piwik no script img

Halsbandsittiche erobern das Rheinland

Neobiota Der kleine grüne Vogel mit dem roten Halsband und dem roten Schnabel ist entlang der Rhein-schiene in den letzten Jahrzehnten heimisch geworden. Nicht überall wird der Halsbandsittich jedoch geliebt

von Lutz Debus

Den Kölnern ist ja wenig heilig. Ihr Dom ist ihnen heilig, natürlich der Karneval und – ihre spärlichen Parkplätze. Auf Letztere hat es eine ganz besondere Art von Migranten abgesehen. Es gibt Plätze und Straßen, besonders in der im alternativen Milieu beliebten Südstadt, da ist das Parken von Autos, das Flanieren oder auch nur das Sitzen auf Bänken unmöglich geworden. Hunderte von kleinen grünen Papageien finden sich in den Abendstunden in den Kronen der hohen Platanen ein, um gemeinsam die Nacht zu verbringen. Dabei machen die Halsbandsittiche ohrenbetäubenden Lärm und erleichtern sich. Unter den Bäumen bildet sich schnell eine Kruste von Vogel­exkrementen.

Als sich der zuständige grünalternative Bezirksbürgermeister ein Bild von dem öffentlichen Ärgernis machen wollte, wurde sein Fahrrad in kurzer Zeit so sehr verschmutzt, dass er sofort ein erklärter Gegner der aus Asien und Afrika stammenden Vögel wurde. Der Umweltausschuss beschloss umgehend, die zuständigen Behörden zu beauftragen, die Papageien zu vertreiben. Bis jetzt konnte man sich allerdings noch nicht auf eine praktikable Methode einigen, die auch Tierschützern annehmbar erscheint.

Falken und Vogelscheuchen

Sollen die Vögel mit Wasserschläuchen vertrieben werden? Soll man sie mit Scheinwerfern blenden oder mit Lärm beschallen? Soll man ihre Bäume mit Netzen verhängen oder die Bäume gar fällen? Auch der Einsatz von Falken und Vogelscheuchen wurde diskutiert. Passiert ist bislang nichts. Das ist vielleicht auch gut so. In der Nachbarstadt Düsseldorf hat man inzwischen erkannt, dass der Kampf gegen die inzwischen im ganzen Rheinland heimischen Papageien einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. In der Landeshauptstadt ließen sich die Vögel ausgerechnet an der edlen Königsallee nieder. Inzwischen hat man dort mit den zwitschernden und verdauenden Tieren Frieden geschlossen, nutzt sie gar als Touristenattraktion.

Tatsächlich gibt es zumindest aus ökologischer Sicht bisher keinen Grund, gegen die Halsbandsittiche vorzugehen, weiß Sebastian Kolberg vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die Vögel seien zwar eine gebietsfremde, aber keine invasive Art. Diesen Unterschied machen Naturschützer und Behörden, um das weitere Vorgehen festzulegen. Gebietsfremd seien alle Arten von Tieren und Pflanzen, die durch den Menschen, ob beabsichtigt oder nicht, ins heimische Ökosystem eingebracht wurden.

Geschah dies nach dem Jahr 1492, gelten sie als sogenannte Neobiota. War es davor, so spricht die Fachwelt von Archäobiota. Die Festlegung auf das Jahr 1492 wählte man aufgrund der Entdeckung Amerikas und damit der Neuen Welt. Gebietsfremd sind somit nicht nur der Halsbandsittich, sondern auch die Kartoffel.

Eine invasive Art hingegen ist nicht nur ortsfremd. Sie gefährdet das bestehende Ökosystem, indem sie entweder heimische Arten auf ihrem Speiseplan hat und damit droht, sie auszurotten, oder sie verdrängt sie, weil sie deren Nahrung und Lebensraum beansprucht. Auch können gewisse Arten wie zum Beispiel bestimmte eingeführte Flusskrebse durch die Übertragung von Krankheiten heimische Bestände gefährden. Letztlich fallen auch die Lebewesen unter die invasiven Arten, die eine Gefährdung für den Menschen darstellen. Dies ist beim Riesenbärenklau der Fall. Die Pflanze aus dem Kaukasus verursacht gefährliche Quaddeln auf der Haut, wenn man mit ihr in Berührung kommt und Sonnenlicht auf die Kontaktfläche scheint. Hat sich der Bärenklau erst einmal angesiedelt, ist ihm nur noch mit mehrmaligem Pflügen beizukommen.

