: Tempo 30 soll Luft rein machen
UmweltOsnabrück bewirbt sich für das Projekt Tempo 30 des Verkehrsministeriums. Dabei kann die Stadt ihre verkehrsberuhigte Zone schon heute kaum durchsetzen
von Harff-Peter Schönherr
„Verdammter Krach!“ Michaela Rudolf-Hettlich ist zornig, und das soll ruhig jeder hören. Sie steht vor dem Eingang ihrer Skarabäus-Apotheke an der Osnabrücker Johannisstraße. Autos rauschen vorbei, Motorräder, Kleinlaster – ein endloser Strom aus Abgasen, Hektik und Lärm. Die Johannisstraße ist eine Tempo-30-Zone, aber 30 fährt hier keiner. „Die meisten sind doppelt so schnell. Auch die Busse“, sagt Rudolf-Hettlich.
An der Johannisstraße mit ihren alarmierenden 70 bis 75 Dezibel tagsüber – Stufe Violett der städtischen Lärmkartierung – ist schon lange Realität, was demnächst auch für andere Osnabrücker Hauptstraßen gelten könnte: Temporeduzierung. Die Stadt bewirbt sich für das „Modellprojekt Tempo 30“ des Niedersächsischen Verkehrsministeriums. Es soll herausfinden, was Tempo 30 auf den Lärm und die Luftqualität auswirken würde, auf die Sicherheit und den Verkehrsfluss, den Fuß-, Rad- und öffentlichen Personennahverkehr.
Mitte März haben Grüne, SPD, FDP, die Unabhängige Wählergemeinschaft, Piraten und Linke die Bewerbung im Rat durchgedrückt. Grünen-Ratsmitglied Volker Bajus ist froh, „dass wir auf grüne Initiative hierfür eine bunte Mehrheit versammeln konnten“: Tempo 30 an Hauptstraßen reduziere die Lärmbelastung und die Schwere von Unfällen, da die Aufprallgeschwindigkeit sinkt. Beim Schadstoffausstoß könne Tempo 30 helfen, wenn die Tempoberuhigung den Verkehr flüssiger mache.
Seither schlagen die Wogen hoch. Fritz Brickwedde, CDU-Fraktionschef, einer der Gegner der Bewerbung, warnt: „Mit Tempo 30 haben wir mehr Giftausstoß und Staus.“ Der Bund Osnabrücker Bürger, der einzige Verbündete der CDU, ätzt: „Das Ökoschiff Phantasia nimmt Kurs auf Osnabrück.“ Der Durchgangsverkehr werde ausgebremst, ebenso Busse und Bahnen; es werde mehr Schleichverkehr durch Wohngebiete geben.
Carl-Ludwig Thiele, Fraktionschef der FDP, kann dagegen den Start des 30er-Versuchs kaum erwarten. Er findet, es sei „Zeit für eine Zeitenwende“. Auf bis zu 150.000 Euro Projektgelder hofft er für Osnabrück. „Viel muss ja auch nicht gemacht werden“, sagt Thiele. „Ein paar Schilder, ein bisschen Gepinsel auf der Straße …“
Nur: Es reicht eben nicht, einfach ein paar Schilder aufzustellen, wie Christine Hübers vom Bioladen in der Johannisstraße erfahren musste. Tempo 30 sei zwar eine gute Sache, sagt sie und es sei auch schön, dass sich die Stadt für das Modellprojekt bewerbe. „Aber dann muss sie es auch besser machen als hier bei uns.“
Auf der Johannisstraße führen tiefergelegte BMW zwischen Callshop und Nagelstudio gern mal ihre Subwoofer vor. Gasgeben, hochdrehen, hupen – und alle paar Minuten braust ein Bus vorbei. Vorn, bei Friseur Schildmann, haben sie deshalb eine Dreifachverglasung eingebaut: „Sonst hätten wir das hier nicht mehr ausgehalten.“
Besonderer Brennpunkt ist der Zebrastreifen zwischen dem Netto-Supermarkt und dem Kinocenter. „Schlimm. Wer da rüber will, muss sich das schon regelrecht erzwingen “, sagt die Apothekerin Hettlich. Nicht zuletzt der Verkehr ist wohl schuld daran, dass das Straßenbild von Leerständen und Räumungsverkäufen geprägt ist.
„Wenn sich wirklich was ändern soll, müssten hier Bremsschwellen hin, Fahrbahnverengungen“, fordert Christine Hübers vom Bioladen. „Nur zum Stillstand darf es nicht kommen“, warnt Claudia Lubritz von der Buchhandlung Eicholt. „Stau ist am allerlautesten.“
Doch die Post aus Hannover für die Stadtverwaltung kommt ohnehin nicht so schnell. „Wir haben noch keine Kriterien formuliert“, sagt Ministeriums-Sprecher Stefan Wittke. Da war Osnabrück wohl etwas voreilig.
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