Wir müssen hier raus

GENTRIFIZIERUNG Das Max-Taut-Haus in Kreuzberg hat eine lange Tradition als Haus für Kreative. Grafikerin Katja Clos arbeitete elf Jahre dort, nun wurde ihr gekündigt. Warum, erzählt sie hier

Katja Clos Foto: G. Goettle

von Gabriele Goettle

Katja Clos, Dipl. Grafikdesignerin. Aufgewachsen in Neustadt an der Weinstraße. Nach dem Abitur 1983 bis 1986 Ausbildung als Druckvorlagen-Herstellerin. Danach ab 1987 Grafikdesignstudium in Dortmund, 1994 Diplom. Praktikum in der Grafik­abteilung des Süddeutschen Rundfunks in Stuttgart, danach Arbeit als freie Mitarbeiterin. Durch eine Zufallsbekanntschaft kam sie als freie Mitarbeiterin zu einem Team beim Hessischen Rundfunk, zog 1994 nach Frankfurt/Main, wo sie bis 1998 blieb, arbeitete für Sat. 1 in Mainz, immer als selbstständige Grafikerin. Lernte in Frankfurt den Vater ihrer Tochter kennen, einen Regisseur aus Berlin. Übersiedelung nach Berlin. Sie begann, Filmplakate zu erstellen und war in der Ausstattungsgrafik tätig; arbeitete in diversen kleinen Räumen in Gewerbehinterhöfen in Kreuzberg. Kam 2006 über eine Anzeige zum Max-Taut-Haus, war begeistert und zog ein. Sie macht seit 25 Jahren Filmgrafik und Cover­gestaltung für Magazine, befasst sich mit Kommunikationsdesign, TV-­Design, Corporate Design. Für das Frage-Antwort-Buch „Alles über meine Mutter“ (2007) von Susanne Fröhlich und Constanze Kleis war sie für Bilder und Gestaltung zuständig; dies war ihr erstes Projekt im Taut-Haus. Katja Clos wurde 1964 geboren, ihr Vater war Kaufmann, in den siebziger Jahren war er Verkäufer für Computer, angestellt bei der Firma Olivetti. Die Mutter war Stenografin, arbeitete aber nach der Geburt der Kinder als Hausfrau.

Das Max-Taut-Haus, ehemals „Warenhaus der Konsumgenossenschaft“, steht in Berlin-Kreuzberg am Oranienplatz. Es hat große, schön gegliederte, waagerechte Fenster, eine Fassade aus Muschelkalkplatten in warmen Farben und besteht aus einem L‑förmigen, siebengeschossigen Gebäude, an das sich ein neungeschossiges Turmgebäude anschließt. Anfang der 30er Jahre wurde es unter Einbeziehung des Eckhauses, des 1904 erbauten „Warenhauses für Damenmoden Maassen“, nach Plänen der Architekten Max Taut und Franz Hoffmann errichtet. Bereits kurze Zeit später wurden die Konsumgenossenschaften und das Warenhaus von den Nazis als „ jüdisch-marxistisch“ bekämpft. Die Konsumgenossenschaften wurden in NS-Organisationen überführt und 1941 endgültig enteignet. Das Taut-Haus wurde umgebaut zu einem Bürogebäude für die „Deutsche Arbeitsfront“. Im Krieg brannte das Eckgebäude des ehemaligen Kaufhauses Maassen aus. Es wurde 1951 als Zweckbau wiedererrichtet und nach der Jahrtausendwende von einem privaten Investor gekauft und nach historischer Vorlage restauriert. Taut-Haus und Maassen-Kaufhaus stehen als Ensemble unter Denkmalschutz.

