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Kolumne American PieSehnsucht nach den Senioren

Kolumne
von Thomas Winkler

NBA-Legenden versammeln sich in einer Altherrenliga und füllen in den USA die großen Sportarenen. Ein Ex-Star nimmt das besonders ernst.

Ein paar Gramm mehr auf den Rippen machen keinen Unterschied: Ex-NBA-Star Allen Iverson Foto: ap

N ahezu 20.000 Menschen passen in das BOK Center in Tulsa, Oklahoma. Die riesige Arena zu füllen gelingt den angestammten Mietern allerdings nur selten. Weder die drittklassige Eishockeymannschaft Tulsa Oilers noch das Hallen-Football-Team Tulsa Talons oder die Basketball-Frauen Tulsa Shock, die im NBA-Ableger WNBA antreten, sind attraktiv genug. Am vergangenen Sonntag allerdings war die „Big3“ zu Gast und der Laden fast voll – und durch die Reihen wehte ein Gefühl, das man hier, im Herzen des Mittleren Westens, dort, wo die meisten der Abgehängten leben, die Donald Trump zum Führer der freien Welt gewählt haben, kaum kennt: der Nabel der Welt, also zumindest der der Sportwelt zu sein. Denn dort unten auf dem Parkett spielten echte Basketballstars.

Oder, um ehrlich zu sein: Es spielten Basketballer, die mal Stars waren. Ein paar zumindest. Charles Oakley (53) war in den Neunzigerjahren Publikumsliebling bei den New York Knicks, Mahmoud Abdul-Rauf (48) galt eine Weile als einer der besten Dreierschützen der NBA, Chauncey Billups (40) führte 2004 die Detroit Pistons zur NBA-Meisterschaft. Die meisten anderen sind ehemalige Profis, die mal ein paar Jahre in der NBA aktiv waren, manche Stammspieler, eine Menge Bankdrücker und ein paar gescheiterte Talente.

Für dieses Sammelsurium hat der „Big3“-Erfinder Ice Cube, seines Zeichens Rapper, Schauspieler und Medienunternehmer, eine Basketballvariante entworfen, die an das Spiel auf den Freiplätzen angelehnt ist: Drei gegen drei auf einen Korb – mit ein paar seltsamen Sonderregeln wie einem Vierpunkte-Wurf, der von markierten Kreisen noch hinter der regulären Dreierlinie abgegeben werden kann. Jedes Team hat nur 14 Sekunden, um einen Korb zu erzielen, und die Mannschaft die zuerst 50 Punkte erzielt hat, gewinnt.

Am Sonntag fand der dritte von geplanten zehn Spieltagen der neuen Altherrenliga statt. Acht Teams mit solch klangvollen Namen wie „3 Headed Monsters“ oder „Ghost Ballers“ treten an, das ergibt an jedem Sonntag vier Spiele in einer großen NBA- oder College-Basketball-Halle – und nach den ersten beiden Partien performt Liga-Eigentümer Ice Cube zumindest in Tulsa einen Song. Es ist eine große Show, deren noch größerer Höhepunkt Ende August in Las Vegas stattfinden soll: Dort wird in einer Finalrunde der erste Meister der „Big3“ gekürt werden.

Die alten Herren sind nicht mehr 25

Um das Starpotenzial zu erhöhen, nehmen zumindest auf den Trainerbänken richtige Legenden Platz, was schon daran zu erkennen ist, dass sie schicke Spitznamen aus einer ruhmreichen NBA-Vergangenheit tragen: Allerdings sind die Aufgaben der Coaches Julius „Dr. J“ Erving (67), Clyde „The Glide“ Drexler (55) und George „The Icemen“ Gervin (65) überschaubar, denn weder wirken ihre Spieler sonderlich durchtrainiert noch werden die Begegnungen von einem Übermaß an taktischer Finesse beeinträchtigt.

Tatsächlich ist das Tempo gemächlich, sind die Verteidigungsbemühungen überschaubar und ist die Athletik ausbaufähig. Allzu viele der Akteure, vor allem Center und Power Forwards, tragen ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen. Und manch einer der ehemaligen Stars muss sich nach einem Dribbling auf die Oberschenkel stützen und erst einmal tief durchatmen.

Nicht dass sich die Altstars keine Mühe geben würden: Eher öfter als ein verwandelter Vierpunktewurf sind Stürze und Karambolagen zu bewundern, nach denen es mitunter besorgniserregend lange Sekunden dauert, bis sich die Lädierten wieder aufrappeln oder von den besorgten Kollegen aufgerichtet werden müssen. Tatsächlich ist das Verletzungsrisiko angesichts des fortgeschrittenen Alters nicht zu unterschätzen. Oberschenkelhalsbrüche wurden zwar bislang noch nicht vermeldet, aber nicht umsonst schaffte die NBA in den Neunzigerjahren ein Ehemaligen-Spiel, das sie im Rahmenprogramm des All-Star-Games eingeführt hatte, schnell wieder ab, als die alten Herren reihenweise humpelnd vom Feld mussten.

Der Anarchist Iverson

Richtig ernst nimmt das „Big3“-Spektakel allerdings nur einer: Allen Iverson, in Personalunion Trainer und unangefochtener Alleinunterhalter der „Killer 3s“. Zwar spannt auch bei „The Answer“ das Trikot etwas über dem Wohlstandsbäuchlein, aber Iverson demonstriert denselben überbordenden Ehrgeiz, den man von ihm schon aus seiner Zeit bei den Philadelphia 76ers kannte. Der 42-Jährige, das merkt man ihm an, glaubt fest daran, dass er auch heute noch in der NBA mithalten könnte.

Das Publikum quittiert es mit großem Applaus. Iverson ist fraglos der unangefochtene Star der „Big3“, die meisten Zuschauer kommen ausschließlich seinetwegen. Er ist der Posterboy der nostalgischen Zeitreise, denn sein anarchischer Charakter war schon zu seiner aktiven Zeit nicht mehr kompatibel mit der Professionalität der NBA. Wer also nach Tulsa kam, um Allen Iverson und seine leicht übergewichtigen Kollegen zu bewundern, der sehnte sich nach einem Basketball, den es eigentlich nie gab.

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