: Blumen für die Geisel
KINOAllerweltstyp, der sich als Psychopath entpuppt: „Berlin Syndrome“ von Cate Shortland
An Cate Shortlands drittem Film „Berlin Syndrome“ ließe sich manches schönreden. Einiges ist ziemlich unausgewogen, weil es Shortlands erster Genrefilm ist. Und es gibt tiefe, tiefe Täler, die wohl viele Gründe haben – die Verkettung von Ereignissen einer Filmproduktion kann natürlich nicht immer rund laufen. Nur Teresa Palmer ist letztlich wirklich sehenswert.
Sie soll hier eine zurückhaltende Australierin spielen und macht das zusammen mit der genauen Kamera des Films ganz faszinierend. Sie lässt sich mit einem sachte neurotischen Charme als schlaue Außenseiterin durch Berlin treiben und kann mit einer gewissen Natürlichkeit sogar diejenigen Dialoge charmant aufsagen, die den Tiefpunkten der Genrefilmgeschichte ebenbürtig sind. Shortlands Film ist voller Klischees, hat aber nicht das Selbstbewusstsein einer Hommage. Was rauskommt, ist einfach ein Blindflug.
Clare heißt Palmers Figur. Die junge Fotografin begegnet am utopischen Ort Berlin einem Allerweltstypen, der sich dann als misogyner Psychopath entpuppt. Auch Max Riemelt macht seine Sache hier gut, er verleiht dem schrägen Andi ein Bübchengesicht, das sich auch in den zunehmend vulgären Momenten nicht im Ton vergreift. Und wenn doch, dann ganz ordentlich.
Der Film deutet es dann auch neben seinem Titel so oft an, dass Shortland es eigentlich gar nicht mehr zeigen müsste: Natürlich sperrt der Andi das Mädchen ein, fesselt, bedroht und schlägt sie. Und die Erklärungen hätte sich der Film besser gespart: Andi ist verliebt und beinahe ein Guter, aber Mutti war in der Kindheit unfair zu ihm und dem Papa. Das reicht für einen fundierten Frauenhass. Und zur Versöhnung gibt es einen Blumenstrauß für seine hübsche Geisel, die irgendwann ganz bestimmt ja und danke sagt.
Der Film ist vor allem deshalb ein Aufreger, weil er in seiner Formelhaftigkeit letztlich unbeholfen und unklug dahinplätschert. Nichts Gescheites wird dem Schwachsinn zur Seite gestellt. Shortland erreicht keinen herausfordernden Gedanken, zu dem sich irgendwer durch die sehr hässlichen Misshandlungsszenen hindurch bewegen möchte.
Beim herbeizitierten Stockholm Syndrom geht es um Ambivalenzen und Vieldeutigkeiten. Ein Mensch identifiziert sich in einer Gewaltsituation mit denen, die Gewalt androhen und ausüben. Das ist immer ein Stück weit strategisch, weil es dabei auch um Selbsterhaltung geht. Allianzen zu bilden mit GeiselnehmerInnen, das kann in manchen Fällen vielleicht eine Eskalation verhindern.
Die Frage des Stockholm Syndroms ist letztlich die nach dem Taumel um eine Schwelle: Wann kippt eine bewusste Strategie der inszenierten Sympathie in eine selbstzerstörerische Zuneigung? Shortland entscheidet sich hier leider selten für einen spürbaren Taumel. Nur in ein, zwei Momenten, wenn Clare Andi erledigen könnte und doch zögert. Palmer rettet immer wieder Grauzonen, die werden aber mit platten Nebenfiguren und unplausiblen Dramaturgien letztlich zunichte gemacht.
Schade, in den Händen von Drehbuchautor Shaun Grant wäre Melanie Joostens Buchvorlage unter anderen Vorzeichen vielleicht aufgeblüht. Grant übersetzte erst vor ein paar Jahren mit „Snowtown“ einen noch extremeren Stoff auf wesentlich ausgefeiltere Art und Weise für die Leinwand. In Joostens Buch ist die Ausgewogenheit der Perspektiven von Täter und Opfer wichtig, beide Figuren werden da durchpsychologisiert.
Umso enttäuschender, dass Shortland eine männlich-übergriffige Blicklogik filmisch ausspielt und diesem Blick dann nichts Substanzielles entgegenstellt. „Berlin Syndrome“ ist zu einfältig, um von einer Komplizenschaft wegzukommen. Kein Anlass für Zuneigung.
Dennis Vetter
„Berlin Syndrom“ (AUS, 2017), R: Cate Shortland, D: Teresa Palmer, Max Riemelt, Matthias Habich, 116 Minuten
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