Katja Clos empfängt Elisabeth Kmölniger und mich an einem sommerlich heißen Vormittag in ihrem Atelier in der obersten Etage des Max-Taut-Hauses am Oranienplatz Nr. 4. Gastfreundlich werden wir mit Verbenentee und französischem Gebäck aus der Marheineke-Markthalle bewirtet, wir bewundern die Aussicht, die Originalfensterrahmen (inzwischen mit Schallschutzscheiben), dann beginnt sie zu erzählen:

„Als ich 2006 hier die Architektur des Hauses sah, war ich schon sehr angetan. Und als ich dann die Räume gesehen habe, diese wunderbaren, gegliederten Metallfenster, die man kippen kann, diesen Ausblick, da dachte ich gleich: Das ist mein Format! Wie im Film, Cinemascope. Und es erinnerte in gewisser Weise ein bisschen an Neustadt, wo ich als Jugendliche immer auf den Weinberg hochging, nur zum Runtergucken. Dort schaute ich in die Ebene. Hier über die Dächer der Stadt. Ich war begeistert und seitdem bin ich hier, also seit elf Jahren.

Die Werbeagentur Heimatvergrößert sich

Und nun soll das plötzlich zu Ende sein. Es ist eigentlich unvorstellbar! Es war eine ganz tolle Zeit, weil es tolle Leute sind und tolle Räume, die Projekt­ateliers. Eigentlich sind wir ja so etwas wie eine Gewerbe-WG. Es gibt sieben Ateliers hier auf dieser Etage und unten drunter sind noch mal fünf. Sie sind so zwischen 30 und 150 Quadratmeter groß. Und die Räume sind für uns auch deshalb so toll, weil sie gewissermaßen ‚ausdehnbar‘ und ‚schrumpfbar‘ sind. Also wenn man ein großes Projekt hat und noch zwei drei Leute braucht, die basteln, schneiden und kleben, für Filmarbeiten zum Beispiel, dann lässt sich der Platz ausdehnen. Man kann sich das teilen. Und das alles bestand eben insgesamt 30 Jahre mit wechselnder Besetzung. Nachher wird noch mein Kollege Detlev Pusch dazukommen, er ist am längsten hier. 30 Jahre! Also er hat noch mal eine andere Perspektive, und er ist ein ganz toller Grafiker, hat übrigens das erste Anti-Aids-Plakat gemacht in der BRD.

Es ist wichtig, auch mal einen Blick darauf zu werfen, was entsteht eigentlich an gesellschaftlich und historisch Relevantem in solchen Räumen. Es entstand viel. Das hier waren sehr lebendige ‚Projekt-Ateliers‘, und das wird nun alles zerstört! Es gab einen Hauptmieter – wie das bei WG-artigen Konstruktionen oft so ist –, der hat damals hier gearbeitet als Designer, war inzwischen aber nach Basel gezogen. Und ihm wurde als Hauptmieter auch gekündigt. Angeblich, weil die Werbeagentur Heimat, die hier im Haus bereits diverse Räume gemietet hat, unsere Räume nun auch mieten möchte. Wie wir erfuhren, haben die Eigentümer schon zugesagt. Das ist eigentlich alles, was wir erfahren haben.“

Wir vergewissern uns, dass diese Werbeagentur sich tatsächlich „Heimat“ nennt.

Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich in dem Max-Taut-Haus das „Warenhaus für Damenmoden Maassen“. Daraus wurde das „Warenhaus der Konsum­genossenschaft“, das später von den Nazis enteignet wurde

Frau Clos nickt lebhaft und sagt: „Ja. Das ist eine bekannte Werbeagentur, die schon viele Preise bekam für ihre Arbeiten. Es ist die Agentur, die damals die Werbung für Hornbach gemacht hat – Sie können sich sicher noch daran erinnern – mit dem Hammer aus Panzerstahl.“ (Kampagne der Werbeagentur Heimat für den Baumarkt Hornbach. 2012 kaufte der Baumarkt Hornbach einen tschechischen BMP-1-Schützenpanzer, Baujahr 1984, der bis 1990 im Einsatz der tschechoslowakischen Volksarmee war, danach in Privatbesitz, und fertigte daraus 7.000 limitierte Hämmer. Werbespruch: „Geboren aus Panzerstahl. Gemacht für die Ewigkeit.“ Mitte 2013 kamen die Hämmer auf den Markt, waren im Handumdrehen ausverkauft und haben heute Sammlerwert. Anm. G. G.)

