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Geister beschwören

Dubstep ist ein Genre, bei dem man nie so recht weiß, wohin die Reise als Nächstes gehen wird. Die bassbetonte Londoner Clubmusik, in der unter anderem Drum ’n’ Bass und Dub Reggae ihre Spuren hinterlassen haben, zeichnet sich durch fortwährende Mutation aus. Ihr Zentrum lag ursprünglich in London, aber selbst das kann man heute nicht mehr uneingeschränkt behaupten, denn mehr und mehr britische Dubstep-Produzenten wohnen mittlerweile in Berlin.

So auch Paul Rose, der als Scuba zu Beginn des Jahrtausends maßgeblich zum Entstehen der Stilrichtung beitrug und mit seinem Label Hotflush Recordings eine der bedeutendsten Adressen für Dubstep betreibt. Seit einigen Jahren tut er das von Berlin aus, wo er zudem im Techno-Club Berghain mit seinem Kollegen Paul Fowler die Bassmusik-Reihe Sub:stance organisiert. Irgendwie scheint der Veranstaltungsort nach und nach seine Spuren hinterlassen zu haben, denn Rose interessiert sich in letzter Zeit zunehmend für Techno – zur Befriedigung dieses Bedürfnisses schuf er eigens sein Projekt SCB.

Für Techno begeistert sich auch sein Landsmann James Shaw, der seit drei Jahren als Sigha regelmäßig auf Hotflush veröffentlicht. Wie Rose ist Shaw inzwischen von London nach Berlin gezogen, und auch in seinem Fall ist eine starke Zunahme des Techno-Anteils in seiner Musik zu verzeichnen. Auf seinem Anfang der Woche erschienenen Debütalbum „Living With Ghosts“ weiß man gar nicht so recht, ob die Geister, von denen im Titel die Rede ist, Kreaturen sind, die in seiner Musik heraufbeschworen werden, oder ob Shaw die Gespenster des Techno meint, die eben doch viel lebendiger sind, als es mancher glauben mag.

Sighas Album kann jedenfalls als das bisher konsequenteste Techno-Statement auf Hotflush gelten, selbst wenn Shaws Platten schon früh eine entsprechende Neigung erkennen ließen. Es ist eine Spielart von Techno, die mit ihrer geballten Basswucht und rauen Klangsprache bestens in die Berliner Clublandschaft zu passen scheint, dabei allerdings immer wieder die Dubstep-typische rhythmische Verschobenheit durchblicken lässt. Keine Frage, dass Shaw bei der Releaseparty tatkräftige Unterstützung von seinem Labelchef Rose erhält, in seiner Rolle als SCB, versteht sich. Erstaunlicherweise nicht im Berghain selbst mit seiner mächtigen Anlage, sondern nebenan in der Kantine.

TIM CASPAR BOEHME

■ Sigha: „Living With Ghosts“ (Hotflush); live am 22. 11., Kantine am Berghain

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