piwik no script img

Langer Tag der Stadtnatur in BerlinEin Blumenstrauß vom Straßenrand

Blumen zu pflücken, ist nicht verboten. Doch Vorsicht: nicht gleich ganze Arten ausrotten. Essbares zu ernten, braucht Sachkunde. Die gibt’s beim Tag der Stadtnatur.

Wildblumen in Pankow Foto: dpa

Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, es ist fast Sommer. Die Stadt blüht gerade so richtig auf. Nicht nur die Menschen haben bessere Laune, auch Flora und Fauna sagen dem Winter ade. An jeder Straßenecke drängen Pflanzen aus dem Asphalt. Da gibt es kaum etwas Schöneres als einen frischen Strauß herrlich duftender Blumen.

Klar, den kann man immer haben. Aber nicht aus der freien Natur? Doch! Auch die auf den ersten Blick eher graue Großstadt hat mehr zu bieten als gezüchtete Pflanzen aus Afrika.

„Schöne Blühaspekte“

Die Grünflächen und Parkanlagen Berlins sind nicht nur endlich saftig grün, sondern auch gelb, rosa, weiß und lila und blau. „Man muss nur genauer hinsehen“, sagt Bernd Machatzi, Landesbeauftragter für Naturschutz und Landschaftspflege bei der Senatsverwaltung für Umwelt: „Sie finden in jeder Pflas­ter­fuge wild wachsende Pflanzen, auch an Mauern, am Spreeufer oder am Bahndamm.“ „Wer mit offenem Auge durch die Stadt läuft, findet einige schöne Blühaspekte“, sagt auch Justus Meißner von der Koordinierungsstelle Florenschutz der Stiftung Naturschutz.

Klee findet man eigentlich überall, der blüht in Violett oder Weiß. Gelb blühen Löwenzahn oder Rucola. Die Skabiosen-Flockenblume hat einen hübschen, violetten Schirm, der Natternkopf blüht blau, der ist auch wichtig für die Bienen, und wer Glück hat, findet ein paar Malven oder weiß-gelbe Margeriten. Manchmal verirrt sich sogar ein Mohnpflänzchen in die Stadt. Das zu pflücken lohnt sich aber nicht. So schön rot sie auch leuchten, die gepflückte Pflanze wirft nach wenigen Stunden alle Blütenblätter ab.

1.500 Arten in Berlin

Allein auf dem Tempelhofer Feld wachsen etwa 400 verschiedene Farne und Blütenpflanzen, sagt Machatzi, der dort die Infotafeln und einen Pflanzenführer für Berlin mit verfasst hat. Im gesamten Stadtgebiet, schätzt Justus Meißner, gibt es mindestens 1.500 wild wachsende Pflanzenarten. Selbst gepflückte Blumen sind zwar keine Rosen, Tulpen oder Gerbera. Dafür sehen sie auch nicht wie Plastik aus und sind auf jeden Fall Fairtrade.

Doch darf man überhaupt guten Gewissens pflücken, was in der Stadt so blüht? „Generell darf sich jeder eine Hand voll Blumen für den eigenen Bedarf pflücken“, sagt Machatzi. „Einige Pflanzen sind aber besonders geschützt.“ Da man die meist nicht kennt, sollte man besser nicht in – auch deshalb ausgeschilderten – Naturschutzgebieten pflücken.

Trotzdem, warnt Meißner, könne es bei einzelnen vom Aussterben bedrohten Blümchen passieren, dass man mit einem Pflücken gleich die ganze Population ausrottet. Deshalb rät er: „Wenn nur wenige Exemplare da sind, lieber nicht pflücken. Sonst kann es sein, dass man den Bestand einer seltenen Art zerstört.“

Langer Tag der Stadtnatur

Mit Käfern durch den Wald krabbeln, Literatur auf der Lichtung lesen, Stadthonig verkosten oder Essen gleich selbst am Wegesrand pflücken: Der Lange Tag der Stadtnatur bietet bei fast 500 Veranstaltungen Gelegenheiten, die Stadtnatur zu erkunden. Viele Veranstaltungen richten sich an Kinder und Erwachsene.