„Na ja“, sagt Frau Clos“, die haben eine sehr ‚männliche‘ Herangehensweise, gelinde gesagt. Aber weshalb sie sich Heimat nennen, weiß man eigentlich nicht so richtig. Der Chef, mit dem ich auch einmal gesprochen habe, kommt aus Süddeutschland.

Jedenfalls haben wir hier die Kündigung erhalten, letztes Jahr, kurz vor Weihnachten, aus heiterem Himmel. Zum 30. Juni 2017. Das war ein Schock! Mein erster Gedanke war: Das kann nicht sein, da ist was schiefgelaufen, ein Missverständnis liegt vor, wir müssen jetzt nur schnell ein Gespräch führen, dann ist wieder alles in Ordnung. Dann haben wir versucht, Kontakt aufzunehmen. Per E-Mail, per Telefon, per Brief, per Einschreiben. Wir wussten nicht ganz genau, wer die Eigentümer sind, es gibt wohl eine Eigentümergemeinschaft. Aber es ist uns nicht gelungen, Kontakt aufzunehmen. Keine Antwort. Und die Werbeagentur Heimat haben wir auch versucht zu kontaktieren. Damals auch vergeblich.

Drei Monate haben wir überhaupt keinen Kontakt bekommen. Dann haben wir uns entschlossen, wir entwickeln jetzt eine Strategie, eine neue Idee. Wir überlegten, wer wir eigentlich sind, wo wir sind und was wir hier gemacht haben und weiterhin machen möchten. Wir sind lauter selbstständige Designer, Architekten und Landschaftsarchitekten und wir haben hier Räume, wo man mit zwei bis drei Leuten arbeiten kann. Das ist eine handhabbare Größe. Und das ist genau das, was in Berlin immer mehr verschwindet, solche Räume, in denen zu erschwinglichen Mieten kleine Kreative vernetzt arbeiten können. Und da entsteht ja auch was! Wir werden zwar hier raus müssen, wir wollen uns aber dafür einsetzen, dass diese Strukturen unbedingt erhalten bleiben, in der Stadt und auch hier im Haus. Wir haben also etwas entwickelt, das Max Taut Art Lab, um ein solches Projekt voranzubringen.

Die Idee dahinter ist, diesen Standort hier für kleinere Krea­tivschaffende zu erhalten und für Künstler. Und zwar dadurch, dass die ganze Gebäudeseite hier vom Senat und vom Kulturwerk des BBK (Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, Anm.  G. G.) angemietet und im Rahmen des Atelier-Anmietprogramms subventioniert und mietpreisgebunden vergeben wird. Wir haben bei anderer Gelegenheit auch schon mal mit Martin Schwegmann, dem neuen Atelierbeauftragten des BBK, gesprochen und er fand die Idee interessant und schickt uns einen Erfassungsbogen. Es geht natürlich nicht ohne den Eigentümer. Der muss es wollen. Und er muss verstehen, dass, wenn in diesen Prozess des Verschwindens von solchen Arbeitsmöglichkeiten für kleine Kreativschaffende nicht eingegriffen wird, nichts übrig bleibt. Dann bleibt auch von der viel zitierten Kreuzberger Mischung nichts übrig. Das also ist die Idee und auch die Forderung hinter Max Taut Art Lab.

„Beachtliche Initiative, doch leider zu spät“

Die haben wir den Vermietern in einem Brief unterbreitet. Und da haben wir die erste Reaktion überhaupt nach dreieinhalb Monaten bekommen. Wir bekamen einen Brief – dort an der Wand hängt er – da steht sinngemäß: ‚Beachtliche Initiative, doch leider zu spät. Die Flächen gehen an eine Firma im Haus.‘ Und er schrieb auch noch, dass wir – da wir Untermieter sind oder waren – keine eigenen Vertragsbeziehungen zum Besitzer haben.

