: Dichtkunst im Schatten
WORTGEWALTIG Das Haus für Poesie richtet das internationale poesiefestival in der Akademie der Künste aus. Im Fokus des Programms stehen zeitgenössische Lyriker. Viele von ihnen leben unter der Armutsgrenze
von René Hamann
Da ist ein Haus, ein neues Haus, doch es steht nicht in New Orleans. Es ist auch nicht das Haus der aufgehenden Sonne, sondern das Haus für – und nicht: der – Poesie, und eigentlich steht es noch nirgends, sieht man mal von den zwei bis drei Stockwerken ab, die von den zugehörigen Büros des Haus für Poesie in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg belegt werden.
Das Haus für Poesie hat sich im letzten Jahr feierlich umbenannt, der österreichische Seltsamdichter Oswald Egger hielt die Eröffnungsrede, am 12. September 2016 im Berliner Rathaus vor rund 300 Gästen: die erste „Berliner Rede zur Poesie“. Vorher hieß das Haus, das keines ist, schlicht „Literaturwerkstatt“ – hat sich aber immer weniger um die Literatur als solche, dafür immer stärker um den Teil von ihr gekümmert, den man die Poesie nennt.
Jahrelang richten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter der Sonne ihres omnipräsenten Leiters Thomas Wohlfahrt auch das internationale poesiefestival aus, das in diesem Jahr zum bereits 18. Mal stattfindet, also erwachsen wird, zum ersten Mal aber unter der Schirmherrschaft des Hauses für Poesie, obwohl das eben noch gar keinen festen Ort hat.
Das Internationale Poesiefestival aber schon. Das findet in der Hauptsache in der Akademie der Künste statt, nicht am Pariser Platz, sondern am Hanseatenweg in Tiergarten. Ein schattiges, beschauliches Plätzchen, in dieser schönen bundesrepublikanischen Architektur der Nachkriegszeit am Rande des Großen Tiergartens. Dorthin finden auch dieses Jahr wieder zahlreiche Dichterinnen und Dichter – und das ihnen zugeneigte Publikum. Rund 170 Dichterinnen und Dichter, Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt kommen zum poesiefestival berlin, um „aktuelle Tendenzen zeitgenössischer Dichtkunst“ zu präsentieren, wie es in der Ankündigung heißt. Fast 200 Dichterinnen und Dichter also, drunter machen es die Organisatoren nicht, dafür schreiben sie das poesiefestival mit falschem Understatement und genauso falschen Stilbewusstsein lieber klein, obwohl es doch groß sein will und es irgendwie ja auch ist. Getragen wird es vom Hauptstadtkulturfonds.
Das Motto lautet dieses Jahr: „Europa – Fata Morgana“. Eröffnet wird das Festival aber wie jedes Jahr mit der Poesie-Nacht „Weltklang“, zu der zahlreiche international bekannte Dichter geladen sind, unter anderem John Burnside, Yasuki Fukushima und der notorische Jan Wagner. Es wird den Lyrikmarkt an der AdK geben, wo man durch die Programme kleiner Verlage blättern kann, den „Versschmuggel“ mit bilateral versierten DichterInnen und die Kiezlesungen („poet’s corner“) in verschiedenen Stadtteilen.
Es gibt zudem Genreüberschreitungen (diesmal wohl viel Tanz), ein insgesamt üppiges bis unübersichtliches Programm und jede Menge Podien, die sich den zeitgenössisch wichtigen Fragen widmen werden: Europa und die Immigration, Europa und sein Stellenwert in der Welt und seine Zerfallserscheinungen.
Das ist auch gut so, das alles. Gespannt darf man sein, wer die „Berliner Rede zur Poesie“ hält und ob sie so hochtrabend sein wird, wie der Name verspricht. Bei der allerersten durch Oswald Egger gab es nachher reichlich Redebedarf – fiel sie doch durch ihre explizite Absage ans Politische auf. „Es war auch ein Infragestellen davon, ob Poesie überhaupt politisch sein sollte“, so die Lyrikerin, Schriftstellerin und taz-Autorin Nora Bossong im Deutschlandfunk. Oswald Egger sei ein extrem kluger Lyriker, so Bossong, nur „was bringt uns diese Klugheit, wenn wir permanent an dem vorbeireden, was da draußen auf der Straße passiert?“ Schlechte Presse ist immer auch gute Presse, das gilt auch für die Lyrik, die seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland unter Irrelevanz und abnehmender Aufmerksamkeit leidet. Auf den Punkt gebracht hat das kürzlich Zeit-Redakteur Ijoma Mangold: „Aber will man wirklich eine Gesellschaft, in der jeder einen Anspruch darauf hat, von dem, was seine Herzensangelegenheit ist, leben zu können? Vielleicht ist es ja sogar ein Privileg, dass sich Lyrik nicht pekuniarisieren lässt?“
Wie kommt er auf so was? Richtig, das Haus für Poesie hatte 200 Dichtern einen Fragebogen zu ihren finanziellen Verhältnissen geschickt. Drei Viertel der Befragten leben mit einem Jahresbruttoeinkommen unter dem Bundesdurchschnitt von 32.486 Euro. 77 Prozent erzielen mit ihrer schriftstellerischen Arbeit 10.000 Euro und weniger, beziehen also den größeren Teil ihrer Einkünfte woanders. 45 Prozent der Lyriker, die keiner anderen Beschäftigung nachgehen, leben unterhalb der Armutsgrenze, die bei 11.759 Euro im Jahr liegt.
Erschreckend, aber wahr. Da ist es natürlich hilfreich und gut, dass in Berlin ein Haus für Poesie steht – jedenfalls im übertragenen Sinn. Etwas Geld fällt auch da für die eine oder andere Lyrikerin bei der einen oder anderen Veranstaltung ab, auch wenn es wie üblich gilt, zum inneren Kreis zu gehören. Das Abseitige wie auch das Populäre findet im Haus für Poesie eher am Rande statt. Ein Sozialhilfsverein ist die ehemalige Literaturwerkstatt nicht.
Trotzdem werden die Beteiligten das ganz anders sehen als der privilegierte Zeit-Redakteur. Recht geben wird ihnen das treue Publikum, das auch in diesem Jahr den Weg durch das heiße Berlin hin zum schattigen Plätzchen am Hanseatenweg findet, wo zehn Tage lang ein Haus steht, das immer wieder aufgehen, aber nie untergehen wird.
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