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Führungskrise bei Energiekonzern EWEAttestierte Charakterschwäche

EWE muss drei Vorstandsposten neu besetzen. Ein der taz vorliegender Bericht von Wirtschaftsprüfern zeigt: zwei Kandidaten wackeln schon jetzt.

Dem „Energizer“ geht der Strom aus: Timo Poppe galt als aussichtsreicher Kandidat für den Vorstand der EWE AG. Nun könnte ihm eine Urlaubsreise zum Verhängnis werden. Foto: Sigrun Strangmann Fotografie/Swb

Oldenburg taz | Timo Poppe fährt Bahn. Der Vorstand der Bremer EWE-Tochter SWB nimmt für eine Dienstreise den Zug. So steht es zumindest im Wirtschaftsmagazin Capital, das dem dynamischen „Energizer“ im Mai 2016 ein seitenlanges Porträt gewidmet hat. Der 37-Jährige galt als Hoffnungskandidat für den Vorstand des gebeutelten Energieversorgers.

Doch ein knappes Jahr später hätte ihm eine weitere Fahrt mit dem Zug viel Ärger erspart. Doch eben dieses Mal nahm Poppe das Auto. Am Steuer saß ein Vorstandsfahrer der EWE AG, der Poppe in den Skiurlaub nach Österreich chauffierte. Der Fahrer hatte auch gerade Urlaub und der ausgehandelte Preis stimmt: Einmal Österreich und zurück – 2.000 Kilometer in Poppes Privatwagen für 300 Euro. Gezahlt wird in bar. Später, nachdem Poppe wieder zurück an seinem Schreibtisch ist.

So steht es in einem 26 Seiten starken Gutachten, in dem sich Wirtschaftsprüfer von KPMG „zur rechtlichen Einordnung der durch einen Vorstandsfahrer durchgeführten Fahrt von Herrn Timo Poppe nach Österreich“ ausführlich beschäftigen. Auftraggeber, der Aufsichtsrat der EWE AG. Der will diesmal keinen Schiffbruch bei der Besetzung der vakanten Vorstandsposten erleiden, nachdem das Kontrollgremium in der Vergangenheit oft kein glückliches Händchen bewiesen hat.

Der Ex-Personalvorstand Nikolaus Behr ließ einen Peilsender an das Auto eines gekündigten Mitarbeiters montieren und kam dabei selbst unter die Räder. Die einzige Frau im EWE-Vorstand warf Ende vergangenen Jahres das Handtuch. Das K. o. für den ehemaligen Vorstandschef, Matthias Brückmann, kam mit der Klitschko-Affäre. Er spendierte der Stiftung der ukrainischen Box-Brüder 253.000 Euro, ohne Rücksprache im Unternehmen und kassierte daraufhin im Februar seine fristlose Kündigung.

Aufsichtsrat will keine Überraschungen

Wegen der Spende in die Ukraine wackelt auch einer der beiden verbliebenen EWE-Vorstände, Michael Heidkamp, zuständig für den Vertrieb. Er hat die generöse Überweisung nach Kiew mit seiner Unterschrift autorisiert. Mittlerweile ermittelt die Oldenburger Staatsanwaltschaft in der Sache. Allzu verständlich also, dass der Aufsichtsrat sich für die Zukunft ein Vorstandsquintett wünscht, das nicht nur mit spektakulären Überraschungen auffällt.

Deshalb wurde KPMG beauftragt unter anderem die private Österreich-Fahrt des SWB-Vorstands Poppe rechtlich zu bewerten. Im vertraulichen Bericht ist auch vermerkt, dass Poppe zunächst nur 250 Euro zahlen wollte, den Betrag dann aber auf 300 Euro aufgestockt habe. Welche Summe für den Fahrer angemessen sei, darüber habe sich der SWB-Mann mit Kollegen aus dem oberen Management des Energieversorgers am Rande einer Sitzung in der Oldenburger Amalienstraße am 22. Februar dieses Jahres beraten. Dabei ging es offenbar nur um das Preis-Leistungsverhältnis, aber um die Rechtmäßigkeit der Tour scherte sich anscheinend niemand.

Das ist EWE

Kommunales Unternehmen: 84 Prozent der Anteile halten die Städte und Landkreise im Gebiet Ems-Weser-Elbe. Zehn Prozent hält die EWE selbst, sechs Prozent Enbw, die sich aber 2019 davon trennen wollen. Ab 2017 werde ein neuer strategischer Partner gesucht, teilt EWE mit.

Regionen: Bremen/ Oldenburg/ Osnabrück, Ostbrandenburg und Rügen. Energie verkauft die EWE auch in Teilen Polens und der Türkei.

Geschäftsfelder: Strom, Gas, Telekommunikation. Die EWE erzeugt erneuerbare Energie, sie betreibt Versorgungsnetze und Gasspeicher.

