: Ohne Swing kein Sinn
SOUND Beim Festival „Free! Music“ trat unter anderem die südafrikanische Free-Jazz-Legende Louis Moholo-Moholo auf
von Thomas Mauch
Eine kleine Irritation. Die Frage war einfach, wen man eigentlich beklatschen sollte bei dieser Vorführung. Sollte der Applaus nun den Menschen gelten, die dieses Konzert überhaupt ermöglicht hatten? Oder musste der Applaus dem allerdings bereits 1997 verstorbenen Komponisten gelten? Ein Musiker jedenfalls war auf der Bühne nicht zu sehen.
Dort stand schlicht ein Klavier, es spielte eine hyperaktive Comicmusik mit irrwitzigen rhythmischen Verschiebungen und in einer Dichte, die selbst ein überbegabter virtuoser Pianist so gar nicht spielen könnte, weil er für diese Stücke einfach viel zu wenig Finger hätte.
Für seine tatsächlich tolle – toll in so ziemlich allen Wortsinnen – Musik hat der Komponist, Conlon Nancarrow, den ausführenden Musiker einfach beiseitegedrängt und seine Visionen in die Lochstreifen gestanzt, die dann dem selbstspielenden mechanischen Klavier das vorgeben, was es zu spielen hat.
Applaus ins Leere
Im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) war das zu hören, im Rahmen eines am Sonntag zu Ende gegangenen Festivals, das sich „Free! Music“ nannte. Dass der Applaus bei diesem eindrücklichen Konzert reflexhaft blieb und eher höflich, hatte wirklich nur damit zu tun, dass der Adressat für das Klatschen so unklar blieb.
Weil Freiheit durchaus Verunsicherung bedeuten kann. Wenn scheinbare Gewissheiten hinterfragt oder gleich ignoriert werden. Genau das wollte man tun bei dem Festival, in dessen Rahmen auch Colon Nancarrows Ansatz, sich einfach mal frei zu machen in seiner Musik vom eh nur beschränkt funktionierenden Menschen, seinen Platz hatte.
So richtete das Kuratorenteam Detlef Diederichsen, Leiter des Bereichs Musik und Performing Arts am HKW, und Björn Gottstein, derzeitiger Leiter der Donaueschinger Musiktage, über vier Tage einen Spielplatz ein, bei dem die unterschiedlichsten Ansätze und Musiken durcheinanderpurzelten. Scheinbar Disparates wurde nebeneinandergestellt, Genregrenzen wurden lässig ignoriert – und doch fand das alles in diesem Durcheinander wieder ziemlich präzise, als Denkraum, in eine Ordnung, wie das auch bereits bei früheren Versuchsanordnungen bei diesem aparten musikalischen Festivalformat im HKW passierte, als man etwa „Doofe Musik“ oder „Böse Musik“ durchdeklinierte.
Diesmal sollte es um Freiheit gehen, um befreite oder auch befreiende Musik, mit den unterschiedlichsten Zuwegungen, frei ausschweifend von E bis U und umgekehrt. Womit man musikalisch weit herumkam an diesen vier Festivaltagen.
Gespielt wurden etwa Kompositionen von Harry Partch, der sich ab den zwanziger Jahren vom gängigen westlichen Notensystem befreite und es zu seinem eigenen mikrotonalen System erweiterte. Das für die im tradierten System sozialisierten Ohren dann auf interessante Art krumm und bucklig klingt. Man hörte, wie das polnische Ensemble Lautari mit den Mitteln des Jazz ganz freimütig traditionelle Dorftanzmusik dekonstruierte und ihr dabei doch die Treue hielt. Man hörte, wie die vier Frauen von der Egyptian Females Experimental Music Session an ihren Laptops ganz ohne folkloristischen Input eine Geröllhalde an Klängen und Störgeräuschen sortierten. Die vier Frauen selbst wollten das gar nicht unbedingt als Musik bezeichnen und plädierten stattdessen für den Begriff Soundart.
Zum Abschluss des Festivals stand am Sonntag natürlich auch noch das Freiheitsversprechen der Musik auf dem Programm, die das Freie, die Freiheit, bereits programmatisch in ihrem Namen trägt: Free Jazz. Angetrieben von dem mittlerweile 77-jährigen Louis Moholo-Moholo, dem südafrikanischen Schlagzeuger, durfte der Free Jazz an diesem Abend eine unterhaltsame Musik sein mit lichten und freundlich gestimmten melodischen Motiven.
Mit seinen drei Mitmusikern exerzierte Moholo-Moholo das Wechselspiel an Disziplin und Freizügigkeit durch, die Band zeigte, dass ein Kollektiv auch mit eigensinnigen Einzelstimmen funktionieren kann, wie das beim Free Jazz sein soll, mit seinen gleichberechtigten Stimmen. Ganz nebenbei bestätigten diese vier Blokes die alte Jazzweisheit, nach der alles keinen Sinn hat, wenn es keinen Swing hat. It don’t mean a thing if it ain’t got that swing. Was nun nicht nur für Musik gelten muss.
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