: Mit Musik geht alles besser?
KONTINUITÄTEN David Marton macht in Wien aus Péter Esterházys Roman „Harmonia Caelestis“ Musiktheater – und geht der Erzählbarkeit von Geschichte durch Geschicht(ch)en nach. Die Musik hangelt sich über Haydn, Mozart, Bartók bis zu Gassenhauern wie „Oh mein Papa“
VON UWE MATTHEISS
Von der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont, sammelt sich zwischen den Mauern der vielen imperialen Prachtbauten Wiens jede Menge Treibgut der Geschichte an – in Gegenständen genauso wie in Haltungen und Ideen. In einem der schönsten Innenräume der Stadt, dem ehemaligen Offizierskasino am Schwarzenbergplatz, tragen der Regisseur David Marton und seine Ausstatterin Alissa Kolbusch für die Musiktheaterfassung des Romans „Harmonia Caelestis“ (2001) von Péter Esterházy Ingredienzien großbürgerlicher bis aristokratischer Lebensstile in einem wunderschön muffigen Arrangement zusammen. Mit der Architektur des realen Raums als Readymade verschmelzen Ohrensesselgruppen, hohe Bücherregale, Plexiglaskabinen mit Büroeinrichtungen einer Zeit, in der noch „Bureau“ an der Eichentür stand, ein Stapel Feldbetten und immer wieder Musikinstrumente zu einem eigentümlichen Gedankenraum, in dem Vergangenes flüchtig präsent werden kann, ohne die Gegenwart zu vergessen.
Mitteleuropäische Geschichte vom Beginn der Habsburgerei über Meister Haydn bis knapp vor die Wende möchte der geneigte Leser schon erfahren von jemandem mit dem berühmten Namen Esterházy. Der Roman des Schriftstellers Péter Esterházy spielt mit dem hartnäckigen Bedürfnis, Sinn von Sein durch Geschichte zu erfahren, aus der Kontinuität nationaler oder wenigsten familialer Erzählungen. Genau das aber verweigert Péter Esterházy nach einem Jahrhundert der Kriege, des Völkermords, der Emigration und der Vertreibungen. Sinn aus familiären Zugehörigkeiten gewinnen zu wollen ist am Ausgang des Jahrhunderts nicht nur eitel, sondern auch obszön. So zerfällt, was in einer früheren literarischen Epoche vermutlich zur opulent erzählten Transformation einer weit verzweigten Magnaten- und Mäzenatenfamilie in einen bürgerlichen Intellektuellenhaushalt geraten wäre, in eine Sammlung von Episoden und elementaren Sätzen, die im Gewand der Anekdote daherkommen. Ein Glasperlenspiel mit bunten Scherben, an denen man sich durchaus schneiden kann, aber auch die singulär gelungene Adaption postmoderner Perspektiven in der Literatur hiesiger Breiten- und Längengrade.
„Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt“ – der Abend eröffnet mit der Absage an die Kraft der Fiktion, hinter die Wirklichkeit zu ihren möglicherweise tieferen Gründen zu gelangen. Was aber soll man im Theater mit einer Prosa, die so gar nicht zur Theatralität drängt, sondern als „Numerierte Sätze aus dem Leben der Familie Esterházy“ bruchstückhaft zu bleiben vorgibt? Musik als anderes Ordnungsprinzip bietet sich an zur Verhandlung himmlischer Harmonien, die im Buch tatsächlich eine weit hergeholte Rolle spielen.
Im Raum von Alissa Kolbusch möchte man sich die Geschichte auch von David Marton erzählen lassen, der die ungarischen Verhältnisse von Kindheit an kennt und als studierter Pianist zum Theater gestoßen ist, als es Musik unter Marthaler nicht mehr nur als Beiwerk gebrauchte, sondern als konstitutives Element und Erkenntnis förderndes Ferment wiederentdeckte. Es folgt eine exzellent musizierte Nummernfolge mit Nurit Stark, Paul Brody und Jan Czajkowski als Instrumentalisten, der feinen Stimme des jungen Johann Ebert und der raumgreifenden Präsenz von Yelena Kuljic. Die Musik hangelt sich über Haydn, Mozart, Bartók zu Gassenhauern wie „Oh mein Papa“ und der bürgerlichen Albumblattschmonzette vom „Erlkönig“. Bettina Stucky, Peter Matić und Philipp Hauß beteiligen sich gewinnend am Gesang, die MusikerInnen an den szenischen Versatzstücken. Sie spielen eher strukturelle Positionen in einem Familiengefüge als Figuren, in der Halbdistanz mit Esterházys feinem Gleichgewicht von Empathie und Skepsis. Auch die Personen sind irgendwie Readymades ihrer Beschädigung durch Geschichte. Jeder für sich ist großartig und doch ausgespien aus ihrem Lauf. Alles dreht sich um den Vater, den „Meinvater“, dessen Bild Esterházy bald in jedem männlichen Esterházy sieht, für den Peter Matić vehement, aber nie aufdringlich wirbt, bis sich im Nachspiel seine Kollaboration mit den Peinigern der Staatssicherheit erweist, was auch der Sohn nicht mehr zu rechtfertigen weiß.
Die Musik aber verliert zunehmend den Charakter der Wahrheitsdroge, die dem Theater Widersprüche zugleich aufreißt und vermittelt. Ihr geht der Gaul der Affirmation durch mit falschen Harmonien für die Disharmonien der Welt. Was im Marthalerpfad beginnt, landet auf der Wittenbrinkstraße und lähmt den Abend eher, als es ihn kurzweilig macht. Dennoch in Wien ein großer Erfolg.
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