Ralf Sotscheck über die Folgen der Londoner Brandkatastrophe: Mit Thatcher fing es an
Die betroffenen Gesichter der Regierungspolitiker in Anbetracht der Feuerkatastrophe von London sind ein armseliger Anblick. Bei dem Brand im Grenfell Tower, bei dem mindestens 79 Menschen starben, handelt es sich nicht um ein tragisches Unglück. Man hat die Katastrophe in Kauf genommen.
Warnungen gab es genug. Man hat sie ignoriert. Die Tories sind besessen von Deregulierung. Lasst den Marktkräften freien Lauf, lasst uns die bürokratischen Vorschriften aus Brüssel abwerfen, lautet das Mantra. Außenminister Boris Johnson will nach dem Brexit so schnell wie möglich so viele EU-Vorschriften wie möglich einmotten. Sein Kollege Jacob Rees-Mogg meinte, dass Sicherheitsvorschriften, die gut genug für Indien seien, auch für Großbritannien ausreichten.
Mit Margaret Thatcher hat es angefangen. Ihre Politik der Privatisierung, des Abbaus von Sozialbauwohnungen und des Rückzugs des Staates wurde von der Labour-Regierung unter Tony Blair fortgesetzt, weil man sich bei den Unternehmen einschmeicheln wollte. Und der Tory-Premier David Cameron versprach, der „Sicherheitskultur ein für alle mal den Garaus“ zu machen.
Seit 2010 ist die Zahl der Aufsichtsbeamten für Umwelt und Sicherheit um ein Drittel gesenkt worden. Inspektionen dürfen nicht mehr spontan, sondern nur bei begründetem Verdacht durchgeführt werden. In der Bauindustrie sind im vorigen Jahr ein Viertel weniger Inspektionen als im Vorjahr durchgeführt worden. Die Tory-Abgeordneten, von denen 72 Eigentümer von Mietshäusern sind, haben voriges Jahr eine Labour-Initiative niedergestimmt, die Hausbesitzer verpflichten sollte, für sicheren und gesunden Wohnraum zu sorgen.
Dass man nun die Sicherheitsanforderungen für Schulgebäude nicht wie geplant verwässern, sondern erhöhen will, ist zwar richtig, aber es ist reines Eigeninteresse: Brennende Schulkinder sind einer Wiederwahl nicht förderlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen