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Vom Kunstsein und vom Kunstseinwollen

LIVESan Francisco besiegt Tokio glatt in drei Sätzen: Doom Metal mit Acid King und Boris im Festsaal Kreuzberg

Und der Gewinner des Abends war: Acid King. Das Trio aus San Francisco überzeugte an diesem Doom-Metal-Abend im Hochsommer im Kreuzberger Lido mit handwerklich anspruchsvollem, überaus lässig gespieltem Stoner Doom; die eigentliche Hauptattraktion des Abends, Boris aus dem fernen Tokio, gefiel sich hingegen etwas zu sehr in ausgestellter Prätention. Der Unterschied war deutlich: Boris wollten Kunst, wollten Kunst sein, unbedingt; mit Gong, langen Feedbackschleifen, einem Gesang, der in die Nähe des Kehlkopfgesangs rückte. Eine böse Musik mit lauter Versatzstücken und viel Frickelarbeit, die stets die große Gothic-Rock-Oper sein wollte. Irgendwann hämmerte sogar ein Techno-Viervierteltakt-Beat durch den Saal.

Acid King hingegen waren Kunst, schlicht und einfach. Die Kunst dieser Band bestand darin, das Schlichte mit dem Dramatischen, das Dramatische mit dem Entspannten zusammenzuführen: „Stoner Rock“ ist da eine passende Bezeichnung, ansonsten müsste man sich überlegen, ob es ein Genre geben könnte, das ungefähr ­„tiefenentspannter Doom“ heißt.

Man muss ja nicht gleich die Rockröhre markieren

Für das Schlichte war Sängerin und Gitarristin Lori S. verantwortlich. Ihre Gitarrenarbeit bestand darin, Powerakkorde so anzuschlagen, dass sie bis zum nächsten Anschlag tief vor sich hin dröhnten. In den ausgefeilten Songstrukturen war dann meist noch Platz für Zwischendurchgegniedel, das man früher Solo hätte nennen können. Lori S.’ Gesang hob sich erfrischend von dem sonst üblichen Männergegröle, vom Barken und Shouten ab – sie sang, ohne die Rockröhre markieren zu müssen.

Das Dramatische entstand so quasi wie von selbst; Bassist Mark Lamb zeigte an, weswegen er Matte mit Waldschratbart in XXL verband: Er spielte schön dröhnende Figuren um die besagten Powerakkorde herum; das hätte fast schon Jazz sein können. Im Zentrum der Band saß aber eindeutig Joey Osbourne (Namensähnlichkeiten sind rein zufälliger Natur).

Er schüttelte sein so markantes wie variantenreiches Schlagzeugspiel so lässig aus dem Schulterbereich, das sogar Platz für nicht sofort erkennbare Spezialtricks war: So schmetterte er auch mal auf die Becken, als ob es darum gehen würde, den entscheidenden Tiebreak endlich zuzumachen. Oder aber er spielte einen kurzen Stop auf der Hi-Hat. Acid King: Das sah weniger nach schmerzverzerrter Ernsthaftigkeit mit dem Willen zum Pathos aus als eher nach dem Spaß, den man sich abends nach dem nervenden Büro gönnt: wenn man’s denn kann.

Und sie konnten es. Schließlich veröffentlicht das Trio auch schon seit 1994 Platten. Später als Helmet oder die Melvins, die man hier auch immer raushören konnte, bei aller deutlichen Doomhaftigkeit.

Eins werden mit dem Schweiß, der Erkenntnis, der Verdammnis

Fast ebenso lang sind Boris aus Tokio auf dem Markt, die sich tatsächlich nach einem Stück der Melvins benannt haben. Bekannt wurden sie, als Jim Jarmusch sie für den Soundtrack des ebenso doomigen, superlangsamen Seltsamfilms „The Limits of Control“ einspannte. Live jedoch schielten Wata, Takeshi und Atsuo immer nach der großen, bösen Geste – zu viel Gothic, zu viel Manga, wenn man mich fragt. Das war manchmal beinah eine Spur zu albern. Und der große Gong im Hintergrund klang leider auch mehr nach Blech als nach Kathedrale.

Aber sei’s drum. Kathartische Effekte hatte das in jedem Fall. Irgendwann fiel unsre helle Klei­dung auch nicht mehr auf in dem Meer aus Schwarz – man wurde eins mit dem Schweiß, der Erkenntnis, der Verdammnis. Ge­läutert gingen wir noch auf ein polnisches Bier auf die andere Straßenseite. René Hamann

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