: Streit um Strategiepapier
EINSPARUNGEN Sozialsenator Dietrich Wersich wirbt um Verständnis für Sparzwänge. Er hatte in einem Papier „Hürden für die Inanspruchnahme von Leistungen“ vorgeschlagen
In dieser Reihenfolge will Wersich Sparvorschläge prüfen:
■ 1. Konsequent Regeln anwenden
■ 2. Andere vorrangige Kostenträger beteiligen
■ 3. Beschränkung überdurchschnittlicher Leistungen oder Rechtsansprüche
■ 4. Umsteuerung in günstigere Hilfe bzw. Leistungsarten
■ 5. Neue Vorhaben zurückstellen
■ 6. Abbau von Unterschieden der Kostensätze bei Trägern
■ 7. Verzicht auf Kostenanpassung
■ 8. Refinanzierung durch den Bund
■ 9. Anpassung von Gebühren
■ 10. Standardabsenkung
VON KAIJA KUTTER
Nach einer längeren Rede über die Sparzwänge der Stadt veröffentliche CDU-Sozialsenator Dietrich Wersich am Freitag ein Papier, das seit Tagen die Gemüter erregt. Es sei ein „Denk- und Prüf-Raster“ für die Gespräche mit den Trägern, sagte Wersich, „zur Veröffentlichung war es nicht gedacht“. Unter dem letzten Punkt 10 nennt Wersich „Standardabsenkungen“, worunter er neben der „Verringerung von Personalschlüsseln“, auch „Steuerungswirkungen über Information“ oder „Aufbau von Hürden für die Inanspruchnahme von Leistungen“ auflistet.
Solche Hürden stellen nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGfW) einen „Verstoß gegen die geltenden Sozialgesetzbücher“ dar. „Wersich zündelt und spielt mit dem sozialen Frieden“, sagte der SPD-Sozialexperte Dietrich Kienscherf und forderte, das Papier zurückzuziehen.
Wersich deutete an, dass auch er Punkt 10 schwierig fände. „Das ist das, was wir am wenigsten wollen. Da bin ich mit allen Kritikern einer Meinung.“ Bis zur Sparklausur des Senats am 26. November wolle er sich aber mit den Trägern über andere Sparmöglichkeiten verständigen.
Der Sozialetat ist mit 2,4 Milliarden Euro der größte der Stadt. 83 Prozent fließen in gesetzliche Leistungen, wie die Miete von Hartz IV-Empfängern, Kindertagesbetreuung und Hilfen zur Erziehung. Wersich rechnete vor, dass laut Prognosen in diesen drei Bereichen die Ausgaben bis 2012 gegenüber 2008 um weitere 300 Millionen Euro steigen. Er habe dem Senat gesagt, dass er momentan in diesen drei Bereichen nichts einsparen könne. „Aber ich habe das Ziel, diese Anstiege so gering wie möglich zu halten.“ Dies sei angesichts der Rekordverschuldung und der zu erwartenden Steuermindereinnahmen unumgänglich.
Anstatt erst Sparvorschläge zu machen und sich dann über die Medien mit den Trägern zu streiten, versuchte Wersich diesmal einen neuen Weg. „Ich habe die Träger gefragt, ob sie bereit sind, an diesem Ziel mitzuarbeiten.“ Diese hätten das Angebot angenommen und würden nun in Fachgruppen darüber beraten. Ob es bis zur Klausur Vorschläge gebe, könne er noch nicht sagen. Wersich selbst zählte am Freitag nur Möglichkeiten auf. Eine Erhöhung des Kita-Essensgeldes von 60 Cent auf einen Euro pro Tag, zum Beispiel, spare sieben Millionen Euro.
Der alternative Wohlfahrtsverband Soal will sich nicht an Sparvorschlägen beteiligen. „Wir werden nicht ein Geschäft, das nicht unseres ist, aktiv vertreten und betreiben“, sagt Sprecher Elimar Sturmhoebel. Auch die AGfW wendet sich in einer scharfen Erklärung gegen das Strategiepapier: „Die so genannten goldenen Regeln sind faktisch eine Aufforderung zu massiven Eingriffen“, kritisiert die Vorsitzende Annegrethe Stoltenberg. Sie bezweifle, dass das angestrebte Sparvolumen realisierbar ist: „In der Krise steigen die Sozialausgaben antizyklisch, das liegt in der Natur der Sache.“
Grundsätzlich seien sich die Wohlfahrtsverbände ihrer Verantwortung bewusst und bereit, Maßnahmen zur Konsolidierung zu entwickeln. So könne man das nur in Hamburg zu findende Parallelsystem von Kita und Vorschule auflösen. „Das spart Kosten ohne Nachteile für den Bildungserfolg.“
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