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Gunter Gabriel als proletarischer SängerFreiheit ist ein Abenteuer

Nach Kohl ist ein weiteres Schwergewicht der alten Bundesrepublik gestorben. Als „Malochermucker“ besang Gunter Gabriel das Leben.

Gunter Gabriel zeigt seine Lieblingsgeste. Das Foto wurde 2013 in Berlin aufgenommen Foto: Wolfgang Borrs

„Musikmachen ist Therapie. Ich bin fit“, sagte Gunter ­Gabriel vor vier Jahren im Gespräch mit der taz. „Klar, morgen kommt jemand und schießt mich ab. Dieser Jemand heißt der liebe Gott. Wenn du positiv denkst, bist du schon mal gerettet. Wenn man Leute, die über hundert Jahre alt sind, fragt, wie sie so alt geworden sind, dann kommt bei allen immer derselbe Spruch: positive Einschätzung von Dingen.“

Nun ist Gunter Gabriel, der sich – unbescheiden, wie er war – „Liederboss“ nannte, „Malochermucker“ oder gleich „Deutschlands einziger proletarischer Sänger“, gestorben. Als Songschreiber, Komponist und Musiker gehört Gunter Gabriels Werk zum Kanon der deutschen Schlagermusik, auch wenn diese Genrebezeichnung sein Gesamtwerk nicht richtig beschreibt.

Für andere Künstler (unter anderen Rex Gildo, Juliane Werding, Wencke Myhre, Peter ­Alexander, Frank Zander) schrieb Gabriel in den 1970ern und auch noch 1980ern höchst erfolgreiche Schlager, darunter eine feministische Perle wie „Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst“ von Juliane Werding.

Als Interpret trat Gabriel vor allem mit deutscher Countrymucke, sogenannter ehrlicher Musik, in Erscheinung. Bekannte Countrynummern Gabriels hatten Titel wie „Er fährt ’nen 30-Tonner Diesel“ oder „Hey Boss, ich brauch mehr Geld“. Zu seiner Beliebtheit trug dieses Genre, dessen wichtigster Vertreter er auch war, maßgeblich bei. Ungefähr tausend Songs hat er laut eigener Angabe geschrieben: „Es waren nicht alles große Ergüsse. Es waren auch ein paar Schlappmännersongs dabei“, sagte er selbstkritisch.

Geprägt von Gewalt

Gunter Gabriel wurde als Günter Caspelherr 1942 in Bünde (Westfalen) geboren. Als Junge lag er wochenlang mit der Aussicht auf einen frühen Tod im Krankenhaus – Wundstarrkrampf. Seine Kindheit und Jugend waren von Gewalt geprägt: Der Vater zwang die Mutter zu einer Abtreibung mit der Stricknadel. Sie starb früh, und Günter sah zu, wie sie im Leichenwagen davongefahren wurde. Er blieb zurück mit einem gewalttätigen Vater, der ihn mit der Hundepeitsche traktierte. Eines Tages musste er den Vater vom Strick schneiden, als der versucht hatte, sich aufzuhängen.

Mit 16 hat Günter genug. Er schlägt den Vater in der Kneipe zusammen, weil dieser zur Gaudi seiner Saufkumpanen aus dem Tagebuch des Sohnes vorlas. Als „der Alte“ stirbt, kauft Günter sich „eine Pulle Schampus“. Solche Erlebnisse hat er später in seinen Songs verarbeitet. Den brutalen Vater etwa schrieb er sich in „Man nannte ihn Puma“ und in der Adaption des Johnny-Cash-Stücks „A Boy Named Sue“ von der Seele.

Günter bricht die Volksschule ab, treibt sich herum, verdient Geld als Wanderarbeiter, fängt sich, macht Fachabitur, studiert in Hannover Maschinenbau, bricht wieder ab und widmet sich der Musik.

Sonntag in der Teeniedisko

In Berlin arbeitet er als Promoter für eine Plattenfirma und als Diskjockey, unter anderem in der Dachluke am Mehringdamm (heute BKA-Theater), wo seine Karriere beginnt. Gabriel – damals 28 Jahre alt – legte jeden Sonntagnachmittag in der Teeniedisko Platten auf. Usus war, dass die Kids per Stimmzettel ein Lied wählten, das dann gespielt werden musste.

Das war mehrere Wochen hintereinander die deutsche Version von „Me and Bobby McGee“ von Kris Kristofferson, „Freiheit ist ein Abenteuer“, die Gabriel selbst live sang. Das kam nicht nur bei seinem minderjährigen Publikum gut an. Sein späterer Produzent Tommy Meisel schickte ihn gleich ins Studio.

Gesucht in Bremerhaven

Es wurde Gunter Gabriels zweite Single (nach dem heute kaum mehr einzuordnenden „Wenn die Rosen blüh’n in Georgia“). Das Thema Freiheit ließ Gabriel fortan nicht mehr los: „Freiheit, das ist das zentrale Thema – in diesem Song, und überall.“ Mit „Freiheit ist ein Abenteuer“ begann aber auch eine endlos scheinende Reihe teils gewitzter, teils grotesker Nach- und Umdichtungen amerikanischer Titel.