Geschäftszahlen: 2016 hat das Unternehmen 7,6 Milliarden Euro umgesetzt und aus dem laufenden Betrieb vor Zinsen und Steuern eine halbe Milliarde erlöst.

Mitarbeiter: 9.000. Nach einer von der EWE in Auftrag gegebenen Studie kommen durch Investitionen von EWE und die Kaufkraft seiner Belegschaft weitere 17.043 Vollzeitstellen in der Region hinzu.

Das stundenlange Krisentreffen nach dem überraschenden Rauswurf von EWE-Chef Matthias Brückmann war erst gegen 22.30 Uhr beendet. Sicher etwas spät, um sich selbst noch ans Steuer zu setzen, obwohl Poppe nach Beobachtung von Capital „durch das Unternehmen wirbelt, als wäre er eine Turbine, die ständig Energie produziert“.

Durch seine nächtliche Spritztour mit EWE-Chauffeur hat Poppe allerdings eine Lawine losgetreten, die seine Karrierepläne hinwegfegen könnte. Denn die Wirtschaftsprüfer kommen in ihrem „Vermerk“ zu einem vernichtenden Ergebnis: Sie haben offenbar Zweifel an Poppes charakterlicher Eignung. Zwar schränken sie ein, der Vorgang bewege sich „noch unter der Schwelle einer justiziablen Pflichtverletzung, auch wenn es bedenklich erscheinen mag, die Dienste eines zum selben Konzern gehörenden Berufsfahrers während seines Erholungsurlaubs in Anspruch zu nehmen“. Um dann unmittelbar anzufügen, das schließe aber eine entsprechende Beurteilung bei der Auswahlentscheidung des Aufsichtsrats keineswegs aus, „etwa im Rahmen der Beurteilung der charakterlichen Eignung“.

Gefälligkeiten unter Feuerwehrkumpanen

Mehr noch, zu den Rechten und Pflichten eines Aufsichtsrats gehöre es, „potenzielle Vorstandsmitglieder auf ihre fachliche und persönliche bzw. charakterliche Eignung hin zu prüfen“. Das ist wohl kaum misszuverstehen, möglicherweise ein K. o.-Kriterium. Unbeeindruckt ließen die Wirtschaftsprüfer übrigens, dass Poppe und sein Urlaubschauffeur beteuert haben sollen, man kenne sich doch privat von der Freiwilligen Feuerwehr in Wildeshausen und da helfe man sich unter Kameraden gern mal gegenseitig aus. Laut Prüfbericht mussten sie allerdings zugeben, dass die „Gefälligkeiten“ dann üblicherweise mit einem Kasten Bier als Dankeschön erledigt werden.

Ex-Telekom Chef Kai-Uwe Ricke, der laut Capital als Poppes Mentor gilt, warnte in dem Fachblatt seinerzeit bereits, dass viele, die so früh so hoch aufgestiegen sind, ein Problem hätten: „Man überschätzt sich und seine Fähigkeiten“. Wenn Poppe ihn vor wichtigen Entscheidungen anrufe, versuche Ricke vor allem eins: „Dafür zu sorgen, dass ein Moment des Innehaltens und der Reflexion entsteht.“ Offenbar hat Poppe ihn vor seinem Urlaubstrip mit Chauffeur nicht angerufen. Ein Fehler.

Aber sein Hochgeschwindigkeitszug in die EWE-Vorstandsetage droht nicht nur wegen des nächtlichen Langstrecken-Trips über die Autobahn zu entgleisen, sondern auch, weil Poppe nach Auffassung von KPMG in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied des Tochterunternehmens EWE Netz seine Aufsichtspflicht verletzt habe. Er war von Juli 2012 bis Dezember 2015 Mitglied des Kontrollgremiums, auch als Aufsichtsrats-Chef.

Zu den Rechten und Pflichten eines Aufsichtsrats gehört es, potenzielle Vorstandsmitglieder auf ihre fachliche und persönliche bzw. charakterliche Eignung hin zu prüfen

Wirtschaftsprüfer

Spätestens 2014 hätte er bemerken können, dass die EWE Netz jahrelang Steuern und Sozialabgaben nicht korrekt abgeführt hat. Schwerwiegende Vorwürfe, die die Wirtschaftsprüfer in einem weiteren, vertraulichen 64-Seiten-Bericht „zu möglichen Sorgfaltspflichtverletzungen“ und der „Integritätsprüfung/Auswahlentscheidung des Aufsichtsrates der EWE AG“ umfassend analysiert haben.

Dabei geht es um Schichtzulagen von Mitarbeitern in den Leitstellen des Energieversorgers, die seit 2006 nicht ordnungsgemäß versteuert wurden. Auch die darauf fälligen Sozialabgaben hat EWE Netz nicht abgeführt. Der entstandene Schaden wird von KPMG auf insgesamt 1,9 Millionen Euro beziffert, die mittlerweile als Nachzahlung fällig wurden. Trotz mehrfacher Aufforderungen von Finanzamt und Rentenversicherungsträger wurde die unerlaubte Abrechnungspraxis nicht geändert.

