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Zu Fuß durch SüdmährenBeim Authentisten

In und um Brünn herum: auf einer Wanderung durch die südmährische Kulturlandschaft mit einem Tschechien-Reiseveranstalter der ersten Stunde.

Historische Weinkeller in Südmähren Foto: imago/Margit Wild

Wir verkosten den Wein beim ­sogenannten Authentisten im tschechischen Bo­ře­tice. Dutzende von nebeneinanderliegenden Weinkellern reihen sich entlang der beiden Weingassen etwas außerhalb des Ortes aneinander. Geduckte Winzerarchitektur. Vom Wein offensichtlich beflügelt, haben die hiesigen Weinbauern eine „Freie Bundesrepublik Kraví hora (Kuhberg)“ mit eigener Regierung und eigenem Präsidenten gegründet. Diese organisiert verschiedene Winzer- und Kulturveranstaltungen. Die „Winzerrepublik“ hat ihren Sitz in einem Weinkeller.

Die Gemeinde Bořetice und die Freie Weinrepublik liegen eingebettet in die hügelige Landschaft des Höhenzugs Ždánický les (Steinitzer Wald). Umgeben von jetzt blühenden, blauen Mohnfeldern, Adonisröschen und Wein. An den Hängen oberhalb der Weinkeller wachsen Welschriesling, Grüner Veltliner, Neuburger und Müller Thurgau. Besonders gut gedeihen und besonders schmackhaft sind Blauer Portugieser, St. Laurent, Blaufränkischer. Wir trinken diese Sorten beim Authentisten. Und bleiben dabei.

Der Unterschied zwischen einem belanglosen und einem authentischen Wein sei die Faszination, die von Letzterem ausgeht, behauptet Ota Ševčík, der das Weingut seiner Familie modern weiterführt. Es sei der Reiz des Wechsels zwischen Neugier erweckender Spröde, verschwenderischem Reichtum, seidiger Zartheit und unbequemer Kantigkeit. „Es ist die Spannung, die der Wein selbst erzeugt und über lange Zeit aufrechterhält. Und es ist die Lagerung in Holzfässern und wenig Schwefel“, erklärt der junge Winzer .

Authentische Weine entstünden, wenn der Winzer sich zurücknimmt und nicht versucht, seinen Wein gewaltsam in eine gewünschte Form zu zwingen. Sie entstehen, wenn er mit der Natur arbeitet, statt sich gegen sie zu stemmen. Deshalb wird ein großer Teil der authentischen Weine ökologisch produziert. Authentische Weine können in jedem Anbaugebiet entstehen, sie sind so vielfältig wie überraschend.

Es ist die Spannung, die der Wein selbst erzeugt und über ­lange Zeit ­aufrechterhält

Ota Ševčík, Winzer

Authentisch wollen auch die Reisen von „Begegnung mit ­Böhmen“ sein. Deren Gründer, Erwin Aschenbrenner, bietet derzeit rund 35 Rad-, Langlauf-, Kanu- und Wanderreisen an, die meisten zweimal pro Jahr in unsere östlichen Nachbarstaaten. Wir, sieben Frauen, ein Mann und zwei Reiseleiterinnen, Katka und Blanka, wandern zwischen Weinbergen und Weltkultur auf einer Genussreise durch Südmähren. Der Altersdurchschnitt 50 plus ist typisch für solche Reisen, genauso der Frauenüberschuss. Und: Die meisten hier sind Wiederholungstäter.

Zwetschgenpowidl in der Slow-Food-Arche

Eigentlich ist Erwin Aschenbrenner Kulturwissenschaftler, auch Tourismuskritiker. Reisen und mehrmonatige Aufenthalte in Südostasien und Südamerika schärften seine Sinne für, wie er sagt, die „subtile Kulturzerstörung“ durch Tourismus. Aschenbrenner wollte damals, 1989, eigentlich touristische Qualifikationsseminare für Dritte-Welt-Tourismus anbieten. Doch mit der Grenzöffnung lag die Dritte Welt plötzlich vor der Tür. Die Theo­rien vom kulturnahen, sen­si­blen Tourismus in Dritte-Welt-Länder konnte Aschenbrenner nun grenznah in der neu zu entdeckenden Nachbarregion Böhmen umsetzen.

Mit drei einwöchigen Radreisen ging es für ihn 1991 für ein Projekt „Kulturnaher, sozialer- und umweltverträglicher Bildungstourismus“ beim Evangelischen Bildungswerk in Regensburg los. Der Tourismus in die damalige Tschechoslowakei war kaum entwickelt und reduziert auf Wochenendreisen nach Prag, Billigeinkaufsfahrten an die Grenze oder grenznahen Pro­sti­tu­tions­tou­ris­mus.

Reisetipps

Veranstalter: Begegnung mit Böhmen, Dechbettenerstr. 47b, 93049 Regensburg, Tel: (+49) 0941/26080, www.boehmen-reisen.de. Reisen abseits üblicher Touristenrouten mit persönlicher, kulturnaher Betreuung durch einheimische Reiseleiter

Authentist: Ota Ševčík. www.otasevcik.cz

Restaurants: Das Forhaus in Brünn mit regionaler, anspruchsvoller Küche: www.forhaus.cz/home. Das hippe Cafe Era: www.czechtourism.com/g/brno-era-cafe

Tschechische Zentrale für T­ourismus: https://www.czechtourism.com

Die Reise wurde von Begegnung mit Böhmen unterstützt.