Demo in Kreuzberg Foto: G. Goettle

Ja, das ist juristisch richtig. Aber zugleich ist das auch der Punkt. Vieles ist juristisch völlig okay, aber in keiner Weise in Ordnung und vertretbar: Steuerfluchtinseln, Share-Deal-Geschäfte, bei denen Wohnungen verkauft werden, die angeblich gar keine sind, sondern Anteile an Firmen, weil man die Steuer spart.“ (Umwandlung von Immobilien in Firmen, um beim Verkauf die Grunderwerbssteuer zu sparen, die in Berlin bei 6 Prozent liegt. Man bedient sich des Sachverstandes von Finanzanwälten und findigen Buchhaltern, um zum eigenen Vorteil die Gesetzeslücken zu füllen. Anm. G. G.) „Also, das ist rechtlich alles okay, die Stadt kann nichts machen und kriegt nicht mal ihre 6 Prozent. Ich finde, das ist ein Skandal. Diese Leute verändern die Stadt, die Profitinteressen bestimmen das soziale Leben und Zusammenleben und der Staat hat nicht mal die Steuern, um die Folgen – also Mangel an preiswertem Wohnraum – abzumildern. Wo ist denn da die soziale Bindung des Eigentums, steht das nicht im Grundgesetz, dass Eigentum auch verpflichtet und dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll?

Allerdings muss ich sagen, dass unsere Vermieter jetzt nicht zu den ganz Schlimmen gehören. Es ging hier 30 Jahre lang recht gut, es wurde nicht versucht, unsere Mieten hochzutreiben. Aber jetzt, ganz plötzlich, die Abkehr davon. Vielleicht, weil die beiden Eigentümer – wie wir inzwischen hörten – nun alte, 80-jährige Herren geworden sind. Vielleicht wurden sie gierig, vielleicht warten Erben, ich weiß es nicht.

Ich finde aber, dass Vermietung etwas ist, wo man eine gewisse Verantwortung hat. Sie haben doch die Wahl! Sie könnten ja ebenso gut ein Kunstprojekt fördern, das ist doch was Positives. Das wäre doch auch ein Gewinn, ein Gewinn für den Bezirk. Wir haben ihnen das vorgeschlagen und sie haben erstmals reagiert, aber eben nicht, indem sie uns den Hauptmietvertrag anboten und Verhandlungen, sondern nur durch die Mitteilung, die Flächen seien bereits vergeben.

Aber nach der Vorstellung unseres Konzepts hat plötzlich die Werbeagentur Heimat angerufen und uns ein Gespräch angeboten.“ (Die Werbeagentur hat 250 MitarbeiterInnen und wurde 1999 gegründet. Hat sich mit ihrem provozierenden Schräger-Humor-Konzept zu einer der fünf führenden Werbeagenturen Deutschlands für Großkunden hochgearbeitet. Standorte: Berlin, Hamburg, Wien und Zürich. Anm. G. G.)

„Wir hatten gar nicht mehr mit einer Reaktion gerechnet. Wir sind ungefähr 25 Personen in 11 Ateliers, die haben sie eingeladen zum Gespräch. Ein paar Leute von uns saßen dann bei der Heimat am Besprechungstisch, mit dem Chef der Werbeagentur und seiner Assistentin. Er hat dann eigentlich nur richtigstellen wollen, dass die Agentur Heimat nicht die Böse ist, als die sie dargestellt wird. Er sagte: Wir wollen uns einfach nur erweitern, aber es sei natürlich nicht korrekt, dass man uns einfach ignoriert. Sie werden uns vielleicht ein Angebot machen. Das Gespräch verlief moderat. Und wir haben wieder etwas Hoffnung geschöpft.

