: Treffen sich vier Kritiker …
Theater Was soll, kann und muss Kritik heute leisten? Das war die Ausgangsfrage eines Podiums der Theaterfreunde. Kontroversen folgten
Benno Schirrmeister, taz.Bremen
Treffen sich vier Bremer Theaterkritiker, kommt es nicht immer zum Witz. Sondern manchmal auch zur Kritik der Kritik: Genau darum ging es bei der offenen Podiumsdiskussion der Theaterfreunde im Café des Schauspielhauses am Dienstagabend. Vor 50 ZuhörerInnen – TheaterbesucherInnen und -macherInnen – war die Ausgangsfrage: Steht die seit Jahrhunderten sich ausdifferenzierende Bühnenkunst einem seit Jahrzehnten verkümmernden Handwerk der Kritik gegenüber?
Allein davon leben kann jedenfalls kein Journalist mehr. 20 bis 100 Euro zahlen Print- und Onlinemedien pro Rezension. Wenn die Arbeitszeit berücksichtigt wird, ist Mindestlohn eine Utopie: Denn professionelle Kritiker lesen vor der Premiere den dramatischen Text, informieren sich über das Inszenierungskonzept, recherchieren Interpretations- und Aufführungsgeschichte sowie das Œuvre der Künstler, müssen An- und Abreise zu den Theatern selbst finanzieren, stundenlang zuschauen und schließlich schreiben.
Der Aufwand hat sich nicht geändert, während Umfang und Status der Beiträge schwinden: „Weil durch Konzentration auf dem Medienmarkt die Berichterstattungsplätze dafür weniger werden und Verlage den Platz für Kulturberichterstattung verkleinern, da kaum Anzeigenaufkommen zu verzeichnen sind, und sich nur zehn Prozent der Zeitungskäufer dafür interessieren“, erklärte Rolf Stein von der Kreiszeitung. Eine Mitschuld der Leser konstatierte Iris Hetscher vom Weser-Kurier: Wenn jemand gern Theaterkritik will, müsse er diese mit einem Zeitungsabonnement auch mitfinanzieren.
Im Fernsehen ist die Theaterkritik ausgestorben. In einigen Zeitungen nähert sie sich dem Genre des Berichts an. Und im Radio wird sie derzeit des Öfteren durch unkritische Vorabberichte ersetzt, also direkt PR-Arbeit fürs Theater gemacht.
Diese Zustandsbeschreibung sorgte für eine kleine Kontroverse: Stephan Cartier von Radio Bremen sprach sich für den Servicecharakter aus: Man solle Fakten, Daten, Hintergründe, Zusammenhänge und Einschätzungen an die Hand geben, warum es sich lohnen könnte, eine Inszenierung zu besuchen oder eben nicht.
Benno Schirrmeister von der taz hingegen argumentierte gegen Serviceanbiederungen. Er wolle mit Rezensionen „die diskursiven Potenziale von Theater freilegen und den Bezug zur heutigen Zeit betonen“ und wehrte sich gegen die Tendenz, nur noch zu beschreiben: „Nicht indem ich analysiere und meine Meinung äußere, entmündige ich den Leser, sondern indem ich darauf verzichte. Kritik ist Einladung zur Diskussion, zum Streit, zum Mut, sich selbst zu positionieren.“
Für mehr Rücksicht und einen Kuschelkurs plädierte Schwankhallen-Chefin Pirkko Husemann: „Es geht nicht nur dem Feuilleton schlecht, auch den Theatern, was finanzielle Ausstattung und Anerkennung angeht. Wir sitzen alle in einem Boot.“ Sehr zornig beschwerte sich Schauspielerin Fania Sorel über die ihrer Ansicht nach verletzende Art, in der kürzlich ihre deutsche Aussprache kritisiert worden sei – ein Appell an mehr Empathie der Rezensenten.
Die ZuschauerInnen wünschten sich von der Kritik vor allem, das zu erklären, was sie selbst nicht verstanden haben. Zudem sollten KritikerInnen deutlicher betonen, dass sie keine objektive Wahrheiten, sondern subjektive Einschätzungen formulierten. Auf die Frage nach Wirkung und Relevanz der Theaterkritik antwortete Rainer Glaap von den Theaterfreunden: „In Bremerhaven sind die Premieren immer schwach besucht, weil die ZuschauerInnen warten, was die Presse schreibt – und erst dann entscheiden, ob sie hingehen oder nicht.“ Jens Fischer
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