piwik no script img

Performance auf der documenta„Auschwitz on the beach“ abgesagt

Mit einer Performance wollte Franco Berardi auf der documenta auf das Leid der Flüchtenden aufmerksam machen. Stattdessen verbaut er sich den Diskurs.

Die documenta 14 setzt sich auf vielfältige Weise mit dem Leid der Flüchtenden auseinander Foto: dpa

Kassel epd | Die umstrittene documenta-Performance „Auschwitz on the beach“ ist abgesagt. Damit reagiere die documenta auf Beschwerden und Anschuldigungen, die es in den vergangenen Tagen gegeben habe, teilte Paul B. Preciado, Kurator der Öffentlichen Programme, am Dienstag in Kassel mit. „Wir respektieren diejenigen, die sich vom Titel von Franco Berardis Gedicht angegriffen fühlen. Wir wollen ihrer Trauer keinen Schmerz hinzufügen“, schreibt Preciado in der Begründung. Kritiker warfen den Künstlern vor, das Schicksal von Flüchtlingen im Mittelmeer mit der Judenverfolgung in der NS-Zeit zu vergleichen und damit den Holocaust zu relativieren.

Man wolle die Vorwürfe weder einfach akzeptieren noch Diskussionen und kritisches Denken aufgeben, sagte Preciado. Daher werde es am Donnerstag anstelle der geplanten Performance um 20.30 Uhr eine Lesung mit Gespräch mit Franco Berardi geben. Die Veranstaltung unter dem Titel „Shame on us“ wolle eine „vielstimmige Unterhaltung“ befördern. Dort werde auch Berardis Gedicht, auf dem die geplante Veranstaltung basiert, verlesen und über die aktuelle Politik der Migration in Europa diskutiert.

Auch documenta-Leiter Adam Szymczyk hob hervor, dass es keineswegs die Absicht der geplanten Veranstaltung gewesen sei, den Holocaust zu relativieren. Berardis Ziel bestehe vielmehr darin, den NS-Mord an den europäischen Juden verantwortungsvoll und ernsthaft als den ultimativen Grenz- und Referenzbegriff für ein extremes, gewaltsames und systemisches Unrecht gegenüber Flüchtlingen auszumachen. Dieses Unrecht werde von nationalen und transnationalen Körperschaften in Europa körperlich an Geflüchteten verübt.

Es gehe nicht vorrangig um die Politik der Erinnerung, mit der sich Deutschland seit langem auseinandersetze, sagte Szymczyk. Vielmehr gehe es darum, was hier und jetzt in und vor den Toren Europas stattfinde, sagte er mit Blick auf das Sterben von Flüchtlingen auf der Flucht nach Europa.

Ankündigung ist eine Reizwort-Geschichte

Die geplante Performance war zuvor auf heftige Kritik der beiden Gesellschafter der documenta gGmbH, die Stadt Kassel und das Land Hessen, gestoßen. Der hessische Wissenschafts- und Kunstminister Boris Rhein (CDU) hatte der documenta einen Abbruch der geplanten Performance empfohlen. Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle hatte sie eine „ungeheuerliche Provokation genannt.

Auch die jüdische Gemeinde hatte sich entsetzt gezeigt und die politisch Verantwortlichen dazu aufgefordert, sich in dieser Angelegenheit zu positionieren. „Die Frage, wie mit der Erinnerung an die Schoah und den damit verbundenen Begriffen umgegangen wird und wie wir künftigen Generationen von diesem unfassbaren Verbrechen berichten, geht uns alle an“, sagte die Vorsitzende Illana Katz.

Die geplante einstündige Performance „Auschwitz on the beach“ basierte auf einem Gedicht des italienischen Autors Franco Bifo Berardis und war mit einem Soundtrack von Fabio Stefano Berardi und einer Bildinstallation von Dim Sampaio versehen. In der Ankündigung der documenta bezichtigte Berardi die Europäer, „Konzentrationslager“ auf ihren eigenen Territorien einzurichten und “Gauleiter„ in der Türkei, Libyen und Ägypten dafür zu bezahlen, die “Drecksarbeit„ entlang ihrer Küsten zu erledigen. „Das Salzwasser hat mittlerweile Zyklon B ersetzt“, hieß es unter anderem.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • In Auschwitz wurden die aus halb Europa gewaltsam zusammengetriebenen Juden systematisch und industriell auf gewollt viehische Weise umgebracht. Das war vorsätzlicher, geplanter Völkermord. Im Mittelmeer ertrinken Menschen, die sich freiwillig in Lebensgefahr begeben. Das ist schlimm genug. Wer aber diese beiden Vorgänge gleichsetzt, der hat nichts verstanden und sollte einmal Auschwitz besuchen und dort eine Führung mitmachen. Wem das zu weit weg ist: Schon ein Besuch in Bergen-Belsen würde zum Verständnis reichen.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Hartwig Lein:

      "Viehisch" ja, in dem Sinne einer Herde, die zur Schlachtbank getrieben wird.

      Aber den Schlächter, der sich die Hände mit Blut befleckt, den gibt es nicht.

       

      Der Massenmörder am Dronen-Abzug trinkt nebenbei 'ne Coke und ist im Teamspeak mit seiner Gilde, wie andere beim Counterstrike.

      Da fehlt der Bezug zum Tier vielleicht, aber dafür liegt der Vergleich mit den NPC's in Computerspielen nahe. Non Personal Characters,, für die auch alle Regeln der Zivilisation aufgehoben sind.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Hartwig Lein:

      Auschwitz ist mittlerweile so überlaufen, dass das für mich schon Katastrophentourismus ist. Ein Ort der Andacht für Opfer und deren Nachkommen ist es nicht mehr.

