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Am liebsten nackte Frauen

WERKSCHAU Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg widmet sich Max Pechstein. Die Ausstellung zeigt, wie der Maler künstlerisch auf die Stationen seines Lebensweges reagierte und weitet den Blick dafür, in welchen Spielarten der Expressionismus auftreten konnte

Erfreute sich am natürlichen Leben, hier aber nur motivisch im Atelier: Max Pechstein um 1900 Foto: Max Pechstein/Bucerius Kunst Forum

von Hajo Schiff

Max Pechstein ist einer der bekanntesten Künstler des Expressionismus. Aber was ist mit dieser Einordnung gesagt? Wie oft sind Leben und Werk des Künstlers vielfältiger als solche Markenzuschreibungen. Die erstaunlicherweise erste Hamburger Einzelausstellung des 1881 in Zwickau geborenen, 1955 in Berlin verstorbenen Künstlers kann mit etwa 60 Gemälden und 20 Zeichnungen und Drucken belegen, dass der Expressionismus viele Erscheinungsformen zulässt.

Von sanft kubistischen Stillleben und nahezu futuristischen Strahlenbildern zu eher neusachlichen und surrealistischen Anklängen hat Max Pechstein in durchaus verschiedenen Malweisen auf die jeweils neuen Stationen seiner Biografie reagiert. Das Bucerius Kunstforum hat die Schau deshalb nach Orten sortiert: Berlin und Dresden, Nidden im heutigen Litauen, Monteroso in Ligurien, die Südsee und Ostpommern.

Aber alles beginnt in Paris. Ein wunderbar lockeres Mädchenporträt zeigt, dass Pechstein dort 1908 die Kunst der Fauves kennenlernt – er wird deren Stil anschließend in den Malerkreis der „Brücke“ einbringen. Denn seit 1906 ist er bis zu seinem Ausschluss im Streit sechs Jahre später als einziger akademisch ausgebildeter Meisterschüler Mitglied dieser für die deutsche Kunstgeschichte so wichtigen Gruppe um Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff.

Neben den leichten, mit trockenem Pinsel gemalten Bildern gibt es immer wieder auch sattfarbig dichte Werke in pastoser Malerei. Es scheint geradezu, als ob Pechstein aus der freien farbigen Bildauflösung – etwa im Sinne von Matisse – sich stets zur doch etwas realistischeren Abbildung im Sinne von Paul Gauguin zurückgerufen habe.

Zu nahezu abstrakten Chiffren findet allein die Grafik: Ein so einfaches Motiv wie eine Reihe abendlich vertäuter Kähne werden samt Spiegelung im Wasser 1912 in der kantigen Reduktion des Holzschnitts zu einem Set von sich in der Ferne auflösenden Zackenformen.

Max Pechstein war als Graphiker und Maler sehr produktiv: Von ihm sind etwa 4.000 Rohrfederzeichnungen und rund 1.300 Gemälde bekannt. Doch über 300 Arbeiten sind durch Beschlagnahmung im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“, viele weitere bei der Ausbombung des Berliner Ateliers verloren gegangen. Die zen­tralen Themen von Pechsteins Kunst sind die freie Landschaft und die jungen, am liebsten nackten Frauen – am besten beides zusammen.

In der deutschen romantischen Tradition stehend sucht Pechstein nach dem „unverfälschten“ natürlichen Leben. Im Abbild und auch in einer Realität, die noch heute die Boulevardpresse zu dicken Überschriften reizen würde, findet er einen zumindest subjektiv paradiesischen Naturzustand – ob mit den Freunden der „Brücke“ und ihren Gespielinnen an den Moritzburgen Teichen bei Dresden, in der Künstlerkolonie Nidden auf der kurischen Nehrung oder später auf den Südsee­inseln von Palau.

Wie schon Emil Nolde ein Jahr zuvor fuhren Pechstein und seine erste Frau Lotte 1914 in die damals deutsche Kolonie im Pazifik, anders als Nolde aber ganz ohne den Rückhalt einer offiziellen Expedition. Zwei Jahre sollte der Aufenthalt im vermeintlichen Paradies dauern. Doch der Erste Weltkrieg machte dem Idyll nach dreieinhalb Monaten ein Ende.

Die Pechsteins gerieten in japanische Gefangenschaft, verloren Bilder und Sammlungen und konnten erst Ende 1915 über Nagasaki, Manila, Honolulu, San Francisco und New York zurückkehren. Bis auf das Bild einer Palmenküste sind alle erhaltenen Bilder dieses Tropenerlebnisses erst nachträglich im Berliner Atelier gemalt. Sie erhielten damals viel Zuspruch – auch als konservative Erinnerung an die verlorene Kolonie.

An der Ostsee lernte er die Tochter seiner Pensionsbesitzer kennen und heiratete sie, kaum dass sie volljährig geworden war

Vielleicht deshalb findet sich bei ihnen das märchenhafte Paradies in heute fast klischeehaft anmutenden Motiven, die alle ethnologischen Besonderheiten und die persönlich erlebten politischen und sozialen Pro­bleme ausblenden. Pechstein beharrt auf seiner Vision, er will seine Suche nach dem Paradiesischen nicht aufgeben.

In den 1920er- und 1930er-Jahren findet er das Paradies dann bei den hinterpommerschen Ostseeorten Leba und Rowe. Dort lernt er Martha, die junge Tochter seiner Pensionsbesitzer kennen und heiratet sie, kaum dass sie volljährig geworden ist. Und nun erstrahlen die Bilder von Fischerkaten und Booten, von Korngarben und Sonnenuntergängen in fast überwirklicher Lichtsetzung.

Die Ausstellung weitet den Blick auf die Spielarten des Expressionismus. Sie reichen von dem fast kinematografische Phasenbild „Blauer Tag“, das 1911 in einem Waldstück gleich fünfmal die nackte Lotte zeigt, zu dem schmalen Hochformat des „Fischerboots“ von 1913 mit der dynamischen Diagonale des Bootsmastes, das an die einst an der Akademie in Dresden gelernte Monumentalmalerei erinnert. Beim „Nachmittag an der See“ hat er Himmel und Meer 1919 strahlend wie mit reinem Licht gemalt, wohingegen die „Löwenbändigerin“ mit ihren sieben Tieren 1920 nur in rot, ocker und wenig blau gemalt ist.

Das kann zu der Frage führen, was denn diese Kunstform wirklich ausmacht, und auch, ob und wie spezifisch deutsch das sei. Doch unter welchen politischen und psychologischen Schwierigkeiten in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts um die Kunst der Moderne tatsächlich gerungen wurde, bevor jemand wie Pechstein 1945 Professor an der Hochschule für bildende Künste in Berlin werden konnte, lässt die doch relativ kleine Ausstellung mit ihren begrenzten Texthinweisen und wenigen dokumentarischen Materialien nur ahnen.

„Max Pechstein – Künstler der Moderne“: bis 3. September, Bucerius Kunstforum, Hamburg

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