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Prinzipiell einfach mal positiv

Märchen Zürich, New Yorck, Bulgarien, Berlin: Der Mann, der sich Ulpi nennt und seine Geschichten in Bars verkauft, kam viel herum. Seine Lebenskunst ist nun in der Schau „Ulpi der Bohemien“ zu sehen

Kein Aussteiger: „Ich bin ja nie wirklich eingestiegen“, sagt Gary Luchsinger alias UIpi, hier in seiner Schau im Supalife Kiosk Foto: Dagmar Morath

von Annika Glunz

Im hiesigen Nachtleben mit den zahlreichen Menschen, die ihre Runden durch die Kneipen drehen, um wahlweise Blumen, Essen oder Polaroids zu verkaufen oder ihr musikalisches Können zum Besten zu geben, fällt er aus der Reihe. Und zwar positiv. Generell strahlend betritt Ulpi den Raum und schiebt sich bester Laune durch das Gedrängel in den Bars, um den Gästen dort kleine Märchenhefte zu verkaufen.

Seit mehr als 30 Jahren bestreitet Ulpi, der bürgerlich Gary Luchsinger heißt, nun schon seinen Lebensunterhalt auf diese Weise – und das macht der Mittfünfziger nicht nur in Berlin, sondern in aller Welt.

In dieser Zeit sind nicht nur diverse Märchen entstanden, sondern auch Käppis und T-Shirts – und natürlich jede Menge Geschichten, immer neue Erkenntnisse und bewegende Begegnungen. All das zeigt der gebürtige, seit Langem in Berlin lebende Schweizer derzeit in seiner Ausstellung „Ulpi der Bohemien“ im Supalife ­Kiosk. Noch bis 9. Mai können sich BesucherInnen dort von Ulpis grundpositiver Lebenseinstellung inspirieren lassen.

Zu seinem eigenen Leben befragt, lässt sich Gary auf die Bezeichnung als „Aussteiger“ nicht ein und sagt: „Ich bin ja nie wirklich eingestiegen.“ Bereits mit 15 Jahren fing er an, Zeichnungen für Fanzines zu entwerfen, und spielte in einer Punkband namens Abgas. Ihm gefiel die gelebte Anarchie innerhalb der Zürcher Punkszene während der siebziger Jahre. „Ab den achtziger Jahren aber veränderte sich der Punk. Alle waren nur noch gegen etwas, die gesamte Szene bekam so einen negativen, desillusionierten Touch. Mir wurde es dort langweilig. Das war die Zeit, in der mein erstes Märchen entstand“, so Gary.

Das Büchlein „Der kleine Mann“ ist eine scharfe Gesellschaftskritik, und harmlos verpackt in beinahe niedlich anmutende Zeichnungen schienen die Zürcher sich gern einen Spiegel vorhalten zu lassen: Das Märchen wurde bald zum Verkaufsschlager in den dortigen Bars. Sehr zur Freude des Urhebers, der daraufhin beschloss, sich mit dem so verdienten Geld auf den Weg in die USA zu machen: „Das war mir einfach alles zu eng in der Schweiz.“

In den USA angekommen, lautete seine Mission weiterhin: Märchenbücher machen und sie unter die Leute bringen. „New York war für mich ein Kinderspiel“, berichtet Gary, „ich wusste ja, wie Straße geht.“

Obwohl er aber, wie er erzählt, jeden Morgen aufstand, ohne konkret zu wissen, was der Tag bringen würde, habe er in seinem Leben in den USA keine einzige Nacht auf der Straße verbringen müssen: „Das Wichtigste ist immer, dass du eine Mission hast. Dann lernst du auch meist genau die richtigen Menschen kennen.“ Das nötige Geld für die Anfertigung seiner Märchenheftchen verdiente sich Gary im Straßenbau, und nebenbei avancierte er zum Flipper-Guru, was ihm neben Ruhm und Schlafplätzen noch zusätzliches Geld verschaffte.

Nach den USA lebte Gary auch längere Zeit in Bulgarien, wo sich die Menschen gleichfalls offen für die in seinen Büchern vermittelten Weisheiten zeigten. Die Erzählungen stehen sinnbildlich für Erfahrungen und Erlebnisse, die jeder Mensch in dieser Welt in seinem Leben machen kann, und sind dabei zuweilen hoch moralisch: „Methoden zur Lenkung der Leidenschaften“, wie der Autor selbst sie bezeichnet.

In „Ulpi und das Schwein“ beispielsweise wird die Geschichte eines armen Schweinehirten erzählt, dessen Betrieb aufgrund ungünstiger klimatischer Bedingungen nicht läuft. Eines Tages wird der Hof von Krokodilen überfallen. Der Hirt traut sich nicht zu schießen, die Schweine werden gefressen – und von diesem Zeitpunkt an wird er durch den Verkauf von Krokodilsleder zu einem reichen Mann. Moral der Geschichte: „Die meisten Vorhaben scheitern an der Suche nach Möglichkeiten, die man nicht hat.“

„Das Wichtigste ist immer, dass du eine Mission hast. Dann lernst du auch meist genau die richtigen Menschen kennen“

Ulpi der Bohemien

Mit seinen Märchen scheint Gary Luchsinger sowohl generations- als auch milieu- und kulturübergreifend einen Nerv zu treffen. Ideen für neue Märchen erhält er immer aus seinem direkten Umfeld: „In erster Linie mache ich das aber für mich, es gab nie die Überlegung, was könnte den Leuten gefallen“, so der Autor.

Ähnlich verhält es sich auch mit den in der Ulpi-Schau ausgestellten, selbst entworfenen Kleidungsstücken: Auf der Suche nach Arbeit schrieb er einen Slogan auf sein Shirt. Kurze Zeit später sprang ein Künstler auf diesen Slogan an und machte ihm das Angebot, diesen Satz gegen Bezahlung in Serie zu produzieren.

Mittlerweile hat Gary sein Sortiment ausgeweitet mit Magneten, Pins und Postern mit „Ulpi“-Slogans.

„Ulpi der Bohemien“ – ob sich der Autor selbst nun dem Titel seiner Ausstellung immer weiter annähert? „Definitiv“, sagt er. „Zudem mache ich immer noch jeden Tag extrem viele positive Erfahrungen durch den Verkauf meiner Märchen. Das Einzige, was ich nicht haben werde, ist eine coole Rente. Aber ich möchte ja auch gar nicht aufhören, Märchen zu schreiben“, lacht Gary und fügt hinzu: „Leben in dieser Welt ist hauptsächlich eine mentale Angelegenheit.“

„Ulpi der Bohemien“ im ­Supa­life Kiosk, Raumerstr. 40, Mo.–Sa. 11–19 Uhr, bis 9. Mai

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