      Mit drei Klicks sind bei momondo einmal Hölle und zurück gebucht, für drei Personen. Bei dieser Kommerzialisierung kann ich mich des intensiven Eindrucks der Verharmlosung nicht erwehren.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Wenn man mit Derrida Apokalypse denkt als Vernichtung des "Restes", dann läßt sich Berardis Vorwurf verstehen. "Rest" ist gedacht als diejenigen Elemente, die bei der Erzeugung von Identität als repräsentativer Kategorie ausgeschlossen werden. Das heteronormative Geschlechterbild z.B. erzeugt Ausschlüsse im Bereich der Trans-, Inter- und Queer-Identitäten. Das ist der Rest.

    Der Rest bei der Erzeugung der nationalsozialistischen Identität sind nicht nur die Juden, sondern alle, die dem Ideal der rassenreinen Volksgemeinschaft nicht entsprechen (wollen).

    Insofern sind die Flüchtlinge der Rest, der bei der Idee der Demokratie als territorialem Herrschaftssystem entsteht.

     

    Die Frage ist jetzt die nach der Vernichtung des Restes.

    Es könnten sichere Reiserouten von Nordafrika nach Europa angeboten werden, insofern ist die Situation so beabsichtigt. Auch die Kategorisierung der nordafrikanischen "Flüchtlingszentren" als Konzentrationslager ist durchaus plausibel.

    So stellt sich also die nächste Frage: Sind das auch Vernichtungslager? Ist der einzige Weg der Flüchtlinge der in die Fluten des Mittelmeeres wie der einzige Weg der Juden der ins Gas war? Macht die Aussicht auf die Ankunft auf der anderen Seite diesen Gang weniger apokalyptisch?

     

    Klar ist, die EU verfolgt keine Vernichtungsideologie wie die Nazis.

    Deren entgrenzte Identität erfordert so etwas wie einen Erbfeind, dessen Vernichtung den totalen Krieg rechtfertigt.

    Aber hat die EU hat in einem gewissen Sinn einen Erbfeind? In Frage kommen dafür m.E. der Terrorismus und der Holocaust.

    Ist der Mausklick an der NATO-Dronensteuerung, mit der die Betenden in einer Moschee vernichtet werden, technisch und sozial weniger durchrationalisiert als es die Hochöfen der Nazis waren, ist ihr Tod weniger apokalytisch für die spärlichen Überlebenden einer solchen unabwendbaren Attacke?

     

    Fortsetzung im nächsten Post

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Inwieweit untersacheiden sich die Verschwörungstheorien in NATO-Zentren zur Bekämpfung des islamistischen Terrors von denen der Nazis? Gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen der EU und der USA, d.h. liegt die Verantwortung für das Töten nach dem Prinzip Sippenhaft und Religion nur bei einigen "verrückten" US-Generälen und Donald Trump?

       

      Die Angst vor dem Terror ist vielfach auch eine Angst vor den Flüchtlingen, insofern sind beide Diskurse miteinander verwebt. Nun zum Holocaust als "ultimativem Grenz- und Referenzbegriff".

       

      Der Holocaust, der Inbegriff des Sinnlosen schlechthin, als sinnstiftendes Element der europäischen Identität, das ist eine Aporie, die dem Sinnlosen Sinn gibt und es so als Sinnloses überschreibt und verstellt.

      Rechtfertigt also der Holocaust als sinnstiftender Antagonismus und Mechanismus einer europäischen Identität gleichzeitig eine Vernichtungspolitik gegen die Flüchtlinge als abstraktes Kollektiv, weil ein Vergleich zum Holocaust diesen verharmlost, einfach weil es nicht dasselbe ist und weil auf diese Weise der Holocaust als Sinnhaft-Sinnloses die Sinnlosigkeit der europäischen Verbrechen überschreibt und verstellt?

       

      Zu bedenken ist, ein Vergleich ist keine Gleichsetzung, sondern zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf.

       

      Insofern sehe ich die provokative Arbeit Bernardis dialektisch.

      Einerseits legt er den Finger in die Wunde, wie kann eine EU mit all ihren Menschenrechten so etwas tun? Welcher Grad an Bürokratie, blindem Gehorsam und Nicht-Person-Sein-Wollen (Hannah Arendt) gehrt zu so etwas?

      Andererseits steht auch bei ihm der Holocaust als ultimativer Grenz- und Referenzbegriff. Wie soll ein Verbrechen dem genügen? Unsere Pflicht zu verhindern, dass so etwas nicht (wieder) geschieht (Adorno), fängt nicht erst an, wenn der nächste Holocaust bereits im Gange ist. Wehret den Anfängen.

       

      Über all die Fragen besteht Diskussionsbedarf, sicher ersetzt kein Gründungsmythos und kein Nazi-Vergleich eine gute Totalitarismustheorie.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @85198 (Profil gelöscht):

        Nochmal anders gesagt: Was taugt ein ultimativer Grenz- und Referenzbegriff, der nicht verwendet werden darf, weil die Übereinstimmung mit dem Referenzereignis niemals 100%ig ist und alles andere wäre eine Verharmlosung, also Verunreinigung, der Referenz.

        Das wird dann zum Reinheitskult und stellt keinerlei Kriterien mehr für ein ethisches Handeln auf.

        • @85198 (Profil gelöscht):

          danke für Ihre überlegungen/ausführungen.

  • Für mich wäre entscheidend, ob er jetzt Rassismus oder Gier als Motivation sieht. Denn wenn er Gier, bzw die alternativlose neoliberale Globalisierung, meint, wäre der Vergleich zutreffend, da es auch eine tiefgreifende Gleichschaltung gibt, die dieses Denken stützt. Dann wäre auch die Unterstellung eines größeren Plans plausibel.