Einen großen Teil dieser Recyclingmusik machen Songs von Johnny Cash aus. „Ich werd’ gesucht“ („Wanted Man“) ist 1972 das letzte Stück auf Gabriels erstem Longplayer. Aus der Zeile „Wanted man in Tallahassee“ wird „Ich werd’ gesucht in Bremerhaven“. Andere Titel sind Cashs „Man in Black“, bei Gabriel „Mann hinterm Pflug“, oder „One Piece at a Time“, bei Gabriel „Ein Stückchen pro Tag“. Die deutsche Musikkritik teilt sich angesichts dieser Aneignung in zwei unversöhnliche Lager – die einen sehen Blasphemie am Werk, die anderen finden’s lustig.

Ein tiefer Sturz

Gabriels eigene Titel stehen zum Teil wochenlang in den Charts. In der ZDF-„Hitparade“ ist er Dauergast. Die Musik macht ihn reich und berühmt. Doch nicht glücklich. Er ist ein Großmaul, ein Macho, gewalttätig gegen mindestens eine seiner vier Ehefrauen, die ihn allesamt verlassen. Du kannst den Mann aus dem Elend nehmen, doch du kannst nicht das Elend aus dem Mann nehmen, heißt es; oder so ähnlich.

Die Millionen, die Gunter Gabriel in den Siebzigern verdient, verliert er in den Achtzigern. Er stürzt tief. Alkohol, Kokain, Millionenschulden. Und doch macht er weiter mit seiner sich oft ihren Sujets anbiedernden „ehrlichen Musik“ – über Trucker, Taxifahrer, „Bullen“, Rocker, Männer mit Hämmern, Männer, die Bier trinken, hart arbeiten, im Knast sitzen, auf der Straße oder im Keller, Männer, die einsam sind oder arbeitslos oder beides. „Ich bin kein Weichei“ sagte Gabriel über sich. „Ich bin ein Männermann, der auch erträgt, wenn er was in die Schnauze kriegt.“

Gabriel singt Cash

Auch mit Nachdichtungen machte Gabriel weiter. Johnny Cash und Gunter Gabriel wurden Freunde. Gabriel wurde nie müde, das zu betonen und Geschichten zu erzählen, etwa wie er bei Johnny Cash und dessen Frau June Carter zu Gast war. Es gab Hühnchen, Gabriel hatte schlimmen Hunger, doch „dieses Miststück von June Carter hörte nicht auf zu beten“. 2003, in Cashs Todesjahr, nahm Gabriel in dessen Studio das Album „Tennessee-Projekt – Gabriel singt Cash“ auf. Viele der bekannten Nachdichtungen wurden neu eingespielt, einige neue kamen dazu.

Das Album, produziert von Johnnys Sohn John Carter Cash, war eine ernst gemeinte Hommage und wirkte doch gerade in dieser Unbedingtheit manchmal komisch. Sicher versuchte Gabriel immer, die – wenn es so etwas gibt – Seele solcher Stücke zu transportieren, doch war das Ergebnis – Pardon – oft meilenweit entfernt vom schweren und zugleich mühelosen Pathos des Originals.

Damit die Knete stimmt

Im Jahr darauf beschimpfte Gabriel in Eisleben sein Publikum: „Ihr habt ja so viel Zeit, sonst wärt ihr nicht am Nachmittag schon hier. Ich hab leider keine Zeit, ich muss meinen Arsch in Bewegung halten, damit die Knete stimmt.“ Auch die Aufnahme dieses Ausfalls wird in einer Bearbeitung von DJ Koze zu einem Hit. Gabriel kannte keinen Groll: „Hat mich gefreut, die Platte hat sich sehr gut verkauft. Ich bin da nicht pikiert. Ich kann über die Sachen, die ich gemacht habe, auch lachen.“ Gabriel besaß die Größe, sein Publikum um Entschuldigung zu bitten: „Das in Eisleben war Scheiße.“

2010 trat Gabriel mit einem Musical über das Leben Johnny Cashs am Berliner Boulevard auf. „Hello, I’m Johnny Cash“ wird ein Erfolg bei Kritik und Publikum. Drei Jahre später will Gabriel daran anknüpfen, mit einem Musical – oder besser einer Nummernrevue – über sein eigenes Leben. „Ich, Gunter Gabriel“ wird am Ku’damm aufgeführt und nähert sich dem Leben des Protagonisten vom Ende her, wenn die Frage gestellt wird, ob er in den Himmel oder in die Hölle kommen wird.

Auf der Ziel­geraden

Der Tod, der auf der Theaterbühne nur ein Auftakt war, hat den Mann nun aus dem wirklichen Leben geholt. In den Morgenstunden seines 75. Geburtstags, an dem er ein Konzert geben wollte, stürzte Gunter Gabriel eine Treppe hinunter und verletzte sich schwer. Er wurde mehrmals operiert und starb elf Tage später in einem Krankenhaus in Hannover.

Bis zuletzt hat er gearbeitet, wie die Männer in seinen Songs. Vor vier Jahren sagte er: „Ich weiß, ich bin auf der Ziel­geraden. Das fordert mich heraus, nicht im Nichtstun zu erstarren und zu sagen: Lieber Tod, warte noch bis Sonnabend! Ich sage: Komm, ich will noch was rausholen.“

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3 Kommentare

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  • Wenn schon Schlager, dann Alexandra. http://www.alexandra-welt.de/

  • G.G. war kein proletarischer Sänger, Er war auch kein Proletarier.

    Bitte jetzt keine wohlöfeile Legende basteln.

    • @Hartz:

      Es war Gabriel selbst, der sich als proletarischer Sänger bezeichnete. Was anderes steht da nicht.

       

      An einer Legende wird nicht gebastelt.