Statt mit dem Rad sind wir zu Fuß unterwegs. Ein Bus bringt uns von unsere Unterkunft nahe Němčičky, wo wir drei Nächte wohnen, nach Tvarožná Lhota im Vorland der Weißen Karpaten. In die Slow-Food-Arche von Südmähren wurden drei typische regionale Produkte auf­genommen: Zwetschgenpowidl, die Weinsorte Neuburger und der Speierling. Dessen Früchte, als Marmelade und Tee ver­arbeitet, kosten wir im Speierling Museum von Tvarožná Lhota.

Der Speierling, dieser ausladende Baum, ist vom Aussterben bedroht, wie die Vielfalt der Obstwiesen am Fuße der Weißen Karpaten, wo wir zu den bekanntesten Speierlingsriesen wandern. Auch durch das Dorf Vnorovy. Dort wurde der mährische Dichter Jan Skácel geboren, den Katka immer wieder mit seinen Oden an diese mährische Landschaft zitiert: „Stoßen wir an, und trinken wir’s still aus …“. Der Wein beim Abendessen auf der Terrasse unserer Unterkunft für drei Tage ist ein regionaler Blaufränkischer. Diese familiengeführte Unterkunft nahe dem Dorf Němčičky stellt eigene landwirtschaftliche Produkte auf den Tisch.

Damals, sagt Aschenbrenner, gab es überhaupt kein Familienhotel. „Es gab Funktionärshäuser. 1990 habe ich die ersten Privatwohnungen gesucht, da waren wir noch in Wohnzimmern untergebracht.“ Das habe sich total geändert. „Was man nicht immer durchhält, sind die perfekten ökologischen Unterkünfte, die gibt es meist nicht. Aber wir haben durchgehalten, dass wir in landesnahen Unterkünften sind. Wenn es landesnah ist, dann kann ich die Leute vor Ort nicht missionieren.“

Deutsche Besserwisserei wäre kaum angebracht. „Was auch eine spannende Entwicklung ist, dass am Anfang unserer Reisen in den 90er Jahren eine Aversion gegen deutsche Touristen spürbar war. Die hat sich inzwischen aufgelöst“, sagt Aschenbrenner.

Hipster in Nikolsburg

Nikolsburg ist Österreich ganz nah und nicht nur deshalb ein touristischer Brennpunkt. Das Zentrum von Mikulov – deutsch: Nikolsburg – mit verzierten historischen Häusern steht unter Denkmalschutz. Wir steigen auf den Heiligen Berg, wo seit 2010 der markierte Jakobsweg beginnt. Gegenüber am Fuße eines Felsens thront das mächtige Renaissanceschloss. Nikolsburg hat eine reiche jüdische Geschichte. Hier befand sich das Zentrum der mährischen Juden. Belegt ist, dass der sagenumwobene Rabbi Löw in Nikolsburg wirkte.

Mittagessen im Café Era, dem alten Pfarrhaus von Klentnice mit seinen selbst gemachten alkoholfreien Mixgetränken aus einheimischen Zutaten und einer designten, lokal angehauchten Küche. Junge, schicke Städter, Hipster, speisen hier oder sonnen sich auf Liegestühlen, einen hübschen Drink in der Hand.

Steiler Aufstieg in die Pollauer Berge, dafür aussichtsreicher Abstieg nach Pollau. Einkehr bei Svata. Sein alter Weinkeller liegt mit Blick auf den künstlichen See. Bei einheimischen Wurstwaren und selbst gekeltertem Weißwein rezitiert Svata, der früher am Schauspielhaus von Brünn spielte, Gedichte aus der Region mit augen­zwickerndem Pathos.

„Ornament ist Verbrechen“

End- und Ausgangspunkt unsere Reise ist Brünn, die mährische Metropole und Studentenstadt. Während sich die Vororte der Stadt nach dem Motto des in Brünn geborenen Architekten Adolf Loos, „Ornament ist Verbrechen“, entwickelt haben, überwiegen im Zentrum k. u. k. und Klassizismus.

Die Entwicklung der Textilindustrie in Brünn und die Entstehung einer reichen Unternehmerschicht haben dazu beigetragen, dass Brünn eine Wiege des Funktionalismus war. In Vollendung ist das zu sehen in der Brünner Villa Tugendhat. Sie wird zu den bedeutendsten Bauten Mies van der Rohes gezählt. Ein Meilenstein der modernen Architektur.

Im alten Zentrum von Brünn findet wir traditionelle Cafés, lärmende Bierkneipen und südmährische Küche mit Olivenöl im gestylten k. u. k. Ambiente wie im Forhaus. Man trinkt selbstverständlich mährischen Wein.

Die Reisen von „Begegnung mit Böhmen“ starten und enden immer am Bahnhof. 90 Prozent der Gäste reisen mit dem Zug an.

„Das ist Konzept“, sagt Erwin Aschenbrenner. Der nachhaltige Veranstalter hat sein Programm lange durchgehalten und entwickelt. Auf diese Weise konnte seine Klientel verlässlich mit ihm altern.

„Ich werde die Konzeption Jüngeren übergeben“, sagt Aschenbrenner. „Die haben andere Ideen.“ Etwa Qigong in den Pollauer Bergen? Nicht unbedingt authentisch, aber auf jeden Fall trendig und wahrscheinlich auch gesund und damit unbedingt nachhaltig.

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