Die im Rheinland brütenden Papageien erfüllen allerdings keine der Kriterien, um eine invasive Art zu sein. Sie ernähren sich streng vegetarisch von Blüten und Früchten von weitverbreiteten Pflanzen. Auch verdrängten sie keine heimischen Arten, so Till Töpfer, Ornithologe am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK) in Bonn. Sie übertragen keine Krankheiten und stellen keine Gefahr für den Menschen dar, sondern nur ein Ärgernis.

Das erste Paar wurde in Deutschland 1967 in Köln gesichtet. Wahrscheinlich ist es dem Zoo oder einer Privatperson entflogen. In der im Winter milden Rheinschiene konnte sich die Art ausbreiten. Der Klimawandel hat in den letzten Jahren bei der rasanten Ausbreitung geholfen. So schätzt man den Bestand in Deutschland auf inzwischen 7.500 Tieren. Irgendwann werde sich die Zahl der Halsbandsittiche jedoch einpendeln, da die Kapazität in den Städten begrenzt sei, erklärte der Bonner Ornithologe in der Rheinischen Post.

Gefahren für das heimische Ökosystem stellen andere Arten dar. Gerade hat die Europäische Union ihre Liste der invasiven Arten von 37 auf 49 erweitert. Diese Liste allerdings, so erklärt der Nabu, decke lediglich einen Bruchteil der invasiven Arten ab. EU-weit rechne man mit bis zu 1.800 Arten, die ökonomische Schäden von mindestens 12 Milliarden Euro verursachen.

Der Klimawandel hat in den letzten Jahren bei der rasanten Ausbreitung geholfen

Invasive Grauhörnchen

Ein klassisches Beispiel für die dramatischen Folgen der Ausbreitung invasiver Arten ist die Konkurrenz zwischen einheimischen Eichhörnchen und ausgesetzten Grauhörnchen, die aus Nordamerika stammen. Besonders in Großbritannien hat das stärkere Grauhörnchen das Eichhörnchen aus den meisten Wäldern verdrängt. Da sich das Grauhörnchen im Gegensatz zum rötlichen Eichhörnchen auch von der Rinde junger Bäume ernährt, gefährdet es nicht nur die Eichhörnchen, sondern auch den Baumbestand. Nun versucht man, durch die Ansiedlung von Mardern, die die langsameren Grauhörnchen besser fangen können, die Einwanderer aus Nordamerika wieder zurückzudrängen.

Beim Waschbären, der hierzulande aktuell ein Pro­blem darstellen kann, ist man bei der Wahl der Waffen noch unschlüssig. Waschbären, die sich rasant vermehren, können bedrohte Vogelarten, die versteckt oder am Boden brüten, gefährden. Der Deutsche Tierschutzbund (DTB) lehnt die Jagd auf den Waschbären ab. Der Deutsche Jagdverband (DJV) hingegen befürwortet diesen Weg als den einzig gangbaren. Sterilisation oder das Auslegen von Ködern mit empfängnisverhütenden Mitteln seien zu teuer und nicht praktikabel, so die Jäger.

Sebastian Kolberg vom Nabu akzeptiert jagdliche Maßnahmen als Teil einer von Fach­leuten erarbeiteten Gesamtstrategie, das allerdings nur als Brückenmaßnahme. „Letztlich hilft nur die Aufwertung und der nachhaltige Schutz der Lebensräume von bedrohten Arten.“ Diese sollten bei der Erarbeitung von Managementplänen stets mitgedacht werden. „Jagdliche Maßnahmen dürfen kein Dauerzustand sein“, so Kolberg. Wenn den bedrohten Vogelarten genug natürlicher Raum zur Verfügung gestellt werde, kann damit einer Gefährdung der entsprechenden Arten häufig entgegengewirkt werden. Der Mensch mit seinen Gebietsansprüchen durch Verkehr, Betonierung und industrieller Landwirtschaft sei der weitaus größere Feind der bedrohten Spezies.

Der Homo sapiens ist auch ein entscheidender Faktor, wenn es um die Wiederansiedlung ausgestorbener Tierarten geht. Manche Fledermausarten finden wieder Lebensraum in Mitteleuropa. Viele Menschen beobachten diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Sie verbinden mit den nachtaktiven Tieren angstvolle Fantasien. Auch die eigenständige Rückkehr der Wölfe wird von vielen Menschen kritisch gesehen. Wölfe übernehmen durch die Jagd auf kranke und alte Wildtiere wieder die ökologische Funktion, die einst durch ihre Ausrottung verloren gegangen ist, so Sebastian Kolberg, Doch die Märchenfigur des bösen Wolfs wirkt noch heute. Dagegen, so Kolberg, helfe nur eine faktenbasierte Öffentlichkeitsarbeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen