Der Normalzustand unserer Gesellschaft ist der Horror

Schrecken Sie wollen einen Horrorfilm drehen, wie es ihn noch nie gegeben hat: Roman Ehrlichs „Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens“

Der Gegenstand der Angst ist das Andere“, sagt Christoph. „Am größten ist die Angst vor dem Anderen in uns. Kürzlich habe ich den Satz gelesen: Angst ist die Erwartung von Schmerz.“ Christoph steht vor seinen Freunden und Bekannten auf einer Bühne in einer Bar in Ulm. Mit ihnen zusammen will er einen Horrorfilm drehen. „Das schreckliche Grauen“ soll ein Film werden, wie es ihn noch nie gegeben hat, ein Zeugnis der Gegenwart. „Der Normalzustand unserer Gesellschaft in dieser Zeit ist der Horror“, sagt Christoph. „Die Angst ist überall.“

Roman Ehrlichs neuer Roman erzählt, wie die Freunde sich daranmachen, diesen Horrorfilm zu produzieren. „Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens“ ist kein Schauermärchen, bei dem man sich angenehm gruseln und verzückt erschrecken kann. Es ist ein Roman, der an die Substanz geht und einen depressiv stimmt. Der Horror schleicht sich leise ein und dehnt sich langsam aus. Vor Kurzem wurde der Schriftsteller, der 1983 in Aichach geboren wurde und jetzt in Berlin lebt, für sein literarisches Werk – insbesondere für „Das kalte Jahr“ und „Urwaldgäste“ – mit der Alfred-Döblin-Medaille in Mainz ausgezeichnet. „Sein Erzählen bewegt sich in den Untiefen der Wirklichkeit, es erkundet das Unheimliche, das bei ihm frei von jeder Sensation ist“, lobte die Jury.

„Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens“ wird aus der Ich-Perspektive eines Crewmitglieds erzählt. Moritz ist frustriert von seiner Arbeit bei einer Münchner Medienagentur, seine Freundin hat ihn vor Kurzem verlassen, er ist einsam und unzufrieden. Als Christoph, den er vom Studium kennt, ihn unerwartet anruft und vom Filmprojekt erzählt, willigt er sofort ein, mitzumachen. Seine genaue Funktion ist noch unklar. Er wünscht sich jedenfalls, im Film einen grausamen Tod zu sterben.

Die erste Hälfte dieses 640 Seiten starken Romans handelt von den Sitzungen in der Bar, bei denen die Teilnehmer*innen von ihren Ängsten berichten. Marlies, die Kostümbildnerin, erzählt von ihren panischen Schüben. Markus, der Kameramann, hat große Angst davor, etwas Schreckliches zu tun, während er schläft. Und Hubi, der Barmann, sagt, dass er plötzlich angefangen habe, in allem das Böse zu sehen, als seine Frau schwanger wurde. Und so fängt man beim Lesen an, über seine eigenen Ängste nachzudenken. Welche Geschichte hätte man selbst vorgetragen?

Erzähl deinen Dreck

Grandios fügt Ehrlich die verschiedenen Erzählebenen zusammen: die Berichte über Angsterfahrungen, die wie Kurzgeschichten eingebunden sind, die Horrorfilme, die sie im Anschluss an die Sitzungen schauen, die Erlebniswelt von Moritz, die Erinnerungen an seine Exfreundin, und das Buch „Die Soldatin“, das er während der Zugfahrten zwischen München und Ulm liest. Ehrlich bewegt sich sprachlich nah an der jeweiligen Person, die spricht. Er wechselt fließend zwischen den Monologen und der Ich-Erzählung von Moritz. Seine Beschreibungen sind elegant und klar. Nüchtern schildert er selbst brutale Szenen. Diese radikale Unaufgeregtheit, die Gewalt als selbstverständlich hinnimmt, löst tiefes Unbehagen beim Lesen aus.

Die Filmproduktion ist kein demokratischer Prozess. Christoph ist größenwahnsinnig und rastet aus, wenn ihm eine Angstgeschichte nicht gefällt: „Erzähl deinen Dreck woanders, schreib ein Buch, leck mich am Arsch.“ Neid und Missgunst breiten sich in der Gruppe aus, immer mehr brechen ab. Moritz will Christoph beeindrucken und bis zum Schluss durchhalten. Das Projekt wird zur Obsession.

Die zweite Hälfte des Romans handelt von der Reise zum Dreh am Rand von Dörfern, an verlassenen und tristen Orten – Schauplätze, die typisch für Ehrlichs Geschichten sind. Die Gruppenmitglieder verwahrlosen, ihre Aktionen werden extremer. Das Ende passt und doch lässt es einen verwirrt zurück. Man ist enttäuscht, aber auch froh, dass es mit den Ängsten und Qualen nun vorbei ist. Julika Bickel

Roman Ehrlich: „Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens“. S.Fischer, Frankfurt/Main 2017. 640 S., 24 Euro