: Zurück in der Harmonie
WM-Qualifikation Beim 6:0-Kantersieg gegen Norwegen spielt sich das DFB-Team in einen Rausch. Nach den Dissonanzen von letzter Woche haben sich wieder alle lieb
Aus Stuttgart Frank Hellmann
Stuttgart ist für Joachim Löw ein besonderer Ort. Daraus hat der in Schönau im Schwarzwald geborene Bundestrainer nie einen Hehl gemacht. Anfang der 80er Jahre trug Löw als Profi für eine Saison das Trikot mit dem roten Brustring, in den 90er Jahren arbeitete er als Trainer beim VfB Stuttgart. Die Spielstätte hieß noch Neckarstadion, die Kurven besaßen keine Überdachung und eine Laufbahn hielt die Zuschauer weit weg vom Geschehen. Die Stimmung in der ausladenden Betonschüssel: eher mittelprächtig. Der Bundestrainer war am Montagabend nach dem 6:0-Erfolg gegen Norwegen nun so klug, an diesem Ort erst gar keine Vergleiche zwischen Vergangenheit und Gegenwart anzustellen. Dass die Gala nicht nur einen stimmungstechnischen Höhepunkt der WM-Qualifikation, sondern der gesamten Löw-Ära markierte, war hingegen unbestritten. „Wir haben hier in Stuttgart erlebt, wie schön Fußball sein kann, wie viel Spaß es machen kann“, sagte der 57-Jährige und benutzte irgendwann das Wörtchen „brillant“ zur Beschreibung.
Selbst Mario Gómez, der als spät eingewechseltes Mitglied aus der Stuttgart-Connection den Schlusspunkt setzen durfte, geriet ins Schwärmen. „Die Mannschaft hat gigantisch gespielt. Ich habe das sogar auf der Bank genossen.“ Schließlich ging es an diesem lauen Spätsommerabend ja um noch etwas Größeres: um die richtige Tonalität im Neckarpark. Die Auswüchse rechtsradikaler deutscher Fans in Prag vor drei Tagen gegen Tschechien hatte doch viele betroffen gemacht. „Genau die richtige Reaktion auf die niveaulosen Aktionen in Prag“, teilte via Twitter Taktgeber Mesut Özil mit, der den Torreigen eröffnet hatte (10.). Julian Draxler (17.), Timo Werner (21. und 40.) sowie die eingewechselten Leon Goretzka (50.) und Gómez (79.) schraubten das Resultat in Dimensionen, die norwegische Journalisten ernsthaft zur Frage veranlassten, ob das 7:0 gegen San Marino dem Weltmeister ähnlich leicht gefallen sein. Löw verneinte vehement.
Entfesselter Spieltrieb
Doch der Wille, im Doppelpass mit der Kulisse ein Fußballfest ohne Störgeräusche zu feiern, mündete in einen Spieltrieb, der den skandinavischen Sparringspartner auf dem Fußballplatz aussehen ließ wie einen Hobbyboxer, der sich im Ring mit einem Gegner aus der völlig falschen Gewichtsklasse verabredet hatte. Und der früh auf den Brettern landete. Doch dummerweise gibt es beim Fußball keinen technischen K.o., und so waren die Sander Berge, Joshua King oder Havard Nordtveit von Anfang bis Ende nur Staffage, wie sich die DFB-Auswahl in einen Rausch kombinierte.
Vor allem das Trio Müller-Özil-Draxler zog – angeleitet von den beiden Strategen Kroos und Rudy – in der alten 4-2-3-1-Formation ein verwirrendes Positionsspiel auf. Löw negierte jedoch die Vermutung, dass die Automatismen vor allem deshalb griffen, weil er auf sein früheres Standardsystem zurückgegriffen hatte. „Um Gottes willen nein!“, entfuhr es ihm, wofür habe er denn beim Confed-Cup durchgängig mit Dreierkette gespielt.
Bundestrainer Joachim Löw
Wichtig sei, „dass man zwei unterschiedliche Systeme und einen Plan B spielen können muss, das ist unabdingbar“. Diesmal allerdings mündete Plan A in eine Aufführung der Extraklasse, die eine entsprechende atmosphärische Untermalung bekam: Der Fanklub Nationalmannschaft hatte in die Cannstatter Kurve ein Plakat gespannt, das sich „gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung“ stellte. Und daher passten keine Pfiffe gegen einzelne Protagonisten einer Mannschaft, die Vielfalt und Toleranz verkörpern soll.
Dass der gebürtige Stuttgarter Werner bereits vor seinem Doppelpack mit Sprechchören gefeiert wurde, ließ den 21-Jährige frohlocken. „Dass ich so gut aufgenommen wurde, so herzlich wie früher, das freut mich nach der Geschichte, die war, doppelt.“ Der verlorene Sohn ritt ganz oben auf der perfekten Welle, die diese Mannschaft nun auch in einem Monat gegen Nordirland erwischen will. Der Showdown am 5. Oktober in Belfast beim Tabellenzweiten wird der Lackmustest, ob Löws Garde auch gegen einen wehrhafteren Widerpart solch einen Angriffswirbel inszeniert.
„Nordirland ist eine Heimmacht auf der Insel. Sie haben nur zwei Gegentore – beide gegen uns – bekommen. Jetzt gibt es dort ein Endspiel“, konstatierte Löw – und wirkte doch tiefenentspannt. Denn die Zweifel an der direkten WM-Qualifikation sind eher theoretischer Art. Die praktische Wirklichkeit hatte Norwegens neuer Nationaltrainer Lars Lagerbäck so erlebt: „Deutschland hat eine fantastische Mannschaft. Definitiv sind sie eines der besten Teams der Welt.“ Löw befand sich beim Kollegenlob bereits im Raum – als stiller Genießer eines auch für ihn einmaligen Stuttgarter Abends.
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