leithäuser. Die Herztöne des ungeborenen Kindes können stattdessen mit einem hölzernen Stethoskop abgehört werden. „Oft können wir mit dem Stethoskop die Herztöne des Kindes sogar genauer verfolgen und auch etwas über seine Lage kurz vor der Geburt aussagen.“

Der Einlauf zur Geburtseinleitung, die richtige Mischung aus Ruhe und Bewegung während der Geburt, die Kunst, den Bauch einer Schwangeren abzutasten – lauter jahrhundertealte Methoden in der Geburtshilfe, hier werden sie praktiziert.

Und wer entscheidet sich für eine Geburt im Geburtshaus? „Frauen, die das Gefühl haben, in der Klinik nicht autonom über ihren eigenen Körper und das Kind, dass sie gebären sollen, entscheiden zu können“, sagt Leithäuser. „Auch viele Zweitgebärende kommen.“ Frauen, die die Anwesenheit eines Arztes wünschen, werden sich dagegen eher für ein Krankenhaus entscheiden.

Johanna Leithäuser jedenfalls ist sicher, dass sie ihren Beruf trotz allem wieder ergreifen würde: Menschen bei einer Geburt beizustehen sei etwas Besonderes. „Eben noch die archaische Kraft einer Wehe und gleich darauf der Friede der Geburt, wenn es geschafft ist – das ist für alle Beteiligten ein großes Erlebnis“, sagt sie.

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