: Gruselige Schönheit
Getier Das Staatliche Museum Schwerin präsentiert die Waldboden-Stillleben von Otto Marseus van Schrieck. Waldboden und Stillleben? Was sich erst mal schnöd anhört, entpuppt sich auf den zweiten Blick als sehenswerte Ausstellung mit allerlei Gewürm
Aus SchwErin Frank Keil
Es kommt nicht oft vor, dass ein Museum für eine Sonderausstellung mit zwei verschiedenen Plakaten wirbt. Entweder ein Plakat zieht Besucher oder nicht. Im Falle der aktuellen Sonderausstellung fährt man im Staatlichen Museum Schwerin aber zweigleisig und bewirbt die Ausstellung „Die Menagerie der Medusa – Otto Marseus van Schrieck und die Gelehrten“ mit zwei Motiven: mit einem Ausschnitt aus Paul Peter Rubens Gemälde „Das Haupt der Medusa“ mit dem abgetrennten Kopf der Medusa samt wimmeligem Schlangenhaar. Und mit einer Detailaufnahme aus Marseus van Schriecks Gemälde „Waldboden mit blauen Winden und Kröte“, in dem eine strahlend blaue Windenblüte das Bild dominiert. Tod gegen Blume, Grusel versus Schönheit.
Klar, Medusa ist keine unbekannte mythische Figur: die Frau, bei deren Anblick jede und jeder auf der Stelle zu Stein erstarrt, um der Angst vor der Frau Gestalt zu geben. Und das mit der Schlange kennt man spätestens seit Adam und Eva. Bei der von Rubens gemalten Medusa ist es aber ein Schlangenbündel, dass aus dem Blutstrom zu entstehen scheint, während ihre Trägerin ihr Leben aushaucht. Das ist ein heftiges Bild. Ob das hilft, die Scheu zu überwinden, sich nach Schwerin zu begeben? Dann ein Maler mit dem ellenlangen Namen Otto Marseus van Schrieck aus einer fernen Zeit – da müssen die meisten passen. Kann das denn interessant sein?
In Schwerin kennt man sich mit Marseus van Schrieck aus. Immerhin sieben seiner erhaltenen Gemälde sind im Besitz des Hauses – der Louvre in Paris kann nur mit einem Exponat aufwarten, das Amsterdamer Rijksmuseum hat auch nur eines im Bestand. Dass Schwerin hier punkten kann, liegt an der Geschichte des Hauses: Vor langer Zeit hat erst Herzog Christian Ludwig II., dann Großherzog Friedrich Franz I. die Niederländer fleißig gesammelt, weshalb Niederländisches in Schwerin immer wieder Thema war und auch in Zukunft sein wird.
Was weiß man nun von diesem Otto Marseus van Schrieck? Nicht wirklich allzu viel. Geboren ist er 1619 oder vielleicht auch 1620 (da hat Rubens seine Medusa übrigens schon gemalt); auch 1613 wird als Geburtsjahr genannt. Kindheit und Jugend liegen im Dunkeln. Er wird jedenfalls Maler, geht später nach Italien, malt im Auftrag des Großherzogs der Toskana Ferdinand II., er ist unter Malerkollegen gut vernetzt. Ein Augenleiden soll ihm zeitweise arg zugesetzt haben und womöglich zurück in die Niederlande gelotst haben, wo er sich 1657 niederlässt.
Überliefert ist, dass er bis zu seinem Tod 1678 am Rand von Amsterdam gelebt hat, weil er wohl so am besten und in Ruhe eine kleine Zucht mit Reptilien und Schlangen unterhalten konnte: sein malerisches Anschauungsmaterial. Denn: Marseus van Schrieck ist der Schöpfer des Waldbodenstilllebens, ein ganz eigenes, sehr begrenztes Genre in der Malerei, den manch zeitnaher Kollege wie Matthias Withoos oder eine Kollegin wie Rachel Ruysch – wie die Schweriner Ausstellung zeigt – beherzt nachahmte, ohne im Mindesten dessen Kunstfertigkeit auch nur annähernd zu erreichen – und das genau zeigt die Ausstellung eben auch.