Der doppelteQuadratmeterpreis

Drei Wochen später, als nichts kam, haben wir mal nachgefragt, und sie sagten: Ja, schicken Sie uns doch mal eine Liste mit den Personen, die unbedingt bleiben wollen, und wie viele Quadratmeter die denn dann brauchen würden. Daraufhin haben wir uns hier zusammen gesetzt, 5. und 6. Etage, haben sogar noch gestritten und so weiter – ist ja egal. Wissen Sie, was die uns dann letztlich für ein Angebot machten? Wir können als Untermieter der Heimat – zunächst für ein Jahr, und zwar für den doppelten Quadratmeterpreis – ein Drittel unserer derzeitigen Fläche behalten. Also da würden wir erstens gar nicht alle reinpassen und es wäre für uns auch zu teuer. Wir mussten das Angebot also ablehnen. Das kann ja durchaus sein, dass es irgendwie freundlich gemeint war von denen, aber diese groß gewordenen Start-ups, die vergessen oftmals, dass sie auch mal klein angefangen haben und dass man nicht einfach so viel Geld verdient und zur Verfügung hat wie sie.

„Letztes Jahr, kurz vor Weihnachten, kam die Kündigung – aus heiterem ­Himmel. Zum 30. Juni 2017. Das war ein Schock!“

Wir haben dann einen Brief an die Eigentümer geschrieben und gesagt: So, wir haben die ganze Zeit damit gewartet, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil wir dachten, dass es doch noch zu einer gütlichen Lösung kommen könnte. Das scheint aber nicht der Fall zu sein, also gehen wir jetzt an die Öffentlichkeit. Wir hatten nach der Hälfte der Fläche gefragt. Es kam aber keine Reaktion. Und wir sagten uns, wenn wir schon rausfliegen hier, dann möchten wir wenigstens, dass es bekannt wird, und auch, dass öffentlich wird, dass wir uns wehren. Und wir möchten, dass die Struktur erhalten bleibt, deshalb machen wir weiter mit Max Taut Art Lab.

Als ersten Schritt in die Öffentlichkeit haben wir dann Briefe hier im Haus in alle Briefkästen geschmissen und geschrieben, wer Interesse hat, soll uns kontaktieren. Es kamen dann auch zwei Mieter. Die vom FSK-Kino haben sich gemeldet.“ (Abkürzung für „Flugsessel-Kino“, die ersten Sitze des unabhängigen Filmkunstkinos stammten aus einem ausgemusterten Lufthansaflugzeug. Anm. G. G.) „Und es kam die Agentur, die den Wahlomat erfunden hat, den die Bundesagentur für politische Bildung einsetzt. Das hat uns gefreut, aber die Anteilnahme war jetzt nicht so großartig, insgesamt, wie wir erhofft hatten.

Unser nächster Schritt an die Öffentlichkeit sah so aus, dass wir – auch übers Internet – Leute eingeladen und ein Fest gemacht haben. Es wurden Plakate und Flyer gedruckt. Es war interessant, dass einerseits Max Taut-Fans kamen. Aber auch viele Menschen, die hier mal in den siebziger und achtziger Jahren gearbeitet haben, als Künstler, sind gekommen. Wir haben auch die Berühmtheiten eingeladen, aber die kamen natürlich nicht. Wim Wenders war hier mal Mieter, im Turm, und die Filmemacherin Ulrike Oettinger hat auch hier gedreht auf der Wendeltreppe, der Fotograf Jim Rakete hat hier gearbeitet. Wir haben die Presse eingeladen und auch Leute hier aus dem Haus. Und die von vorne waren natürlich auch eingeladen, aus der Denkerei von Bazon Brock und Peter Sloterdijk. Und wir haben Andrej Holm eingeladen sowie den grünen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt. Von denen kam niemand, auch von der Presse nicht. Aber es war ein schönes Fest und wir haben viel Zuspruch erhalten und Solidarität erlebt.

