Literaturfestival in Berlin: Eine Reise um die Welt in 12 Tagen
Am Mittwoch beginnt das 17. Internationale Literaturfestival. Es ist eine Art Berlinale der Literatur, die seit 16 Jahren der unermüdliche Ulrich Schreiber stemmt.
So mancher Literaturfan, der bei einem Besuch des morgen beginnenden Internationalen Literaturfestivals zum ersten Mal Ulrich Schreiber erleben darf, wird vielleicht verwundert sein. Dieser zerstreut wirkende Mann, der, wie man leicht recherchieren kann, zunächst das Maurerhandwerk lernte, in Abendkursen die Mittlere Reife machte und später als Architekt arbeitete?
Dieser Typ mit dem wirren Haar, der inzwischen auf die siebzig zugeht?
Das soll einer der wichtigsten Kulturmanager dieses Landes sein?
Wie hat es Ulrich Schreiber nur geschafft, mit dem Internationalen Literaturfestival nicht nur das wichtigste Literaturfest dieser Stadt, sondern eines der größten des ganzen Landes zu etablieren?
Start in einer Wohnung
Das Ganze fing 2001 in Ulrich Schreibers Altbauwohnung in Charlottenburg an, die er kurzerhand in das Büro des Festivals verwandelte, wo zehn Menschen ein halbes Jahr lang an der ersten Ausgabe der Veranstaltungsreihe arbeiteten. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es ausgerechnet das Jahr war, in dem zwei Flugzeuge ins World Trade Center krachten, war dies doch einer jener Momente, in dem die Welt plötzlich unheimlich klein wurde. Viele, die sich außer der eigenen vielleicht höchstens noch für die Literatur Frankreichs interessierten, begannen plötzlich, Literatur aus kleinen Ländern am anderen Ende der Welt zu lesen.
Das Internationale Literaturfestival dauert vom 6. bis 16. September. Die meisten Veranstaltungen finden im Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße 24 statt. Einzeltickets kosten 4 bis 8 Euro, die Gesamtkarte 40 bis 60 Euro.
Der Internationale Kongress für Demokratie und Freiheit findet vom 8. bis 11.9. statt, die Gesamtkarte kostet 25 Euro.
Drei der schönsten Lesungen sind die von Arundhati Roy (7. 9., 19.30 Uhr), Yaa Gyasi (12. 9., 19.30 Uhr) und Madeleine Thien (14. 9., 21 Uhr), alle im Haus der Berliner Festspiele.
Alles Weitere unter www.literaturfestival.com. (sm)
Ulrich Schreiber hatte einen Nerv getroffen, denn schon da hatte der damals 49-Jährige das Konzept, Autoren aus aller Welt nach Berlin zu holen, die ihre neuen Bücher vorstellen durften – sie aber auch intensiv über Themen sprechen und diskutieren zu lassen, die im Laufe des 16-jährigen Bestehens immer akuter geworden zu sein scheinen: die Freiheit der Kunst, die Kraft der Sprache, Toleranz, Demokratie, Gerechtigkeit.
Schreiber hat mit dem Internationalen Festival tatsächlich eine Art Berlinale der Literatur geschaffen, auf der jeder eingeladen ist, auch noch das nagendste Fernweh ein wenig in den Griff zu bekommen, auf der aber auch jeder willkommen ist, der Lust auf Einmischung hat.
Von Anfang an war das Internationale Literaturfestival als Low-Budget-Veranstaltung konzipiert, die Anzahl der Praktikantinnen, mit denen sich Ulrich Schreiber Jahr für Jahr durchschlägt, ist legendär. Kürzlich aber hat er sich – wie derzeit viele Veranstalter von Festivals aus allen Rubriken in dieser Stadt – zu Wort gemeldet.
Es gehe so nicht weiter, sagte er. Seit über 15 Jahren bezieht Schreiber dieselbe finanzielle Unterstützung aus dem Hauptstadtkulturfonds: Wie auch das Poesiefestival im Frühling bekommt auch das Internationale Literaturfestival 350.000 Euro im Jahr. Jedes Jahr muss er dieselben Anträge ausfüllen, denn er bekommt nur eine projektbezogene Regelförderung und daher, wie er sagt, zu wenig Planungssicherheit.
Hinzu kommt, dass die Gesamtkosten des Festivals derzeit etwa das Doppelte betragen – und die Ticketeinnahmen bei 70.000 bis 90.000 Euro liegen. Man kann sich vorstellen, was es heißt, allein die vielen Flüge für die Autoren zu bezahlen, die wirklich aus aller Welt anreisen. In diesem Jahr sind es 297 Autoren aus 58 Ländern, die 285 Veranstaltungen bestreiten. 26.000 Besucher allein im Jahr 2016.
Indien, China, Ghana
Wer sich das Programm des Internationalen Literaturfestivals anschaut, der mag im ersten Moment überfordert sein. Ein zweiter Blick lohnt sich aber, denn tatsächlich ist es Ulrich Schreiber und seinem Team auch in diesem Jahr gelungen, ungefähr alle Autoren von allen Kontinenten herbeizutrommeln, die in diesem Jahr interessante und relevante Bücher geschrieben haben.
Da ist die indische Autorin, Aktivistin und Globalisierungskritikerin Arundhati Roy, die zehn Jahre nach ihrem preisgekrönten ersten Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ den zweiten vorlegt. „Das Ministerium des äußersten Glücks“ ist ein betörendes Buch über die Versprengten, Außenseiter und Glückssucher im indischen Kastenwesen und ein Buch über den Konflikt um Kaschmir. Da ist Madeleine Thien, die Tochter malaiisch-chinesischer Einwanderer in Kanada, die sich in ihrem neuen Buch, „Sag nicht, wir hätten gar nichts“, aus einer sehr interessanten Perspektive dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 in Peking nähert.
Und da ist „Heimkehren“ von der ghanaisch-amerikanischen Autorin Yaa Gyasi neben „Underground Railroad“ von Colson Whitehead eines der wichtigsten Bücher aus Amerika in diesem Herbst. Es setzt sich mit dem ideologischen Fundament von weißem Herrenmenschendenken auseinander – mit der Geschichte der Sklaverei.
Die Chancen der Freiheit
Es gibt aber auch wie in jedem Jahr auf dem Internationalen Literaturfestival Veranstaltungen für Menschen, die es nicht so haben mit den sogenannten Wasserglaslesungen. Hier sei vor allem der Kongress ab kommenden Freitag erwähnt, auf dem 120 Gäste aus allen Disziplinen in 30 Gesprächsrunden die gegenwärtigen Herausforderungen und Chancen von Demokratie und Freiheit reflektieren.
Eine echte Mammutaufgabe, purer, großartiger Wahnsinn ist es, den Ulrich Schreiber da aus lauter Liebe zur Literatur in den letzten 16 Jahren gestemmt hat. Und es wäre ein Jammer, wenn ihm nun doch die Luft ausgehen würde. Er hätte mehr Unterstützung verdient.
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