Haschisch und Wein Erster Heldder Moderne: Ein bibliophiler Band versammelt Essays des Dichters Baudelaire: Wer nur Wasser trinkt, verbirgt was
Keinen Wein zu trinken, ist in Hinblick auf das wahre Leben auch keine Lösung. Jedenfalls nicht, wenn es nach Baudelaire geht, der den Wein für „zutiefst menschlich“ hält. „Wer nur Wasser trinkt, hat vor seinen Mitmenschen etwas zu verbergen“, heißt es boshaft zugespitzt in seinem Essay „Wein und Haschisch“ von 1851, der jetzt einem hübsch gestalteten Auswahlband mit essayistischen Texten des Dichters der „Blumen des Bösen“ den Titel borgt.
Es ist ein guter, repräsentativer Titel, denn er verweist auf ein zentrales Wesensmerkmal – das einer Persönlichkeit, die zeitlebens von vielfältigen Spielarten des Rausches angezogen wird, bis sie schließlich an der Syphilis zugrunde geht. Neben dem Wein ist es die Droge Haschisch, der Baudelaires besondere Aufmerksamkeit gilt – so wie es später bei dem Baudelaire-Leser Walter Benjamin der Fall sein wird.
Ausnehmend unanständig
Der Pariser Dandy definiert Haschisch noch als „Gemisch aus indischem Hanf, Butter und einer kleinen Menge Opium“ und verspricht dem Konsumenten „unumschränkte Glückseligkeit“. Doch zugleich wendet sich Baudelaire gegen eine Legalisierung, da Haschisch „antisozial“ wirke und etwa angesehene Justizbeamte dazu bewege, „ausnehmend unanständige“ Cancans zu tanzen.
Aber gerade hierin liegt der Reiz, handelt es sich doch um ein „Mittel zur Vervielfältigung der Persönlichkeit“, wie es im Untertitel des Essays heißt. Die hier durch Rausch erzeugte Ich-Spaltung oder Ich-Übersteigerung gilt als Topos der Moderne. Für viele markiert Baudelaire, der Sänger des Spleens und des Ennui, den Beginn dieser Epoche, nicht zuletzt weil die „Fleurs du Mal“, für die ihrem Verfasser immerhin der Prozess gemacht wurde, von einer „Verachtung für akzeptierte Grenzen“ zeugen (Peter Gay).
Für Grenzen und Einschränkungen hatte Baudelaire nichts übrig. Auch deshalb war er ein großer Bewunderer und Verfechter der Musik Richard Wagners. Neben dem berühmten Aufsatz „Richard Wagner und der ‚Tannhäuser‘ in Paris“ enthält der lesenswerte Band auch einen über Gustave Flaubert – inklusive einer heftigen Polemik gegen die seinerzeit brandneue Strömung des „Realismus“.
Auswahl aber bedeutet immer Verzicht, mitunter auf Wesentliches. So schön sich Baudelaires Ausführungen über Kinderspielzeug lesen oder auch seine „Ratschläge an junge Literaten“, so schmerzlich fehlt ein Text, der sich explizit der Bildenden Kunst widmet. Auf deren Bedeutung verweist der Frankreich-Literatur-Experte Tilman Krause in seinem kenntnisreichen und sympathisierenden Nachwort.
Der Maler Delacroix war Baudelaires Hausgott. In den Salons, den jährlichen Ausstellungen Tausender von Bildern, war er zu Hause. Es wäre keine Übertreibung zu behaupten, dass es die Malerei war, die ihn dazu inspirierte, auch in der Literatur die Moderne einzuläuten.
Tobias Schwartz
Charles Baudelaire:„Wein und Haschisch“. Aus dem Franz. von Melanie Walz. Manesse Verlag, Zürich, 2017, 228 Seiten, 22,95 Euro
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