YOANI SÁNCHEZ POLITIK VON UNTEN: Einen Blogger zum Schweigen bringen
Normale Journalisten kann Kubas Staatsmacht korrumpieren, rausschmeißen, domestizieren oder mit Berufsverbot belegen. Um Blogger zu kontrollieren, braucht es andere Methoden. Das Regime fängt an, das zu begreifen
Vor Jahren habe ich eine Untersuchung der Internationalen Arbeitsorganisation gelesen. Darin wurde der Journalistenberuf als der zweitgefährlichste weltweit angesehen, übertroffen nur vom Beruf des Testpiloten. Damals gab es noch keine Blogger.
Es waren die Zeiten, als ich noch davon träumte, Journalistin zu werden. Ich sah mich eiligst von Flughafen zu Flughafen hüpfen. Einen Fotoapparat um den Hals und ein Mikrofon in der Hand, würde ich Präsidenten und Filmstars interviewen. Ich sah mich panisch vor leeren Blättern sitzen und mich kurz vor Abgabeschluss vor wutschnaubenden Chefredakteuren verstecken. Ich würde aufsehenerregende Interviews führen, unvergessliche Reportagen schreiben und schwere Skandale aufdecken. Der Traum zerplatzte, als ich an der Journalistenschule der Universität von Havanna nicht angenommen wurde. Aber der Frust ging vorbei, als ich mich in jemanden verliebte, der gerade aus einer Zeitung herausgeflogen war, weil er geschrieben hatte, was er dachte.
In Kuba Journalist zu sein, ist nicht mit den Risiken verbunden, die Medienleute in Ländern wie Mexiko oder Kolumbien eingehen. Hier werden keine Redakteure erschossen oder entführt – man vergiftet einfach den Beruf. Warum sollte man jemanden physisch eliminieren, der unbequeme Wahrheiten aufschreibt, wenn man ihn einfach per Zensur auslöschen kann? Warum ihn umbringen, wenn man alle Möglichkeiten hat, ihn zu domestizieren? Der berufliche Tod taucht nicht in den Statistiken auf, lediglich in der Frustration jener, die sich – wie ich – irgendwann einmal der Aufgabe zu informieren verschrieben haben. Wer auf der Insel Journalist werden möchte, weiß, dass alle Medien in der Hand der Macht sind. Er weiß, dass er sagen muss, was opportun ist, und zwar nicht halbherzig – es muss mit Hingabe sein, mit Leidenschaft. In diesen Fällen gibt es schon ein Risiko – für das eigene Gewissen.
Seit rund 20 Jahren gibt es auf unserer Insel einen neuen Typ von Journalisten. Das Adjektiv „unabhängig“ unterscheidet sie von den offiziellen. Wie man sich denken kann, haben viele von ihnen nicht studiert, aber sie haben gelernt zu berichten, was die Parteipresse verschweigt. Im Frühjahr 2003 verwandelten sich Gefahr und Risiko in Strafe. Viele gingen ins Gefängnis und traten Haftstrafen von zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren an. Die meisten sitzen noch.
Wir Blogger kamen später, unter anderem deswegen, weil die Technologie unter uns erst sehr langsam Einzug hielt. Ich glaube, dass sich die Staatsmacht nicht vorstellen konnte, dass die Bürger auf eine weltumspannende Ressource zurückgreifen würden, um sich auszudrücken.
Sie haben eine Weile gebraucht, um das zu begreifen. Jetzt haben sie es gemerkt. Sie wissen, dass sie nicht die gleichen Methoden wie bei all den Journalisten anwenden können, um einen Blogger zum Schweigen zu bringen. Diese Nervensägen des Web kann man nicht einfach aus einer Redaktion entlassen, man kann ihnen auch keine Ferienwoche in Varadero oder einen Lada versprechen. Um einen Blogger auszulöschen, muss man ihn eliminieren oder richtig einschüchtern. Sie haben begonnen, das zu verstehen, sie, der Staat, die Partei, der General.
■ Die Autorin lebt als unabhängige Bloggerin in Havanna, Kuba. Am 7. November wurde sie von Sicherheitskräften, die sich nicht auswiesen, in ein Auto gezerrt und rund 30 Minuten lang unter Drohungen und Beschimpfungen verprügelt. Foto: dpa
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