piwik no script img

DER AUTOR Früher schrieb er über alles Mögliche von Fußball bis Film, in Südafrika fand er dann sein Thema: Rassismus. Seither erfindet Max Annas Geschichten über junge schwarze Männer, die vor etwas davonlaufen. Dabei stelle das Genre des Krimis eine „ausgezeichnete Basis dar, um eine Gesellschaft und ihre Konflikte zu sezieren“„In Gruppen stelle ich mich automatisch an den Rand“

Interview Andreas HartmannFotos Sebastian Wells

taz: Herr Annas, bevor Sie preisgekrönter Krimiautor wurden, waren Sie viele Jahre lang Journalist. Und Sie haben zig Sachbücher veröffentlicht. Über Ernährung, Nazirock, den Ethnologen Claude Lévi-Strauss, afrikanischen Film – und über den 1. FC Köln. Woher kommt Ihr Interesse für alles Mögliche?

Max Annas: Haben wir nicht alle mannigfaltige Interessen? Und ist es nicht zu eingefahren, immer nur über ein bestimmtes Thema zu schreiben? Auf der einen Seite war ich wohl einfach faul genug, über das zu schrei­ben, was mir so angetragen wurde. Auf der anderen Seite hatte ich oft nicht auf das Geld geachtet und einfach die Dinge gemacht, auf die ich Lust hatte. Ein Buch über den 1. FC Köln für einen kleinen linken Verlag zu machen beispielsweise, das war letztlich wirklich keine echte Karriereoption.

Sie hätten zum Beispiel irgendwann bei der SportBild landen können.

So weit habe ich nie gedacht. Vielleicht hätte ich diesen Weg gehen sollen.

Über welche Themen haben Sie denn den Einstieg in den Journalismus geschafft?

Meine Schreibschule war sicherlich der Filmjournalismus, mit dem habe ich vor über 30 Jahren begonnen. Ich habe dann bei der Kölner StadtRevue als Redakteur in verschiedenen Bereichen gearbeitet. Im Politikteil genauso wie im Bereich Gastro. Und eine Zeit lang habe ich die Uni-­Beilage betreut, wofür ich besonders geeignet war, weil ich nie studiert und nicht einmal Abitur habe.

Irgendwann haben Sie auch über Musik geschrieben, auch in der Spex zu deren goldenen Zeiten in den Neunzigern. Wie kam es dazu?

Das Schreiben über Musik ist mir eher aufgedrängt worden. Ich habe in Köln in einer Art Spex-WG gelebt. Einer der Redakteure, mit denen ich zusammenwohnte, Ralph Christoph, brachte immer neue Platten mit nach Hause und meinte irgendwann zu mir: Los, mach auch mal was zu Musik. Zuerst haben sie mich zum Rockisten gemacht, davon habe ich mich aber langsam emanzipiert, weil ich eigenständig damit begonnen habe, mich um afrikanische Popmusik zu kümmern.

Kam über die Musik Ihr gesteigertes Interesse an Afrika? Sie haben ja bis vor Kurzem noch in Südafrika über südafrikanischen Jazz geforscht, und auch die Hauptfiguren Ihrer Romane kommen vom afrikanischen Kontinent.

Nein, als Teil einer Gruppe in Köln hatte ich damals damit begonnen, Reihen über den afrikanischen Film zu kuratieren. Das entstand durch ein politisches Wollen. Wir wollten einfach selbst mehr über Afrika wissen und hatten gleichzeitig das Gefühl, dazu beizutragen, dass sich die Leute stärker dafür interessieren, was auf dem afrikanischen Kontinent passiert.

Sind Sie nun als Krimiautor immer noch auf dem Laufenden, was die Musik und das Kino angeht?

Musik bekomme ich nicht mehr in dem Maß mit, außer viel afri­kanische. Bei Filmen bin ich eher auf dem aktuellen Stand. Ich schaue im Durchschnitt fünf Filme in der Woche, zwei bis drei davon im Kino. Ich gucke eigentlich alles, auch Genrefilme, Thriller und Blockbuster. Zuletzt war ich in „Birth Of A Nation“, ein großartiger Film. Und ich war zweimal in „I am not your Negro“. Der Film hat einen Protagonisten, der großartig ist, James Baldwin als Erzähler seiner eigenen Geschichte und der der Schwarzen in den USA. Der hat schon in den Sechzigern etwas Wichtiges gesagt, nämlich: Der Rassismus ist nicht unser, sondern euer Problem, das Problem der Weißen.