Schwer von Begriff

Dass es bei der EWE Netz ein Problem mit der Versteuerung der Wechseldienstschichtzulage gibt, hätte Poppe bereits 2010 bemerken können, notieren die Wirtschaftsprüfer. Damals habe er als Leiter der Unternehmensentwicklung bei der EWE AG als Protokollführer an einer Vorstandssitzung teilgenommen, auf der die sogenannte Wechsel­dienstschichtzulage erörtert worden sei. In der Befragung soll er den Wirtschaftsprüfern erklärt haben, dass er sich als Protokollant nur um die Niederschrift der Sachthemen gekümmert habe und inhaltlich nicht damit befasst gewesen sei.

Ein SWB-Spitzenmanager, der laut Capital zur „jungen Elite der Wirtschaft“ gehört, begreift nicht, was er da protokolliert? Schwer zu glauben, auch für die KPMG-Experten. Aber sie lassen ihm das gerade noch durchgehen. Eine weitere abenteuerliche Ausrede nehmen sie ihm dann nicht mehr ab: Er sei nur Gast gewesen bei einer EWE-Vorstandssitzung im Oktober 2014, auf der das Thema ebenfalls auf der Tagesordnung stand. Und die Problematik „Lohnsteueraußenprüfung“ sei im Protokoll „ nur in wenigen Sätzen umschrieben, so dass er auf dieser Grundlage kaum deren tatsächliche Dimension hätte erfassen können.“

Die Wirtschaftsprüfer sehen darin eine reine Schutzbehauptung. Ihrem Bericht zufolge hätte man den Unterlagen ohne Weiteres entnehmen können, dass auf die EWE Netz, deren Aufsichtsratsvorsitzender Poppe zu dem Zeitpunkt war, wegen der Wechseldienstschichtzulagen steuerliche Nachforderungen in Höhe von 410.000 Euro zukamen. KPMG sieht darin eine „Verletzung seiner Überwachungspflicht“ als Aufsichtsrat. Kein Kavaliersdelikt – und schon gar kein Freifahrtticket in den EWE-Vorstand.

Der Untersuchungsbericht zur Steuertrickserei belastet nicht nur Timo Poppe, sondern auch den Geschäftsführer der EWE Netz, Torsten Maus. Er ist ausgerechnet der zweite potenzielle EWE-Vorstandskandidat. KPMG attestiert Maus, seine Organisations- und Überwachungspflichten verletzt zu haben. Ein gravierendes Manko. Denn „durch diese Pflichtverletzung ist der EWE Netz auch ein Vermögensschaden entstanden“, heißt es im Untersuchungsbericht. Das könnte nicht nur den Karrieresprung ausbremsen, zumal die Staatsanwaltschaft Oldenburg gerade prüft, ob sie dazu Ermittlungen einleitet. Ein Sprecher teilt mit, „dass die Prüfung des Vorliegens eines Anfangsverdachtes im Hinblick auf das Nichtabführen von Sozialabgaben andauert“.

Noch keine Entscheidung

Sollte sich Maus vor Gericht verantworten müssen, wird ihm der Aufsichtsrat keine Chance geben können. Denn KPMG empfiehlt dem Gremium ausdrücklich und wiederholt, darauf zu achten, dass die Kandidaten fachlich und charakterlich „geeignet“ sein müssen.

Beide EWE-Vorstandskandidaten, Maus und Poppe, teilen mit, dass sie sich bis zur Vorlage des KPMG-Abschlussberichts nicht äußern werden und verweisen auf die Stellungnahme eines Konzern-Sprechers. Darin heißt es: „Dazu stellt die EWE AG klar, dass es sich explizit um einen Zwischenbericht handelt. Dieser erhebt weder einen Anspruch auf Vollständigkeit, noch ist er mit einer abschließenden Bewertung zu verwechseln.“ Der Abschlussbericht wird für Juni erwartet, solange darf man wohl auch auf eine ausführliche Stellungnahme und eventuelle Personalentscheidung warten.

Eine Einschätzung, ob Poppe und Maus unter diesen Bedingungen überhaupt noch für ihre gegenwärtigen Führungsfunktionen geeignet sind, vermeiden die KPMG-Prüfer. Das war nicht Teil ihres Auftrags.

Für den Fall, dass das Kontrollgremium die Bewertungen und Ratschläge zwischen den Zeilen der KPMG-Berichte übersieht, haben die Experten noch eine ausdrückliche Empfehlung parat: die Behandlung der Wechseldienstschichtzulage weise wegen der Presse­berichterstattung eine „hohe Visibi­lität“ auf. Es sei also davon auszugehen, dass die Auswahlentscheidung des Aufsichtsrats „besonders gründlich hinterfragt werden wird“. Auch da haben die Wirtschaftsprüfer ganz sicher recht.

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