Ein einziges Ticket für 7 Euro (ermäßigt 5 Euro) ermöglicht die Teilnahme an allen Veranstaltungen. Das komplette Programm und Ticketkauf übersichtlich abrufbar unter: 2017.langertagderstadtnatur.de.

Der lange Tag der Stadtnatur dauert 26 Stunden, beginnt am Samstag um 15 Uhr und endet am Sonntag um 17 Uhr. (taz)

Es seien schon eine ganze Menge Pflanzen verschwunden aus Berlin, sagt Machatzi. Der Hain-Wachtelweizen zum Beispiel ist schon seit 1959 weg. Das liegt aber nicht am Pflücken für den Eigenbedarf. Auch durch den Klimawandel werden schwache Arten verdrängt, ebenso durch Landwirtschaft oder den Bau neuer Straßen und Gebäude. Wissenschaftler erstellen zwar rote Listen, auf denen der Gefährdungsgrad einer Pflanze eingestuft wird, der Schutzstatus selbst wird aber auf Bundesebene festgelegt. „So wurden gewerblich attraktive Pflanzen wie Orchideen geschützt, während unattraktive Pflanzen häufig keinen Schutz erhalten.“

Einwanderer

Es gibt aber nicht nur aussterbende Pflanzen, sondern auch Neueinwanderer. So kam das Verschiedenblättrige Greiskraut dazu. Die gelbe Pflanze, die sich wunderbar für einen Strauß eignet, hat den weiten Weg aus Südafrika geschafft: über Bremerhaven ins Ruhrgebiet und dann über Autobahntrassen und Bahnschienen bis nach Berlin. Nicht zuletzt durch den Klimawandel haben sich Stadt und Pflanze aneinander angepasst.

So sind viele Pflanzen in der Lage, in der Stadt zu überleben. Unterschiedliche Pflanzen haben eben auch unterschiedliche Überlebensstrategien und abweichende Lebenszyklen. In trockenen Pflasterritzen sind oft einjährige Pflanzen zu finden, die in der regenarmen Jahreszeit wieder verschwinden. Pflanzen in wasserreichen Gegenden sind dagegen oft tief verwurzelt und verbreiten sich durch Ausläufer.

„Sobald irgendwo ein bisschen Erde ist, wachsen da auch Pflanzen“, sagt Meißner. Das lässt die Stadt auch zu. Die Senatsverwaltung hat sogar eine Strategie zur Wahrung der biologischen Vielfalt vor der eigenen Tür beschlossen, „weil sie eine Bereicherung für Tier und Mensch ist und sich positiv auf die Gesundheit auswirkt“, sagt Meißner.

Ein Wildblumenstrauß für den Eigenbedarf ist kein Pro­blem, solange nicht alle Berliner täglich einen pflücken. Aber kann man von dem Wildwuchs auch etwas essen?

Zwar finden sich in Berlins Grünanlagen Nutzpflanzen wie Haselnuss, Obstbäume oder Hagebutte. Die haben nicht nur schöne Blüten, sondern auch essbare Früchte. Trotzdem raten Machatzi und Meißner vom Verzehr der Pflanzen eher ab. „Wenn ich nicht 100 Prozent sicher bin, was das für eine Pflanze ist, würde ich sie auch nicht essen“, sagt Machatzi. „Da sollte man vorher auf jeden Fall mal in einem Buch nachschauen.“

Oder sich beim Langen Tag der Stadtnatur schlauer machen: Da kann man am Samstag im Interkulturellen Garten Lichtenberg lernen, die richtigen Wildkräuter für einen Salat zu finden. Oder am Sonntag auf dem Tempelhofer Feld Grasnelke, Schafgarbe und Sauerampfer sammeln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!