Und ich sagte mir, es sind ja hier in Kreuzberg auch viele tolle Sachen entstanden, beispielsweise gleich hier am Moritzplatz die Prinzessinnengärten, dieses tolle Bürgerprojekt, aus dem ein wunderbar funktionierender Gemeinschaftsgarten mit mobiler Landwirtschaft hervorgegangen ist.“ (Existiert seit 2009 auf einer Bombenbrache in der Größe eines Fußballfeldes – Anm. G. G.) „Oder das Aufbau Haus, gleich gegenüber, da entstand ein tolles Zentrum für Kreative.“ (Seit der Fertigstellung 2011 Sitz der Aufbau-Verlags-Gruppe, es gibt dort unter anderem ein Theater, einen Buchladen, Restaurants, Cafés, die Design-Akademie, das Kaufhaus Modular für Künstlerbedarf, ein Kulturzentrum der Sinti und Roma und viele Ateliers, Werkstätten und Büros für Architekten, Goldschmiede, Designer, Grafiker usw. – Anm. G. G.) „Also so ein Konzept mit einer Mischung aus Kunst, Kultur und auch Gewerbe, das ist ja durchaus realisierbar. Und dann gibt es um das ehemalige Blumen-Großmarktgelände herum Baugruppen, die Genossenschaften beinhalten. Auch die taz baut ja dort neu. Also, wir haben hier durchaus Projekte, bei denen es eine Bürgerbeteiligung gibt und wo mehr Kommunikation stattfindet als anderswo, wo nur der Kommerz regiert. Und das ist es, was wir wollen: eine nachhaltige Stadtentwicklung im Sinne der Menschen, die da leben und arbeiten.“

Aufklärungsarbeit zu frühen Aids-Zeiten

„Wim Wenders war mal Mieter, die Filmemacherin Ulrike Oettinger hat hier gedreht auf der Wendeltreppe, der Fotograf Jim Rakete hat hier ­gearbeitet“

Der bereits angekündigte Detlev Pusch, ein älterer Herr, grau meliert mit gestutztem Bart, kommt kurz vorbei und erzählt ein wenig von seiner Arbeit hier in all den Jahren: „Ja, eine lange Zeit! 1985 bin ich hier reingekommen, da hatte ich eigentlich bereits das erste Plakat zu Aids produziert. Die nächsten fünf Jahre habe ich Aufklärungsarbeit für die Deutsche Aidshilfe gemacht, Plakate, Faltblätter, Broschüren.

Als die Aidskrise losging, war das eine tödliche Krankheit.“ Herr Pusch lächelt und sagt: Ich war – wie sagt man so schön – Volontär und hab mich auch mit Aids beschäftigt und habe ein professionelles Netzwerk aufgebaut. Auch die Bundesregierung hatte erkannt, dass sie sich auch finanziell engagieren muss. Und was nicht bezahlt wurde, das machte man damals dann halt umsonst. Die Deutsche Aidshilfe war zuständig für Homosexuelle, Prostituierte und Drogenkonsumenten. Für alles andere die Bundesregierung, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dann habe ich über 25 Jahre die Öffentlichkeitsarbeit hier fürs Schwule Museum gemacht und parallel dazu habe ich für die NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) sehr viele Kunstkataloge gestaltet. Auch für verschiedene Museen. Heute sind es fast nur noch Bücher, in letzter Zeit vor allem Fotobücher.

Das Schöne an dieser Geschichte hier waren die Arbeitsbedingungen. Ich habe angefangen in einem ganz kleinen Raum und habe im Laufe der Jahre eigentlich alle Ateliers bespielt irgendwann. In den ganzen Jahren gab es nur geringe Mieterhöhungen. Also es war alles bestens. In dieser Zeit habe ich meine sämtlichen Arbeiten gemacht und fast mit jedem kooperiert. Vorn gab es eine Setzerei, Illustratoren, Fotografen, und man hat fast jedes Mal was zusammen gemacht. Das war praktisch, man hatte alles im Haus.

