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Röhrenradio und Bass

Konzept Einfach, aber effektiv: The Avalanches sind Meister des Samplings und ihre Songs sind simpel. In Berlin begeisterten sie ihre Fans mit alten und neuen Hits

Irgendwie ist es schon wahnsinnig lange her, als The Avalanches im Jahr 2000 ihr epochales Album „Since I Left You“ aufgenommen haben. Es war ein Konzeptalbum mit 3.500 verwendeten Samples nicht nur aus der Popgeschichte, sondern auch aus Filmen (John Waters „Polyester“ und so weiter) und Radioshows aus den 50er und 60er Jahren. Sie produzierten großartige wehmütige, superkomische Videos zu „Since I Left You“ und „Frontier Psychiatrist“.

16 Jahre dauerte es, bis Tony di Blasi und Robbie Chater, die Einzigen, die von der Ursprungsformation übrig geblieben sind, ein zweites Album – „Wild Flower“ – veröffentlichten, dass den Samplewahnsinn wieder etwas zurückschraubte. Seitdem sind sie, ergänzt durch einige Gastmusiker, viel auf Tournee. Vor ein paar Tagen noch in Roskilde, nun im Festsaal Kreuzberg.

Ein schwüler Abend in der Partyzone zwischen Kreuzberg und Neukölln. Voller Vorfreude geht man spazieren im Saal, während die Berliner Vorband Lionsphere gefällig und ein bisschen düdelig den Abend einleitet. Ein Japaner liest in einem dicken Taschenbuch am Rande. Ein Mann trägt ein „Engineering is awesome“-T-Shirt. Eine Frau zieht sich an einer mindestens drei Meter hohen Stange hoch und wird beklatscht.

Fragile Materialität

Endlich geht es los mit „Because I’m me“, einem der Hits von „Wildflower“, in dem die dünne Stimme von Eliza Wolfgramm in ihrer fragilen Materialität sehr schön zur Geltung kommt. Dann „Frank Sinatra“ mit viel Gehüpfe. Viele singen den Refrain mit, den der ­Calypso-­Sänger Wilmoth Houdini 1947 in seinem Lied „Bobby Sox Idol“ verwendet hatte.

Viele Songs sind ähnlich aufgebaut – am Anfang so röhrenradiomäßig und die Stimme der Sängerin, bevor Bass und moderne Klangfarben dazukommen. Einfach, aber effektiv.

Eine Weile freut man sich auf der Tribüne an der guten Aussicht, dann geht man doch lieber nach vorn, während das „Avalanche Rocks“-Thema immer wieder mal zitiert wird. Dann wieder HipHop mit „Spank Rock“. Ich verstehe kein Wort und bin stetig besserer Stimmung. Auf der Leinwand hinter der Bühne gibt es Comicfilme oder die Videos zu den Songs. Nach einem „Don’t let me be misunderstood“-Intro von Nina Simone dann „Frontier Psychiatrist“, das von den Zuschauern begeistert begrüßt wird.

Alles ist schön und klingt erstaunlich frisch, es macht großen Spaß, die Hits endlich mal laut auf einer guten Anlage zu hören. Man freut sich, das etwa zwei Sekunden lange Sample aus „Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band“ sofort zu erkennen, freut sich, dass der kiffende Dude aus „The Big Lebowski“ kurz zu sehen ist. Und so wirft man die Arme in die Luft, als die Avalanches zum Finale „Since I left you“ spielen.

Das Konzert ist super, dann aber leider schon zu Ende. Es hätte ewig so weitergehen können. Draußen ist es noch nicht ganz dunkel; auf der Bühne muss es superheiß gewesen sein. Detlef Kuhlbrodt

Am Montag spielen The Avalanches im Bürgerhaus Stollwerck, Köln

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