: Brandenburger Schnitzeljagd
Theater Prollig, pointen- und phrasenreich: Zur Eröffnung der vierten Schirrhofnächte im Hof des T-Werks in Potsdam zeigte die Gruppe Neues Globe Theater eine adaptierte Version von Josef Haders Stück „Indien“
von Linda Gerner
Das Wetter spielt am Mittwochabend mit beim Freilufttheater. Gegen halb sieben taucht die Sonne das Bühnenbild aus mobilen weißen Wandelementen in ein warmes Licht. Umso abrupter der Kontrast, als ein dickbäuchiger Weihnachtsmann eingangs im Stück „Indien“ über seinen Traum von weißer Weihnacht singt. Mit schaumigem Schneeeffekt erntet man das erste Klatschen von der größtenteils besetzen Plastikstuhltribüne beim Auftakt der Schirrhofnächte im Hof des T-Werks in Potsdam.
„Eine Schnitzeljagd durch die deutsche Provinz“ – so lautet der erweiterte Titel dieser Adaption des Stücks von Josef Hader und Alfred Dorfer durch das Neue Globe Theater. Die ungleichen Männer Kurt Fellner – förmlich, respektvoll, gebildet, und Heinz Bösel – prollig, rassistisch, einfältig –, reisen hier also gemeinsam durch Brandenburg und bewerten für eine Tourismusbroschüre Gaststätten.
Fellner testet die Unterbringung, Bösel futtert sich durch Schnitzel und lässt sich für eine gute Bewertung reichlich Alkohol servieren. Im Rausch spricht er abfällig über seine Frau, sagt Sätze wie: „Ich bums die eigentlich nur noch, um ihr eins auszuwischen.“ Nach einigen der sexistischen und rassistischen Ausfällen seines Kollegen befindet Fellner: „Herr Bösel, ich glaube Sie sind einfach eine bescheuerte, ignorante Arschgeige.“ Fellner entflieht der Realität durch Geschichten über sein Sehnsuchtsland Indien. Verklärt spricht er von Hochzeitsbräuchen, Wiedergeburt und indische Esskultur: „Die sitzen auf der Straße, essen Reis, lachen dabei, und manche verhungern.“
Die anfängliche Ablehnung der Protagonisten verändert sich zwischen Schnitzel und Grappa langsam in eine Männerfreundschaft. Es dominieren die Themen: Saufen, Essen, Kacken, Vögeln. Dazwischen auch mal Selbstzweifel. Das geschieht in schnellen Dialogen in derber Sprache mit hoher Pointendichte. Mit der tragischen Schlusswendung verändern sich die desillusionierten Charaktere. Statt prolliger Phrasendrescherei gibt’s nun mitfühlende Sprüche vom Grobian Bösel, während Fellner auch mal flucht.
In Potsdam sind Sebastian Bischoff als Kurt Fellner und Andreas Erfurth als Heinz Bösel zu sehen. Gemeinsam mit Kai Frederic Schrickel gründeten sie 2015 in Potsdam die Theatergruppe Neues Globe Theater. Zuvor waren sie im Ensemble Shakespeare und Partner aktiv.
Die von Schauspielern geleitete Gruppe will mit ihrem Spiel das Shakespeare’sche Theater des Globe Theatre in London aus dem 16. Jahrhundert in heutigen Produktionen aufleben lassen. So sprechen sie ihr Publikum direkt an, verzichten auf ein aufwändiges Bühnenbild. Gespielt werden – wie sollte es anders sein – oft Shakespeare-Werke in leichter Modifikation. Doch auch Schiller steht auf dem Programm, im Rahmen der Schirrhofnächte inszeniert die Gruppe „Die Räuber.“ Mit „Indien“ wird erstmals ein zeitgenössisches Stück gezeigt.
Das Stück von den beiden österreichischen Kabarettisten Josef Hader und Alfred Dorfer, das durch die Verfilmung im Jahr 1993 (Hader spielte dabei den Bösel, Dorfer gab den Fellner) Kultstatus in Österreich erhielt, wird aktuell von einigen Theaterbühnen gespielt.
„Indien – Eine Schnitzeljagd durch die deutsche Provinz“ mit dem Neuen Globe Theater ist bei den Potsdamer Schirrhofnächten nochmals am 29. und 30. August, jeweils 19 Uhr, zu sehen.
Die Schirrhofnächte auf dem Schirrhof direkt neben dem T-Werk, Schiffbauergasse 4e, gibt es nun bereits das vierte Mal, sie laufen noch bis 3. September. An diesem Wochenende ist vom Neuen Globe Theater „Othello“ von William Shakespeare zu sehen, nach der Vorstellung am Samstag spielen The Mighty Mocambos aus Hamburg Funk, Soul und Jazz.
Weitere Aufführungen bei den Schirrhofnächten: „Komödie der Irrungen“ und „Die Räuber“. Bei schlechter Witterung finden die Vorstellungen im T-Werk statt. Info: www.t-werk.de
Die Potsdamer Inszenierung verlegt die Geschichte von der niederösterreichischen Provinz nach Brandenburg, baut Lokalkolorit ein, bleibt textlich aber nah am Original. Für ein Mehr an Klamauk sorgen musikalischen Einlagen von Schauspieler Saro Emirze. Er trällert in Karaokemanier mal als Wirt, vollbusige Putzfrau, indischer Arzt oder pinker Hase. Die ersten paar Schlagernummern will man dem charmant grinsenden Mann noch als gedehnte Umbaupausen verzeihen. Doch nach „Kalkutta liegt am Ganges“ mit Mitklatschanimation schwant einem beim Bühnenauftritt von Emirze nichts Gutes. Aus irgendeinem Schleier zaubert er meistens ein Mikrofon hervor und wird erst bei der zehnten Gesangseinlage langsam heiser.
Doch wie zu Shakespeare-Zeiten funktioniert beim Potsdamer Publikum der Klamauk – Emirze hat die Lacher auf seiner Seite und bei „Ich war noch niemals in New York“ etliche schunkelnde Mitsänger.
Auch Shakespeare arbeitete gern mit Wiederholungen, damit das Publikum dem Stück gut folgen konnte. Nicht unüblich war damals, dass die Besucher des Globe Theatre mitten im Stück das Theater verließen, aßen und sich unterhielten. In Potsdam saß man zivilisiert auf den Plastikstühlen, wedelte hin und wieder eine Mücke weg und sah dank Schlager ein auf über zwei Stunden gestrecktes Stück.
Spaß macht „Indien“ trotzdem durch die Spielfreude der drei Schauspieler, das Publikum darf fast durchgängig schmunzeln. Stimmig seicht endet der vermeintlich dramatische Schluss mit feinsten Bollywood-Moves. So gibt das Neue Globe Theater seinem Publikum in Potsdam noch etwas vom Sehnsuchtsland Indien mit auf den Heimweg.
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