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Soziale Protestbewegung in Marokko„Wir werden nicht aufgeben“

Seit Monaten demonstrieren BerberInnen in Al-Hoceïma wegen ihrer sozialen Lage. Die Verhaftung eines führenden Aktivisten befeuert den Protest.

Immer wieder skandieren die Demonstrantinnen: „Wir sind alle Zafzafi“ Foto: reuters

Madrid taz | Al-Hoceïma kommt nicht zur Ruhe. Seit der Verhaftung des Anführers der sozialen Protestbewegung „Hirak“, Nasser Zafzafi, am Montag vor einer Woche ziehen Abend für Abend Tausende durch die wichtigste Stadt des nordmarokkanischen Rifgebirges. In der Dunkelheit illuminieren ihre Handys den Protest gegen die herrschende Korruption und die Misswirtschaft. Sie verlangen Arbeit und Investitionen in der Region. Ihr Motto lautet: „Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit!“ Außerdem skandieren sie immer wieder: „Wir sind alle Zafzafi“.

Die Protestierenden werden von der Polizei gewaltsam daran gehindert, in die Innenstadt zu marschieren. Die Bewegung in Al-Hoceïma begann vor rund sieben Monaten, nachdem der ambulante Fischhändler Mouhcine Fikri ums Leben kam, als er seine von der Polizei beschlagnahmte Ware aus dem Innern eines Mülllasters retten wollte. Die Müllpresse quetschte ihn zu Tode. Was als Protestbewegung junger Menschen begann, umfasst längst alle Altersgruppen.

Den Platz des inhaftierten 37-jährigen Zafzafi hat mittlerweile die ein Jahr jüngere Nawal Ben Aissa eingenommen. „Sie können so viele Aktivisten verhaften, wie sie wollen, wir werden nicht aufgeben“, lautet einer der Sätze, die die Mutter von vier Kindern, die ihr langes blondes Haar offen trägt, auf den Kundgebungen der Menge zuruft. „Die Rechte des Rifs werden mit Füßen getreten“, erklärt Ben Aissa.

Das Rifgebirge – Heimat der Berberminderheit, die sich in den 1950er Jahren gegen die Regierung in Rabat erhob – werde völlig vernachlässigt. „Wir haben nicht einmal ein Krankenhaus, das in der Lage wäre, einen Brustkrebs zu behandeln“, beschwert sich Ben Aissa, die laut eigenen Angaben keiner Partei und auch keiner Gewerkschaft angehört, in einem Interview. Wie bereits Zafzafi betont auch Ben Aissa, dass es der Bewegung nicht um die Abspaltung des Rifs von Marokko gehe, wie die Presse immer wieder schreibt.

Zafzafi werden mehrere Delikte zur Last gelegt. Als Anführer der Proteste habe er die „nationale Sicherheit gefährdet“. Außerdem soll er die freie Religionsausübung behindert haben, als er in der Moschee dem Iman widersprach, der den Protestierenden vorwarf, Marokko spalten zu wollen.

Die Rechte des Rifs werden mit Füßen getreten

Nawal Ben Aissa, Anführerin

Neben Zafzafi schickte der Ermittlungsrichter in Casablanca Ende vergangener Woche weitere 19 Aktivisten in Untersuchungshaft. Ihnen wird Brandstiftung, versuchter Mord, Anschlag auf die innere Sicherheit, und das „Sammeln von Geldern für Aktivitäten und Propaganda, die die Einheit und Souveränität des Königreichs gefährden“, vorgeworfen. Außerdem hätten sie zur „Destabilisierung der Treue der Bürger gegenüber Staat und Institutionen“ beigetragen. Ein Verhafteter wurde unter richterlichen Auflagen freigelassen.

Auch Nawal Ben Aissa hat ihr Engagement bereits zweimal den Besuch einer Polizeiwache eingebracht. Vergangenen Donnerstag wurde sie zum einstündigen Verhör vorgeladen. Am Samstag wurde sie vorübergehend festgenommen, nachdem die Polizei eine Frauendemonstration für die Freilassung Zafzafis und von zwanzig weiteren Inhaftierten gewaltsam auflöste.

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