Press-Schlag: Wettkampf der Fehlerteufel
ABSTIEGSKAMPF II Es ist nicht zu fassen: Der HSV taumelt schon wieder in Richtung Relegation. Nur gut, dass die anderen auch nicht besser sind
Erinnert sich noch jemand an die vergurkte Meisterschaft 1984? HSV und VfB punktgleich, für den letzten Spieltag hatte der Spielplan ein Showdown in Stuttgart vorgesehen, am vorletzten empfing der HSV die abstiegsgefährdete Eintracht aus Frankfurt. Die Sache schien klar zu sein – zwei Siege und die dritte Meisterschaft in Folge wäre eingetütet. Doch dann spielte die Truppe unterirdisch und ein lockiger Jungspund namens Ralf Falkenmeyer machte zwei Tore für Frankfurt: 0:2, Meisterschaft ade. Der VfB Stuttgart konnte die erste seiner Ge-, nein Verlegenheitsmeisterschaften feiern (die zweite hatte dann auch mit Eintracht Frankfurt zu tun, die dritte mit Schalke 04, aber das sind andere Geschichten).
Jetzt sind die Vorzeichen in Hamburg ganz andere, die berüchtigte Stadionuhr tickt unerbittlich ihrem Ende entgegen, es droht tatsächlich die dritte Relegation in vier Jahren. Und das, obwohl nach dem letzten Heimspiel die Sache klar zu sein schien: 2:1 gegen die ambitionierten Hoffenheimer, ab jetzt nur noch vermeintlich schwache Gegner, direkte Gegner im Abstiegskampf, Heimstärke, blablabla. Was folgte, war ein abgeschenktes Derby und das katastrophale 1:2 am Samstag gegen die lilienblauen Strohhalmzieher unter der Leitung des Ex-Werderaners Torsten Frings.
Woran liegt es? Erkennt die Mannschaft den Ernst der Lage nicht – anders als zum Beispiel die tapferen Mainzer, die bei den real erschütterten Bayern immerhin einen Punkt erkämpften?
Es ist komplizierter. Die Mannschaft ist, wie man so schön sagt, personell weitaus besser aufgestellt als die 05er, als Augsburg, als Ingolstadt, als Darmstadt. Aber das gilt auch für den VfL Wolfsburg, der ebenso im Schlamassel steckt (aber die bessere Tordifferenz aufweist). Was fehlt, ist die Kreativität im Spielaufbau, die Konstanz, die Sicherheit, das Konzept, gegen genauso limitierte Gegner zu spielerischen Lösungen zu finden.
Aber das ist noch nicht alles. Natürlich fehlt Nicolai Müller, der in den aufwühlenden letzten Jahren entscheidende Tore gemacht hat (das 2:1 beim KSC zum Beispiel). Lasogga hat seinen Zenit schon in frühen Jahren überschritten und Bobby Wood, Coverboy der Märzausgabe von HSV live, ist gedanklich mit der Frage beschäftigt, wohin er zur nächsten Saison wechseln wird. Dabei ist seine Torausbeute alles andere als brillant (5 Tore! That’s all!). Auch Filip Kostic ist vieles schuldig geblieben – sein Anteil am Abstieg seines Vorgängervereins, besagtem VfB Stuttgart, wird so nur begreiflicher. Auch in der Defensive ist man immer noch für einen Patzer gut – Fehlerteufel Djourou ist zwar ausgemustert, der aus Köln gekommene Mavraj holt nach dem Fehlpass, der zu Plattes 0:2 führte, in der Statistik aber ziemlich auf. So fragt man sich bei so manchem Spieler, warum sie nach Hamburg gewechselt sind – weil es dann eh egal ist? Weil die mangelnde Qualität dann nicht mehr so auffällt?
Jetzt stehen die nächsten Entscheidungskämpfe an. Der HSV muss zur Konkurrenz nach Augsburg und spielt dann gegen Mainz. Der Abstiegskampf ist so spannend wie seit dem Sommer 1999 nicht mehr, der Saison, in der es Eintracht Frankfurt in letzter Sekunde gelang, den Club aus Nürnberg zu überholen. Ja, schon wieder die Eintracht. Die hat sich immerhin (siehe oben) mit dem 3:1 gegen Augsburg gerettet. Die magische 40-Punkte-Marke haben Leverkusen, Gladbach und Schalke hingegen auch noch nicht erreicht – Teams, die deutlich unter ihren Möglichkeiten spielen. Und lange unter Mehrfachbelastungen ächzten. Gladbach spielt noch ein Pokalhalbfinale, am Dienstag, gegen, schau an, die Eintracht aus Frankfurt. Wenn das kein Zeichen ist.
René Hamann
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