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Zu schön für diese Welt

Dokumentation Cool, zeitgemäß, lust- und liebevoll ist die Mode des belgischen Designers Dries van Noten. Wer sich ein Bild von ihm machen möchte, der schaue das Filmporträt „Dries“ von Reiner Holzemer

Aus dem Film „Dries“ von Reiner Holzemer Foto: filmcontact

von Brigitte Werneburg

Wie hässlich die Welt einem nach der Vorführung von „Dries“ doch erscheint! Und das liegt nicht daran, dass man sich im Eiszeitkino befindet, wo der Film des Münchner Dokumentarfilmers Reiner Holzemer über den belgischen Modemacher Dries van Noten nun gezeigt wird. Ganz im Gegenteil. Das unabhängige Programmkino feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag und hat sich dafür völlig neu und sehr schön, weil schlicht und zurückhaltend, herausgeputzt. Für rund 1,5 Millionen Euro rückte das Kino aus dem zweiten Hinterhof ins Vorderhaus, wo es modernste Digitaltechnik für seine drei Kinosäle erhielt, eine Raucherbar und ein Foyer mit offener Bistroküche, wo man sitzen, etwas trinken und beim sonntäglichen Filmbrunch auch gut frühstücken kann.

Bevor „Dries“ bei dieser Gelegenheit in der Matinee als Preview lief, gaben die Local Heroes der Berliner Modeszene Esther Perbandt und Hien Le aus persönlicher Erfahrung Auskunft zum Thema „Mode und ihr Markt heute“. Perbandt hat zuletzt nicht mehr an der Fashion Week teilgenommen und auch nicht die Absicht, es dieses Mal zu tun. Sie hat sich inzwischen so eingerichtet, dass sie ohne diese Plattform auskommt, und steckt ihre Energie lieber in die Zusammenarbeit mit Künstlern aus anderen Bereichen. Denn „nur Mode, das wird schnell langweilig“, wie sie sagt.

Für Hien Le sieht das anders aus. Er war einmal nicht dabei, und das schlug sich sofort in einer geringeren Anfrage von Käufern nieder. Generell überwiege der kaufmännische Aspekt bei einem eigenen Modelabel, nur zehn Prozent betreffe die kreative Seite, bedauert Hien Le: „Man ist mehr Unternehmer als Designer.“ Ein guter Unternehmer, der trotzdem mehr als diese zehn Prozent an Zeit und Energie in den kreativen Prozess stecken kann, ist – so kommt es in Reiner Holzemers Film rüber − Dries van Noten. Aber der ist sowieso eine Ausnahmeerscheinung der Modewelt. Noch immer ist er Herr über sein 1986 gegründetes Label, für das er erstaunlicherweise vollkommen auf Werbung verzichtet wie auch auf ein globales Ladenimperium.

Er macht keine Düfte, aber prima Schuhe. Er hat die Modeszene nie auf den Kopf gestellt wie Rei Kawakubo oder Jean Pierre Gaultier. Dafür hat er sie mit grandiosen, absolut überraschenden Farben, Stoffen und Mustern bereichert wie kaum je ein Modemacher zuvor. Seine Kleider für Frauen wie für Männer sind von großer Schönheit, die bei Dries van Noten absolut cool und zeitgemäß – und leider auch sehr teuer sind.

Die Kleider von Dries van Noten altern nicht. Sie kommen nicht aus der Mode, sie entspringen dem Material

Nach langen Verhandlungen konnte Reiner Holzemer den Modemacher über ein Jahr und damit vier Kollektionen hinweg begleiten, wobei „Dries“ nicht nur Auskunft über sein kreatives Vorgehen gibt, sondern neben dem Atelier auch sein Haus und seinen bei Kennern berühmten Garten zeigt. Dries van Noten, der als einer der sogenannten Antwerp Six gemeinsam mit Walter Van Beirendonck, Dirk Bikkembergs, Marina Yee, Dirk Van Saene und Ann Demeulemeester Anfang der 1980er-Jahre an der Modefakultät der Antwerpener Akademie abschloss und dabei die internationale Modeszene aufmischte, arbeitet nicht mit Skizzen. Er drapiert seine Entwürfe auf lebende Modelle, wobei er Schnitt- und Stoffmuster wie Applikationen so lange variiert, bis der Entwurf für ihn stimmig ist.

Wie andere Modemacher auch findet er Inspiration in Kunst, Literatur, Musik, Popkultur und Film. Absolut fasziniert beobachtet man bei Holzemer, wie es Dries van Noten gelingt, seine Quellen dabei vollkommen zu verwandeln. Ein berühmtes Motiv wie Marilyn Monroe als Playboy-Centerfold druckt er so auf seine Männerhemden, dass man den nackten weißen Wurm im Manierismus des 17. und nicht der Popkultur des 20. Jahrhunderts verorten möchte.

Nicht weniger interessant ist es zu beobachten, dass er mit den einmal für eine bestimmte Kollektion adaptierten Motiven danach noch nicht fertig ist. Sie tauchen, Metamorphosen gleich, in späteren Kollektionen immer wieder auf. Vielleicht altern seine Kleider deshalb nicht. Und wenn man sagt, sie kommen nicht aus der Mode, dann liegt dieser Floskel eine zweite, tiefere Wahrheit zugrunde: Sie kommen nicht aus der Mode, sie entspringen dem Material. Sie erwachsen der haptischen und optischen Lust, die die kostbaren Stoffe, die irrwitzigen Farbdrucke, die Perlenstickereien, Goldfäden und Pailletten evozieren. Man muss den Glücksfall nutzen, diese Lust im Kino kostengünstig zu erfahren, auch wenn die Welt danach ziemlich hässlich ist.

„Dries“, Dokumentarfilm; Regie: Reiner Holzemer, Darsteller: Dries Van Noten, Iris Apfel u. a. D/BEL/NL 2017

Eiszeitkino, täglich, 18 Uhr. Auch im Filmtheater am Friedrichshain, Kant Kino und Hackesche Höfe Kino

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