Folk mit ironisch-ernsthaften Texten: Wir leiden unter Eisenmangel
Joshua Tillman wollte Pastor werden. Nun hat er unter dem Namen Father John Misty sein bereits drittes Soloalbum veröffentlicht.
Kaum eine Woche ohne Terrormeldung; eine Epoche scheint vorbei, eine neue noch nicht angebrochen. Dem entspringt ein allgemeines Gefühl der Verunsicherung, das ein Folk-Songwriter, wenn auch nicht direkt, in Musik übersetzt, so doch musikalisch kommentiert. Die Rede ist von Joshua Tillman, besser bekannt als Father John Misty.
„Pure Comedy“, das dritte Album des ehemaligen Schlagzeugers der US-Band Fleet Foxes, ist ein über Genregrenzen hinaus funktionierendes Folk-Ding. Seine Bedeutung liegt im Ungenauen, darin, dass Songkunst hier keine Deutungshoheit beansprucht. Es ist unklar, ob es ein Protestalbum ist oder ob die Songs für die Resignation derjenigen stehen, die, überwältigt von der Krise der Demokratie, nicht wissen, ob sie demonstrieren oder sich daheim einigeln sollen. Diese Ambivalenz kann dem Album auch als Schwäche ausgelegt werden.
„Our brains are way too big for our mother’s hips“, so fängt Father John Misty im Titelsong „Pure Comedy“ zu singen an. Kurz darauf lässt er uns wissen, dass wir unter Eisenmangel leiden. Die Konsequenz: „Somebody’s gotta go and kill something.“ Diese Programmfehler menschlicher Existenz sind Leitbilder von Joshua Tillman. Eine Handlungsanweisung in der conditio humana gibt er aber nicht mit an die Hand. Dies mussten Folksongs zwar noch nie leisten, aber wie ist es mit Kunst? Soll die nicht etwa Antworten in schwierigen Zeiten geben und erklären, was richtig und was falsch ist?
Tillman inszeniert sich als Heilsbringer, der niemandem den Weg weist. Er predigt immer noch zu einem urbanen, weißen, selbstgewissen Publikum. Religiöse Würdenträger und andere Obrigkeiten sind vor den ätzenden Salven Tillmans nie sicher. Das Religiöse als Sinnangebot macht Father John Misty dabei aber nie lächerlich. Dass Tillman dennoch keine Fundamentalkritik betreibt, sondern sich Respekt bewahrt, ist klug. Das muss wohl so sein, denn schließlich bedient er sich selbst der Klaviatur der Religionen.
Ist „Pure Comedy“ die Rückkehr von Protest in den Folk?
In „Pure Comedy“ setzen mit der Kritik an Glaubensinstitutionen auch die Drums ein, Tillman bläht seinen Gesang auf und eine Klangwand nimmt Gestalt an, vor der der Hörer fast erschlagen wird. Ist das wieder dieses doppeldeutig Unentschiedene? Eine Anrede für einen Geistlichen als Künstlername, Father John Misty: Ironie oder Programm?
Der 35-jährige Tillman wuchs in einer evangelikalen Familie in einem Vorort von Washington, D. C., auf. Er wollte einst sogar Pastor werden. Dann entschied er sich doch für die weltliche Bühne. Nachdem er einige Eigenkompositionen aufgenommen hatte und seit 2008 mit Fleet Foxes unterwegs war, veröffentlichte er 2012 sein Debütalbum als Father John Misty, „Fear Fun“. Beim zweiten Album, „I Love You, Honeybear“ von 2015 deuteten Songs wie „Bored In The USA“ dann auf jene ironisch-ernsthafte Zerrissenheit hin, die sich nun durch „Pure Comedy“ zieht.
Father John Misty: „Pure Comedy“ (Bella Union/PIAS/Cooperative Music)
Dabei sind die neuen Tracks einprägsam. „Total Entertainment Forever“ zum Beispiel kommt geradezu wie Britpop daher. „Leaving LA“ ist ein beinahe viertelstündiger Folk-Schinken. Weiter in den Vordergrund hätte Tillman seine Stimme nicht stellen können. Schmalzig ist das nicht, mitunter aber phrasenhaft. „I never learned to play the lead guitar / I always more preferred the speaking part“. Zum Glück, denn ohne Tillmans durchdringende Stimme und seine Texte wäre das alles nur Kulisse.
Ob „Pure Comedy“ die Rückkehr von Protest in den Folk ist? Nur wenn Father John Misty die Hörer tatsächlich auf die Straße treibt. Falls nicht, ist er Abziehbild unserer verunsicherten Zeit.
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