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Der falsche Schmerz

BÜHNE Mit der Romanadaption „Scherbenpark“ hat das Theater Bremen die Saison eröffnet und die Chance, ein packendes Coming of Age-Drama zu produzieren, vertan

Sei Potenzial verrät der Abend leider durch Spaßvogelei: Der Terror verstörter Gefühle versandet als Lachnummer Foto: Jörg Landsberg

von Benno Schirrmeister

Schön ist Iris Holsteins schrammelige Bühne, eine Kulisse für ganz sicher in einem Sozialprojekt gebündelte Sprayeraktivitäten. Und ein guter Moment ist auch, wie Kira Petrov als verstorbene Mutter im etwas welken Blumenkinder-Outfit vom Himmel zum Totengespräch herabschwebt. Und grundsätzlich ist ein Theater gut, das ein Risiko eingeht – hier, bei „Scherbenpark“, der ersten Schauspielproduktion der neuen Saison am Bremer Theater, konkret das Wagnis, Profi- und LaienschauspielerInnen zusammen auf die Bühne zu stellen.

Denn das ist ja kein kleines: Unangenehm für alle wirkt es, wenn die HobbyakteurInnen gegen die approbierten Berufsdarsteller abschmieren. Und wenn das exakte Gegenteil eintritt, und auch das kann ja passieren, wird es hingegen peinlich, richtig weh tut das dann. In „Scherbenpark“, der Adaption von Alina Bronskys Roman gleichen Titels, die am vergangenen Sonntag im Schauspielhaus Premiere hatte, macht es auf jeden Fall Spaß, den fünf jungen AkteurInnen vom Theater 11 zuzuschauen.

Dieses von Kira Petrov 2014 gegründete Theaterstudio in der Faulenstraße realisiert viele Projekte mit Jugendlichen aus der Russlanddeutschen-Community, einer Peergroup, aus der auch Bronsky selbst stammt und der die ProtagonistInnen ihres Buchs angehören: Zwei Mädchen, drei Jungs, deren Namen das Programmheft nicht kennt, spielen sich nun gewissermaßen selbst oder doch wenigstens Rollen, die ihnen nah sein könnten, auf der Bühne des Schauspielhauses, lebensecht, straight und mit Schmackes. Mitreißend ist das, auf ähnlichem Niveau wie sonst das Moks. Und mitreißend ist auch Anna Klimovitskaya, die an der Theaterakademie Hamburg studiert und als Gast die Hauptrolle übernommen hat.

Irritierbar, unwirsch leiht sie der jungen Heldin einen stets wie zum Angriff lauernden, vielleicht auch zur Verteidigung gespannten Körper, drahtig, nervös, tänzerisch, und eine Stimme, in der die ruppig-simplen Sätze der Hauptfigur so wirklich klingen. Sascha Neumann heißt die. Durch die Augen dieses hochbegabten, 16-jährigen Mädchens sieht der Roman zornig auf die Welt. Und voll Verachtung, denn nur wenig hat Sascha für die Gleichaltrigen aus dem Hochhaus Solitär übrig, aus dem Russenghetto, in dem sie bei einer Tante lebt, mit ihren Geschwistern. und noch weniger kann sie deren Träumen abgewinnen: einen Mercedes? Ein Haus mit Garten? „Manchmal denke ich, ich bin die einzige, die noch vernünftige Wünsche hat“, sagt sie gleich bei ihrem ersten Auftritt. Sie nämlich will ihren Stiefvater Vadim töten, der ihre Mutter und deren Liebhaber ermordet hat: Sie möchte ihren Schmerz zurückgeben.

Und es wirkt, als fühle sie sich von ihm um ihre Rache betrogen, als sie erfährt, dass er sich in seiner Zelle erhängt hat. Diese epische Zusatzinformationen lässt Regisseur Ralf Siebelt mithilfe eines Textbandes, das quer über die Bühne gespannt wird, einspielen. Für eine so entscheidende Wendung wäre eine szenischere Lösung sicher möglich gewesen: Immerhin wird Sascha ja nun ihre Wut anders ausleben müssen und Hass und Gewalt auf sich ziehen.

Sein Potenzial aber, die Tiefe des Leidens in diesem Coming of Age-Drama, verrät der Abend vorher schon. Irgendwie nämlich, halb zog er sie, halb sank sie hin, gerät Sascha, als sie sich bei der Zeitung über einen Artikel beschwert, in eine Dreiecksbeziehung mit Guido Gallmann, dem leitenden Redakteur einer Zeitung, und Justus Ritter, dessen Sohn.

Schon beim Roman gingen seinerzeit die Kritikermeinungen auseinander, ob das nun der Höhepunkt der Erzählung („Frankfurter Rundschau“) oder des Klischees („Die Zeit“) sei. Simone Sterrs zupackende Bühnenfassung entscheidet sich für ersteres – Siebelt hingegen wählt das Klischee. Gallmann lässt er dabei noch halbwegs glaubwürdig einen ausgetüftelte Phrasen stanzenden, fischigen Redakteur spielen. Ritters Drang zum Hampeln und die Slapstick-Begabung aber wären zu bremsen gewesen.

Der Terror verstörter Gefühle versandet hier als Lachnummer in einem spaßvogeligen Overacting, das eher den Erwartungen und Befürchtungen entspricht, die mit Laienspiel verbunden sind.

Die nächsten Vorstellungen am 10., 14. und 22. September und am 22. Oktober im Schauspielhaus des Bremer Theaters.

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