Erzählen Sie doch mal, wie es kam, dass Sie dann plötzlich Krimiautor wurden.

Ich ging 2008 nach Südafrika, und das war wie ein Aufruf an mich: Schreib Fiktion! Vorher in Deutschland hatte ich das auch schon ein paarmal versucht, hatte aber nie die nötige Ruhe dafür, und das, was ich geschrieben hatte, war alles Schrott. In Südafrika hatte ich Raum und Ruhe und ein Land, das mich sozusagen gebeten hatte: Schreib über mich.

Wie genau artikulierte sich diese Bitte?

In Südafrika ist das öffentliche Leben so offensichtlich ungleich organisiert, die Gegensätze sind krass. Das entwickelt sofort eine Dringlichkeit, man will sich näher damit befassen. Es gibt Armut, die nicht bekämpft wird. Eine Regierung, die sich nicht um die Armut kümmert. Und es gibt die Ignoranz der Weißen, die nicht in der Lage sind, für die Fehler der Vergangenheit einzustehen, und erst recht nicht, Konsequenzen aus der Vergangenheit zu ziehen. Nicht mal verbal. Wenn die wenigstens sagen würden: Okay, wir haben euch Schwarze jahrhundertelang beklaut, deswegen sind wir reich, und ihr seid arm. Aber bis heute sagt die Mehrheit der Weißen über Schwarze: Die schaffen es einfach nicht.

Wenn man als Weißer nach Süd­afrika kommt, wird man da automatisch Teil dieses weißen Narrativs?

Man wird von Weißen dort sofort als Weißer eingemeindet. Automatisch wird von den Weißen gesagt: Der ist einer von uns. Du kannst dem gar nicht andauernd widersprechen, sonst bist du mit nichts anderem mehr beschäftigt.

Max Annas

Das Werk:Max Annas erster, vor drei Jahren veröffentlichter Roman „Die Farm“ wurde mit dem Deutschen Krimi Preis als drittbester Krimi des Jahres 2014 ausgezeichnet. Sein zweiter Roman „Die Mauer“ wurde von der Jury des Deutschen Krimi Preises gerade zum besten Krimi des Jahres 2016 gekürt. „Illegal“, sein dritter Roman, ist eben erschienen und spielt erstmals in Berlin.

Sein Vorleben:Vor seinem Leben als Krimiautor arbeitete Annas in Köln als Journalist und gab bei linken Verlagen unter ­anderem Bücher über den ­afrikanischen Film, die Ernährungsindustrie, Nazirock und den 1. FC Köln heraus. Für fünfeinhalb Jahre zog er dann nach Südafrika, um über südafrikanischen Jazz zu forschen.

Im Alltag:Seit zwei Jahren lebt der 53-Jährige in Berlin. Er steht um 4 Uhr auf, geht ins Fitnessstudio, beginnt um 6 Uhr die erste Schreibschicht. Um 9 Uhr legt er sich noch einmal hin, und am Nachmittag begibt er sich erneut an den Schreibtisch.

Sie haben dann dort über südafrikanischen Jazz geforscht – was bedeutet das konkret?

Ich hatte an der University of Fort Hare in East London fünfeinhalb Jahre ein Forschungsprojekt. An dessen Ende sollten ein Buch stehen und ein kleiner Dokumentarfilm. Primär ging es bei meiner Arbeit um die Jazzband The Blue Notes. Die Band galt nach den Gesetzen des Landes als mixed -race und hat 1964 das Land verlassen. Die Band hatte aufgrund der rassistischen Gesetze der Apartheid Probleme damit, in schwarzen wie in weißen Gegenden aufzutreten. Sie ging zuerst nach Frankreich, dann in die Schweiz und 1965 als Quintett nach London, wo sie in der dortigen Freejazz- und Avantgardeszene bleibende Spuren hinterlassen hat. Das Forschungsprojekt ist nicht ganz fertig geworden, ich werde es in den nächsten Jahren aber noch fertigstellen. Ich musste raus aus Südafrika, weil die dortige Regierungspartei ANC in ihrer Weisheit ein neues Migra­tionsgesetz erlassen hatte. Ich konnte nach diesem mein Arbeitsvisum nicht verlängern.

