: Es fehlt an Tagesmüttern
Qualifizierung Weil Kita-Plätze oft Mangelware sind, entscheiden sich viele Eltern für eine Tagesmutter. Doch ihre Zahl sinkt, denn die Ausbildung ist langwierig
Das Frühstück bei den Novalinis beginnt mit einem Gedicht. Die 20 Kinder fassen sich an die Hände und sagen laut im Chor: „Piep, piep , piep, wir haben uns alle lieb, guten Appetit“. Kaum verstummt, stehen schon Teller randvoll mit kleinen Brotvierecken auf den niedrigen Tischen. Dunkles Vollkornbrot mit Gemüseaufstrich, etwas Obst und zum Abschluss Müsli-Kekse. Nach der gesunden Stärkung soll auf den nahe gelegenen Spielplatz gehen.
„Wer von euch wurde heute schon eingecremt?“, fragt Sabine Panzer. Dann verteilt sie Sonnencreme-Kleckse auf Wangen und Stupsnasen. Seit über 20 Jahren ist die Erzieherin mit Leib und Seele Tagesmutter. Gemeinsam mit drei Kolleginnen gründete sie den Kindertagespflege-Zusammenschluss in Hamburg-Winterhude.
20 Kinder zwischen einem und drei Jahren werden in der alten Apotheke mit den großen Fenstern und dem knarzigen Holzboden betreut. Ihre Eltern haben sich bewusst für die Tagesmütter entschieden. „Sie schätzen die familiäre Atmosphäre hier. Mit fünf Kindern pro Pädagogin sind wir außerdem besser aufgestellt als die meisten Kitas“, erklärt Panzer. „Nachwuchssorgen“ kennen die Novalinis nicht. Auch ohne Werbung oder schicke Website ist die Warteliste bis 2018 gefüllt. Betreuungsplätze für die Kleinsten sind in Hamburg schließlich Mangelware.
Doch bald könnten Angebote wie die von den Novalinis zur Ausnahmeerscheinung werden. Hamburgs Geburtenboom zum Trotz sinkt die Zahl der Tageseltern rapide. Etwas über 1.000 arbeiten derzeit in der Hansestadt, wie sich aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU in der Bürgerschaft ergibt. Zu besten Zeiten waren es noch doppelt so viele.
Der Hauptgrund für den Rückgang: Für den Nachwuchs sind die Arbeitsbedingungen eher abschreckend. „Gerade der Start ist schwierig. Man braucht ein finanzielles Polster, um ordentliche Räumlichkeiten anzumieten und Ausstattung anzuschaffen. Außerdem sind die Auflagen in Sachen Hygiene oder Sicherheit hoch“, berichtet Panzer, die sich auch im Vorstand des Hamburger Tagesmütter und -väter e. V. engagiert.
Doch bevor an die Gründung gedacht werden kann, steht die Ausbildung an. Hier drängte die Politik in den letzten Jahren stark auf eine Professionalisierung. Es gibt inzwischen einheitliche Gütesiegel für Bildungsträger und Vorgaben für die Qualifizierung. Früher mussten Tagesmütter 160 Ausbildungsstunden vorweisen, inzwischen sind es – mit dem neuen „kompetenzorientierten Qualifizierungshandbuch“ – 300 Stunden. Ausgenommen davon sind Tageseltern mit einer pädagogischen Berufsausbildung.
Zur endgültigen Zulassung verlangt das Jugendamt außerdem ein erweitertes Führungszeugnis, eine Unfall- und Haftpflichtversicherung sowie einen Erste-Hilfe-Kurs. Abschließend gibt es noch ein Eignungsgespräch.
Diese hohen Qualitätsansprüche beim Umgang mit kleinen Kindern sind ein wichtiger Teil der politisch-gewollten Gleichstellung von Kitas und Tageseltern. Doch einige wichtige Angleichungen wurden dabei übersehen – zum Beispiel die Bezahlung. Tageseltern sind faktisch selbstständig. Sie müssen sich um neue Kinder kümmern.
Allerdings können sie keine eigenen Preise festlegen. Vielmehr entscheidet jede Kommune selbst, wie viel sie für die Betreuung zahlt. Dieser Flickenteppich reicht in Norddeutschland von 2,50 bis 7,50 Euro pro Kind pro Stunde. Dabei dürfen nicht mehr als fünf Kinder gleichzeitig betreut werden. Zusätzliche Gebühren von den Eltern können nur in Ausnahmefällen erhoben werden, zum Beispiel für besondere pädagogische Angebote oder Bio-Essen. Immerhin gibt es mancherorts kleine Zuschüsse zur Gründung, für die Anschaffung von Spielzeug oder die Übernahme von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen. Unter dem Strich liegt das Einkommen jedoch unter dem der nicht gerade fürstlich-bezahlten ErzieherInnen.
„Bei den Novalinis können wir eigentlich nur überleben, wenn wir immer ausgelastet sind und damit gut haushalten können“, sagt Panzer. Den beruflichen Wechsel in eine Kita kann sich die Hamburgerin trotzdem nicht mehr vorstellen. Sie schätzt die große pädagogische Freiheit und die Selbstbestimmtheit in familiärer Atmosphäre.
Etwas mehr gesellschaftliche und politische Anerkennung durch bessere Arbeitsbedingungen würde sie sich trotzdem wünschen.
Inzwischen ist jeder Creme-Klecks verrieben und alle Sonnenhüte verteilt. Mit einigen Kinderkarren und Schaufeln im Gepäck setzt sich die kleine Karawane aus Kindern und Tagesmüttern in Bewegung. 200 Meter entfernt teilt man sich einen Spielplatz mit einer von Eltern gegründeten Kita. Auf dem Weg berichtet Panzer von positiven Nachrichten aus Hamburg. Die Stadt hat noch für dieses Jahr eine Angleichung der Bezahlung wegen angestiegener Lebenshaltungskosten in Aussicht gestellt. Ob das neue Tagesmütter und -väter zur Gründung motiviert, bleibt abzuwarten.
Birk Grüling
Mehr Informationen zum Thema Tagesmütter gibt es auf der Internetseite www.kindertagespflege.fruehe-chancen.de
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