Ich kann auf einen langen Zeitraum zurückblicken. Ich weiß, was das für ein Verlust ist, wenn solche Strukturen gekappt werden durch den Entzug der Räume. Das gilt nicht nur für uns, es ist ja inzwischen in der ganzen Stadt diese Verdrängung im Gang. Es hat schon vor vielen Jahren angefangen, 1987 gab’s hier diese erste Kübel-Aktion gegen das Feinschmecker-Restaurant Maxwell, in das ja dann gleich Scheiße reingekippt wurde. Danach zogen sie nach Wilmersdorf. Vor der Wende waren eigentlich in der Oranienstraße nur Apotheken, Spielhallen und Secondhandläden. Die Veränderungen gingen erst nach der Wende richtig los. Und da gab’s dann auch den Prozess, dass die ganzen Clubs, die es gab, teilweise schließen mussten oder verdrängt wurden, hinaus an den Rand der Stadt. Und damals war es schon mit diesem Wowereit-Spruch, ‚Berlin ist arm aber sexy‘, nicht mehr weit her. Und das Bunte, das noch in Resten existiert, wird auch verloren gehen.

„Ich möchte nicht, dass hier alle ­resigniert ihre ­Sachen packen und jeder alleine und schweigend verschwindet“

Aber wenigstens regt sich immer mehr Widerstand, durch die Leute selbst, durch Gruppen und Initiativen, wie zum Beispiel das Bündnis Zwangsräumung verhindern! oder Bizim Kiez.“ (Das Bündnis Zwangsräumung verhindern! besteht seit 2012 und engagiert sich energisch gegen Verdrängung. Für und mit den Betroffenen organisieren sie Blockaden und Besetzungen. Die Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez, im Sommer 2015 hervorgegangen aus dem Protest gegen die Kündigung des türkischen Gemüse­ladens Bizim Bakkal („Unser Laden“), der seit 28 Jahren in der dritten Generation dort ansässig war, organisiert weiterhin Protest und Widerstand gegen die Verdrängung . Anm. G. G.)

Die Vernetzung des Widerstandes

„Es gibt jetzt die Demo für den kleinen türkischen Späti, der ausziehen soll, da werden wir auch hingehen. In manchen Fällen haben die lautstarken Proteste gewirkt, beim Café Filou, und auch der Buchladen Kisch & Co. hat die Kündigung zum 31. Mai mit knapper Not erst mal überstanden. Und der Widerstand im Zusammenhang mit dem NKZ (Neues Kreuzberger Zentrum) hat dazu geführt, dass die Wohnanlage nicht an einen privaten Investor verkauft wurde, sondern an eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft.“

Detlev Pusch verabschiedet sich, Katja Clos schenkt noch einmal Tee nach und sagt nachdenklich: „Wir können das doch nicht einfach so hinnehmen, dass die Großen sich hier ungehindert ausbreiten mit ihrem Geld und die kleinen Künstler und Grafiker müssen an den Stadtrand ausweichen oder auf einen Co-Working-Büroplatz oder sogar zu Hause in ihrer Wohnküche arbeiten.“ Auf die Frage, was nun werden soll, sagt sie: „Also das Wichtigste ist, dass wir es öffentlich gemacht haben, dass wir zeigen, es gibt auch hier einen massiven Verdrängungsprozess. Und dass wir uns vernetzt haben mit anderen Betroffenen. Ich werde zum Beispiel mitlaufen bei einer Demo im Grunewald gegen die Bauwerk-Immobilien GmbH, zu der das Bündnis aufgerufen hat. Wir fordern den Verbleib ihrer gekündigten Mieter in Kreuzberg, einem Späti und einer Änderungsschneiderei. Wenn man direkt vor die Haustür kommt, werden sie nämlich nervös im Grunewald.

Also wir wollen was tun für andere und für uns. Ich möchte nicht, dass hier alle resigniert ihre Sachen packen und jeder alleine und schweigend verschwindet. Wir sind an die Öffentlichkeit gegangen, wir haben die Unterstützung von solidarischen Menschen, es wurden Unterschriften gesammelt, wir haben Kontakt mit Bizim Kiez und mit dem Bündnis Zwangsräumung verhindern! Es wird noch eine Aktion geben nächste Woche, Genaueres will ich dazu im Moment nicht sagen. Also, wenn wir am 30. Juni das Haus verlassen müssen, dann hoch erhobenen Hauptes!“