Dass er den Weg von Blumenstillleben, in denen er es zu echter Meisterschaft brachte, in die Waldnatur fand, dürfte an der Verknüpfung von nachgefragter Malerei und beginnender Naturwissenschaft liegen. Denn van Schrieck verabschiedet sich Bild für Bild von einer mystisch aufgeladen Naturwelt, wie sie Peter Paul Rubens noch nahebringt, wenn er seine Waldbodenstillleben mit allerlei fassbarem Getier und Gewürm belebt: mit Kröten, Eidechsen und Salamandern, mit Gift- und kleineren Würgeschlangen, mit Faltern aller Art. Wenn er auch Schmetterlingsflügel in seine Bilder presst oder den moosigen Waldboden mittels Schwämmen tupft und nicht strichhaft malt.
Und so – und das ist das zweite Plus dieser sehenswerten Ausstellung – führt sie uns in einen Zeitraum, in dem die Biologie, die Zoologie und Botanik weit ausholende Schritte unternahmen. Denn zu Beginn von Marseus Zeiten ist sich auch der gebildete Mensch einigermaßen sicher, dass das Leben niederer Wesen wie Insekten, Amphibien und Reptilien, wie sie schließlich van Schriecks Waldböden bevölkern, gewissermaßen aus dem Dreck des Nichts entsteht. Aus Staub, der auf den Fußbodendielen vor sich hin weht; aus Essensresten, die auf den Boden fallen und verfaulen. Die Vorstellung, die mit Warzen überzogene Erdkröte könne wie der Adler einst schlicht aus einem Ei geschlüpft sein, ist gewissermaßen noch nicht denkbar.
Bis eben im Umfeld des van Schriecks und seiner wachsam werdenden, also bald gelehrigen Zeitgenossen ein neuer Blick auf die tierische Weltszenerie gewagt wird und genaue Beobachtungen zu neuen Erkenntnissen von Fortpflanzung und Abstammung führen. Sehr hübsch erzählt das folgende Anekdote: Der mit van Schrieck befreundete Insektenforscher Johannes wunderte sich sehr, als aus einem von ihm beobachteten Schmetterlingskokon eben keine Schmetterlinge entwichen, sondern kleine Fliegen schlüpften. Bis ihm sein malender Kumpel Otto Marseus klarmachte, dass zuvor Schlupfwespen ihre Eier in die Schmetterlingslarven gelegt hatten, die so als Wirtstiere fungierten.
Womit auch die Besucher aufgefordert werden, immer aufs Neue hinzuschauen und sich gegen scheinbar Feststehendes zu stemmen, so wie es Birgit Baumgart, die Museumspädagogin des Hauses, immer wieder erleben kann. Ihre Klientel: Besucher, die meist nicht ganz freiwillig kommen, Schüler und Schülerinnen etwa. Und so kann sie von einer Schulklasse berichten, die sich nach wenigen Schritten mit Blick auf Marseus van Schriecks Waldbodenstilllebenwelt irritiert umschaute: Das ist doch alles dasselbe!
Schaut man genauer hin, entdeckt man, dass sich etwas tut in der van Schrieck’schen Welt: Lugt in einigen Waldbodengemälden die Außenwelt hinein, ist die Gestalt eines Bauern zu sehen, der unbeeindruckt vom Leben unter dem Erdboden seinem Tagwerk nachgeht, so wird dieser Ausschnitt immer kleiner. Bis die bald untergehende Sonne, der sich zuziehende Himmel, das Außen verschwunden sind und nur das belebte Dunkel bleibt. Dann sind sie unter sich, die Schlangen und Kröten, die Salamander und Falter. Hier zeigt sich dann wieder die ästhetische Faszination für das Dunkle, das Verborgene, das Unheimliche, was eben bleibt – und wenn man sich Herkunft und Entstehungsweise so ganz vernünftig erklären kann.
bis 15. Oktober, Staatliches Museum Schwerin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen