Türkei-Jubelanzeigen bei der „Welt“: Ein Umstand mit Geschmäckle
Verlage profitieren finanziell von der Imagepolitur der Türkei. Bei der „Welt“ schmerzt das besonders. Ihr Korrespondent sitzt in der Türkei in Haft.
Am Wochenende veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung eine ganzseitige Anzeige, die in geradezu zynischem Jubel die Niederschlagung des Putsches in der Türkei und die Wiederherstellung der „demokratischen Tradition“ feierte. Herausgegeben wurde die für den Süddeutschen Verlag lukrative Werbung von der „Union der Kammern und Börsen der Türkei“. Die Empörung ist groß. Redaktionen wie die des Spiegels, der Bild und der Zeit betonen, ihnen habe die Anzeige auch vorgelegen, sie hätten die Veröffentlichung abgelehnt.
Trotz dieser genüsslich formulierten Abgrenzung: Auch andere Verlage profitieren von der türkischen Imagepolitur und sind sich nicht zu fein dafür, dem Despotenland, das diese Woche sechs Menschenrechtsaktivisten, darunter die türkische Direktorin von Amnesty International, verhaften ließ, seine Leser gegen Geld zur Verfügung zu stellen. So lag vor etwa drei Wochen – pünktlich zu G20 – der FAZ und der Zeit die zwölfseitige Anzeigenbeilage „Turkey – Discover the potential“ bei. Zwölf Seiten, die die schönen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei loben, die enge Verbindung, die wirtschaftliche und kulturelle Freundschaft. Die die Türkei als Reiseland preisen. Eindeutig darauf ausgerichtet, das Image der Türkei zu reparieren.
Initiatorin ist die von der Regierung unterstützte Dachorganisation Türkischer Exporteure (TIM). Verantwortlich für die Beilage, die auch in diversen anderen Ländern erschien, ist wiederum die türkische Firma Global Connection, die ihren Hauptsitz in Lausanne ausweist – wo allerdings nur die Buchhaltung sitzt.
Global Connection ist wohl ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das seit Jahren die Türkei in ihren bunteren Farben darstellt und die Kunde vom fröhlichen, offenen Land zwischen den Kontinenten von seinen „Partnern“ (darunter NZZ, Le Monde, Gazprom-Media, Al-Jazeera aber auch Politico und Burda International) verbreiten lässt. Auch der Axel Springer Verlag wird als „Partner“ geführt, mit Verweis auf die langjährige Zusammenarbeit mit der Welt. Der Deutschland-Kontakt von Global Connection ist die Berliner Adresse des Verlags.
Auch die Telefonnummer führt zu Springer. Man erreicht einen nach eigener Aussage freien Mitarbeiter. Der bestätigt die Finanzierung der Beilage durch türkische Ministerien und dass die Welt jahrelang für Druck und Vertrieb zuständig gewesen sei.
Aus Dreck der Despoten Geld machen
Für diejenigen, die sich in der Türkei auskennen, die die schon seit Jahren stattfindende Unterdrückung und Kriminalisierung der Opposition und der Kurden beobachten, den Rückbau des Staates in ein Herrschermodell aus Tausendundeiner Nacht, für sie müssen die Texte, die die Türkei als ein Land schildern, in dem Milch und Honig fließen, wie Hohn klingen. Und auch Leserinnen und Leser von Zeit und FAZ muss die Beilage wie eine Veräppelung erscheinen. Ebenso wie denen des Tagesspiegels, die eine Woche vor dem G20 eine achtseitige Beilage in den Händen hielten, die den Glanz der deutsch-chinesischen Beziehungen lobpreiste.
Die Absicht der ehrwürdigen Verlage, mit dem Dreck der Despoten Geld zu machen und ihren Lesern Märchen aus dem Morgenland zuzumuten, dürfte bei vielen nicht gut ankommen. Bei der Zeit war zudem der Zeitpunkt ein überraschender. Die Werbung lag eine Woche vor dem Interview mit Präsident Erdoğan bei. Ein Umstand mit Geschmäckle.
Für die Welt stellt sich die Situation noch ganz anders dar. Im März hatte man eine Türkei-Reisebeilage mit dem großen Logo von Global Connection im Blatt. Seit Februar ist der Welt-Korrespondent Deniz Yücel in der Türkei in Haft. Das Blatt und besonders der Chefredakteur bemühen sich glaubhaft um Solidarität und Unterstützung für Deniz Yücel, haben sogar in der Türkei Verfassungsbeschwerde eingelegt. Gleichzeitig verdienen sie daran, Märchen von der schönen Türkei zu verbreiten?
Wer weiß Bescheid?
Der freie Mitarbeiter sagt, die Zusammenarbeit sei beendet worden. Von der Zusammenarbeit will die Welt-Redaktion nichts gewusst haben. Solche Kooperationen gehen wie bei den meisten Verlagen über eine ausgelagerte Vermarktungseinheit, im Falle Springer Media Impact. Fakt ist: Die Beilage wurde in der Druckerei von Axel Springer im Auftrag der Zeit gedruckt.
Die Bigotterie, dass Verlage, die sich für Demokratie und Pressefreiheit einsetzen, die noch dazu für die Freilassung ihrer Mitarbeiter kämpfen, an den Imagebeilagen der undemokratischen Staaten verdienen, bleibt. Dazu erbat die taz am Dienstag wie am Mittwochmorgen eine Stellungnahme von Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt. „Ein Gespräch lässt sich heute leider nicht einrichten“, heißt es per Mail.
Einrichten lässt sich für Herrn Poschardt am Mittwochvormittag hingegen das Twittern im Dauertakt. Für Tweets wie „die wundebare @MV_AM antwortet auf meinen scharfen G20-kommentar – scharf!“ hat er Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut