: Fuzz von nebenan
INDIEAlte Häsinnen und Hasen des Berliner Rock in neuem Gewand: LeVent stellen heute ihr Debüt vor
Musiker sind oft wie Zeitmaschinen. Die Berliner Band LeVent zum Beispiel. Das Trio trat vor einiger Zeit in der Volksbühne auf, das Setting war aufs Nötigste beschränkt: Gitarre, Schlagzeug, Bass und – in diesem Falle wichtig zu erwähnen – ein paar Verzerrer. Man lauschte einem knarzenden Bass von Maryna Russo, einer schön breiigen Gitarre von Heike Rädeker und dem leichthändigen Schlagzeugspiel Frank Neumeiers – und dieser Sound versetzte einen fast automatisch in die große Zeit des Underground Rock der Achtziger, in die Prä-Grunge-Ära.
Angesichts des Hintergrunds der Musikerinnen und Musiker bei LeVent verwundert das nicht. Zwar ist die Band neu zusammengewürfelt und debütiert Ende Juni mit einem selbst betitelten Album – die drei Beteiligten aber sind alte Häsinnen und Hasen der Berliner Rockszene. Sängerin und Gitarristin Heike Rädeker spielte in den Neunzigern bei 18th Dye, die die Impulse von US-Indie-Bands wie Sonic Youth, Yo La Tengo oder Mission of Burma aufgriffen und hierzulande die Szene mit begründeten. Zusammen mit Neumeier spielte Rädeker bei einer weiteren völlig unterschätzten Band, der Noiserock-Combo Wuhling.
Mit LeVent zeigen die drei nun, was die Haltung und den Sound von Independent-Musik damals auszeichnete. Diese war geprägt von Purismus und vom Kollektivgedanken; das Ungeschliffene und Unabgeschlossene wurde zum Prinzip erklärt. Zu dieser Zeit ging es darum, sich eigene Strukturen, Netzwerke und Labels aufzubauen; man verstand das gemeinsame Musikmachen als Teil einer größeren (politischen) Idee.
All dies kommt einem unweigerlich in den Sinn, wenn man das Debüt von LeVent hört, auch die Releases von Labels wie Dischord, SubPop oder Touch and Go. Die Stücke sind meist im mittleren Tempo gehalten, sie leben von der Spannung, die die Rhythmussektion erzeugt, ehe die Gitarre mit viel Fuzz dazwischengrätscht. Dazu kommt der unaffektierte, manchmal androgyne Gesang Rädekers, der der Geist dieser Ära fast auf den Stimmbändern eintätowiert scheint. Frisch, gut, krachig klingt das. „Fernweh“ ist ein echter Hit, an dem man sich kaum satthören kann.
Mit bloßer Nostalgie hat das dennoch nichts zu tun. Denn es hat durchaus seinen Sinn, diesen Sound – ähnlich wie der Stuttgarter Zirkel um Die Nerven – zu aktualisieren. Denn der Kollektivgedanke und das Musikmachen ohne primäres Verwertungsinteresse scheinen in der heute zerklüfteten Indie-Sparte kaum mehr vorhanden. In den achtziger Jahren, so schrieb Michael Azerrad in seinem Standardwerk „Our Band Could Be Your Life“, merkte man, dass „der alles beherrschende Mainstream nicht zwingend das beste Zeug“ hervorbrachte. Und dass „die Band von nebenan genauso viel wert sein kann wie ein Superstar-Act (wenn nicht mehr)“. LeVent zeigen überdeutlich, wie wohltuend ein bisschen Knarzbass und Gitarrenbrei aus der Nachbarschaft sein kann. Jens Uthoff
LeVent: „LeVent“ (a recordings /Cargo) | Release-Party: heute, 21 Uhr, Kantine am Berghain
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