piwik no script img

NagelnDer Diesel, das war mal ein Lebensgefühl. Ein AbschiedDie Liebe, nichts als Schall und Rauch

Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Martin Reichert

Den Schlüssel umdrehen, bis er einrastet, warten. Das rote Lämpchen leuchtet. Den Schlüssel noch einmal umdrehen, warten. Noch einmal leuchtet das rote Lämpchen auf dem Armaturenbrett aus Hartplastik. Aber dann: Der Anlasser dreht sich, dreht sich, bis plötzlich das ganze Gefährt rumpelt, wackelt und vibriert. Der 1,6-Liter-Motor des Golf I springt an. Die Symphonie aus vibrierendem Armaturenbrett und Schlüsselbundgeklingel ist fast lauter als das harte Nageln der Zylinderköpfe. Dass der Motor lief, sah man auch gleich im Rückspiegel: Schwarzer Rauch stieg auf.

Das erste Auto, es war ein Diesel.

Zu der Zeit, als ich ihn erwarb, kam gerade der Golf III raus – bei den Automobilherstellern fingen allmählich die Controller an, wichtiger zu werden als die Ingenieure. Schon bald würde der Diesel größtenteils turboaufgeladener Mainstream sein. Aber noch war die gute alte Zeit: Wer Diesel fuhr, war nämlich der Gute. Anstatt mit dem GTI aus lauter Fun Benzin durch die Einspritzpumpe zu jagen oder gar saufende Sechszylinder mit großem Hubraum zu bewegen, begnügte sich insbesondere der Golf-Fahrer mit dem Wesentlichen. Golf Diesel fuhr nicht nur die noch nicht privatisierte Bundespost, sondern auch der protestantische Pfarrer und die Studentin. Und zwar der Umwelt (und dem Portemonnaie) zuliebe: Mit 54 PS verbrauchte das Auto im Schnitt nur rund sechs Liter. Und der Liter Diesel kostete nur ein bisschen was über einer Deutschen Mark. Diesel fahren, das war Minimalismus, Konsumverweigerung und Umweltschutz in einem. „Es ist ja ein Diesel“, so konnte man damals das schlechte Gewissen beruhigen, das in den Achtzigern noch Waldsterben und nicht Klimawandel hieß.

Der nächste Diesel war dann im Studium gleich ein Mercedes. Ein 200 D mit 72 PS, weil ich als Taxifahrer jobbte. Eine Ikone, die sogenannte Wanderdüne. Weil der Motor des 200 D nie kalt wurde, er wurde ja im Schichtbetrieb gefahren, war der hochdrehende Benz sogar recht flott – wenn man das Gaspedal stets durchtrat, das „An-aus-Prinzip“, bis „hinten die Briketts rausflogen“. Er hatte diesen typischen Langhuber-Klang, so ähnlich wie ein Schiffsmotor. Der 200 D wurde nicht nur von Bauern bevorzugt, die ihn gerne steuergünstig mit Heizöl betankten (dabei brauchte er ja nur sieben Liter), sondern auch von „Sozialkundelehrern“, also bürgerlich-linksliberalem Milieu. Linksradikale, Autonome und Alternative bevorzugten die älteren und erschwinglicheren Modelle aus den Siebzigern; auch, weil man sich mit diesem Auto jederzeit trauen konnte, spontan und mit Reservekanister die Seidenstraße abzufahren.

Der Diesel, das war auch immer das gute, brave und zuverlässige Nutztier, das ganz unprätentiös dem Transport diente.

Heute fahre ich ab und an den Volvo-Turbodiesel meines Lebensgefährten, der dezent unter der Haube schnorchelt und einen bei Bedarf auch mal ein bisschen in den Sitz drückt, wenn man Gas gibt. Nur sechs Liter im Schnitt! Er hat einen Partikelfilter! Er ist schwarz. Er ist kein Volkswagen und er gehört auch nicht zum Kartell. Kann ich also nicht doch zur guten Seite gehören?

Das mit dem Diesel, es war wie mit dem Rauchen. Es war Liebe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen