Kreuzberger Beobachtung: Einfach irre
Am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg soll ein neues Hotel eröffnen, am Dienstag waren schon mal die Nachbarn geladen. Manche kamen mit Farbbeuteln.
Zu „nachbarschaftlichem Austausch bei Snacks & Drinks“ hatte das Hotel Orania geladen, das im September am Oranienplatz eröffnen soll, im, wie es in der Einladung hieß, „kreativen Herzen Berlins“. Einige kreative Kreuzberger hatten auf diese Einladung mit Protestaufrufen reagiert, ein neues Hotel brauche hier niemand, so der Tenor.
Am Dienstagabend ist es so weit: Hinter den hohen Fenstern des Hotelrestaurants sitzen Frauen in cremefarbenen Seidenkleidchen und Männer, die sich ihre Pullover um die Schultern gelegt haben, dazwischen huschen Kellnerinnen in hellgrauen Schürzen umher. Draußen, auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig und der angrenzenden Wiese, stehen die Protestierenden. „Wir können uns die Reichen hier nicht leisten“, steht auf einem Schild, das sie mitgebracht haben.
Auch ein paar Fotografen sind gekommen, sie hoffen, dass etwas passiert: Werden die Demonstranten die Party crashen? Werden sich Farbbeutel auf die cremefarbenen Kleidchen, die klirrenden Aperitifs ergießen? Doch nichts geschieht.
Es ist ein warmer Abend, die Sonne taucht den Oranienplatz in goldenes Licht. Trägheit macht sich breit. Protestieren? „Wir zeigen ja Präsenz“, sagt ein junger Mann in schwarzem Outfit und macht es sich auf der Wiese bequem. Die Zeit verstreicht.
Drinnen funkelt der Aperol. Draußen machen sich die Demonstranten noch ein Bier auf.
Plötzlich geschieht doch noch etwas: Eine vermummte Gestalt nähert sich auf einem Fahrrad, holt im Vorbeifahren aus, und braune Farbe ergießt sich über die Fassade. Die Gäste schauen erschrocken. Auf der anderen Seite gibt es Gelächter. Dann gehen die Gespräche weiter, drinnen wie draußen.
Später bleibt ein junges Paar unentschlossen vor dem Eingang stehen. Die beiden haben zwar eine Einladung, aber wissen nicht so recht, ob sie reinwollen. Da kommt eine junge Frau heraus, stellt sich mit Vornamen vor und beginnt zu reden: dass es doch schade wäre, bliebe das Gebäude leer; dass das Konzertprogramm perfekt sei für die Gegend, mit Jazz und Multikulti; dass alles so nett ausgedacht sei im Design; dass es doch irre sei: Immer sind die Leute gegen Veränderung. Immer wieder sagt sie, wie irre sie das findet, einfach irre, es klingt nicht mal negativ, eher fasziniert. Wir hätten doch auch einen Members Club aufmachen können, haben wir aber nicht, und jetzt so was, das finde ich einfach irre.
Überzeugen kann sie die Unentschlossenen nicht, aber das macht nichts, sagt sie, ich habe euch das jetzt erklärt, und ihr könnt das einfach mal sacken lassen, wie irre das alles ist.
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