Danach sind Sie nicht zurück nach Köln gezogen, sondern nach Berlin. Warum das?

Ich musste mich nach Südafrika einfach entscheiden, wo ich jetzt hingehe. Und ich habe mich gegen mein Heimatdorf, also Köln, entschieden. Du kannst nicht zurückgehen ins Heimatdorf, wenn du lange in Übersee gewesen bist. Eine Überlegung war, in eine grundsolide deutsche Mittelstadt zu ziehen, vielleicht Mülheim an der Ruhr oder Mannheim, auch um zu gucken, wie man da so lebt. Dann überzeugten Freunde mich aber davon, nach Berlin zu ziehen, und ich dachte mir auch, dass Berlin noch einen Genre-Autor gebrauchen könnte, der auf die sozialen und politischen Ränder guckt.

Fühlen Sie sich inzwischen wohl in Berlin?

Ich glaube, ich bin angekommen.

Ist Ihr neues Buch, „Illegal“, gleich ein echter Berlinroman? Oder anders gefragt: Hätten Sie dieses Buch, in dem Sie Ihren Hauptprotagonisten zigmal durch die ganze Stadt ziehen lassen, gleichzeitig auf der Flucht und auf der Suche, so auch in Köln schreiben ­können?

In Köln habe ich über 44 Jahre gelebt, ich kenne die Stadt in- und auswendig. Wahrscheinlich hätte ich dort beim Schreiben den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen. In Berlin musste ich meinen Blick ändern und die Augen aufmachen. Die Neugier für einen sozialen Raum, den man als Zugezogener mitbringt, hat mir sehr geholfen, zu verstehen, wie diese Stadt überhaupt funktioniert. „Illegal“ ist dann auch Ergebnis des Versuchs, diese Stadt kennenzulernen.

Die Hauptfigur in „Illegal“, Kodjo, ist ein illegal in Berlin lebender Schwarzer, der permanent mit Ausgrenzung und Rassismus konfrontiert wird. Inwiefern haben Sie dabei Erfahrungen aus Südafrika auf den Schauplatz Berlin transferiert?

Viele Reaktionen auf meinen ersten Roman, „Die Farm“, waren von der Art, dass mir Leute sagten: Ja klar, der Rassismus in Südafrika ist wirklich eine ganz schlimme Sache, doch bei uns ist das anders. Diese Haltung hat mich massiv gestört, und dagegen wollte ich anschreiben. Ich sage nicht, dass sich die Ver­hältnisse in Südafrika und Deutschland gleichen, nicht einmal, dass sie sich ähneln. Aber in „Illegal“ geht es wie im Vor­gänger, „Die Mauer“, um das Bild eines davonrennenden schwarzen jungen Mannes, und dieses Bild ist, unterschiedlich geprägt, in ­beiden Gesellschaften möglich.

Sie schreiben Geschichten aus der Sicht Ihrer schwarzen Hauptfiguren. Da gibt es genügend Kritiker, die sagen: So etwas steht Ihnen als Weißer, der den Rassismus nicht direkt erlebt hat, nicht zu.

In Südafrika sagen sie: Jetzt nehmen die Weißen uns auch schon unsere Geschichten weg.

Die Critical-Whiteness-Fraktion sagt so etwas auch in Deutschland.

Ich kenne die Diskussionen und finde auch, dass sie eine starke Berechtigung haben. Andererseits muss ich, wenn ich ein Drama schreibe, darauf achten, Figuren zu erschaffen, die nicht nur mit den Erfahrungen eines 53-jährigen weißen, heterosexuellen Inhabers eines deutschen Passes deckungsgleich sind. Ob das politisch opportun ist, muss bei der Entwicklung eines Dramas zweitrangig sein.

„In einer Gesellschaft, die so funk­tioniert wie unsere, wird es jedenfalls immer Racial ­Profiling geben“

Würden Sie also sagen, spätestens bei der Kunst sollte sich die Critical-Whiteness-Bewegung besser etwas zurückhalten?

Schreiben Sie: Max Annas überlegt lange. (Kunstpause) Schreiben Sie nun: Max Annas überlegt immer noch. (Kunstpause) Ich finde die Pointierungen, die hier stattfinden, richtig und interessant, ohne dass ich mich ihnen immer anschließen würde. Die Konsequenz des Ausschlusses etwa finde ich nicht immer nötig. Ich finde es richtig, darüber zu reden, auch darüber, was Leute dazu bringt, sich mit Attributen anderer Kulturen zu schmücken. Ich würde aber nicht so weit gehen, Leute auszuschließen, die sich dann doch beispielsweise für das Tragen von Rastas entscheiden. Es ist aber auch richtig, zu fragen: Warum benutzt der Annas überhaupt einen schwarzen Protagonisten?

Und warum?

Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich mich selbst in Gruppen als Außenseiter fühle. In Gruppen stelle ich mich automatisch an den Rand. Diese Position habe ich als Autor einfach radikalisiert, indem ich jemanden zu meinem Hauptprotagonisten gemacht habe, der hier mitten in Deutschland als der Andere identifiziert wird.

Und wenn Ihnen ein illegaler Migrant sagen würde, dass Sie als Weißer seine Außenseitersituation gar nicht nachvollziehen können?

Wenn mir so jemand sagen würde: Hey, Kleiner, das ist nicht zutreffend, was du da schreibst, oder einfach nicht statthaft, dann würde ich mir das anhören. Und dann sagen: Danke für den Kommentar. Ich könnte nicht mehr tun, als mich für die Stellungnahme zu bedanken, die mich auch interessiert. Aber sie würde nichts ändern. Das Kind ist sowieso bereits in den Brunnen gefallen, das Buch existiert ja.

Warum sind Sie überhaupt ausgerechnet Krimiautor geworden?

Ich lese Genre, ich schreibe über Genre und ich liebe es, Genre zu schreiben. Der Status politischer Genreliteratur in Deutschland ist, anders als etwa in Italien und Frankreich, immer noch ziemlich niedrig. Dabei stellt Kriminalliteratur eine ausgezeichnete Basis dar, um eine Gesellschaft und ihre Konflikte zu sezieren.

Sind Sie richtiger Krimifan?

Nein. Ich bin Fan vor gar nichts. Außer vom 1. FC Köln vielleicht.

Über James Baldwin als Erzähler der Geschichte der Schwarzen in den USA: Er hat schon in den 60ern etwas Wichtiges gesagt: Der Rassismus ist nicht unser, sondern euer Problem, das Problem der Weißen

Aber Sie schätzen bestimmte Krimiautoren?

Ja, Jean-Patrick Manchette, Dominique Manotti und Stuart Kaminsky zum Beispiel. Einmal ein Buch zu schreiben wie „Rote Ernte“ von Dashiell Hammett sollte das Ziel jedes Krimiautors sein. Oder Peter Temple und seine Art, Dialoge zu schreiben: großartig. Auch Garry ­Disher mag ich gerne.

Weil der Görli und die Dealerszene in „Illegal“ eine so große Rolle spielen, zum Schluss noch eine Frage an Sie als Görli-Experten: Haben Sie eine Idee, wie sich das Problem dort lösen lässt?

Dass vornehmlich illegale Leute mit Drogen handeln, liegt daran, dass diese Leute sonst keine Chancen haben. Sie werden von der Gesellschaft situiert und dann von der Polizei verfolgt. Ändern muss sich auch, dass die Drogen illegal sind. Ich zweifle nicht daran, dass wir für diese Leute dann andere Beschäftigungsfelder finden könnten als den Drogenhandel.

Die Dealer sind natürlich immer schwarz, bis zu der Umkehrung: Schwarze sind immer Dealer. Racial Profiling, das thematisieren Sie in Ihren Büchern, ist nicht nur im Görli allgegenwärtig.

Dieses Rasterdenken ist einfach tief drin in den Leuten. Und bei den Polizisten. Wenn dieses ­Racial Profiling nicht bei Strafe verboten wird, werden sie das auch weiter anwenden. Ohne eine radikale Transformation unserer Gesellschaft wird sich da gar nichts ändern.

Wie sähe diese Transformation denn aus?

Das müsste ich noch entwickeln. In einer Gesellschaft, die so funktioniert wie unsere, wird es jedenfalls immer Racial Profiling geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen