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Mogelpackung Marshallplan

Afrika Der Kontinent muss selbst mehr leisten, sagt Entwicklungsminister Müller. Dabei wäre das auch für Deutschland und die EU angesagt

Christian Cohrs
Eva Oer

ist Redakteurin im Ressort Wirtschaft und Umwelt der taz und beschäftigt sich dort mit Entwicklungspolitik. Außerdem schreibt sie gern über nachhaltige Unternehmen und über Biohandel.

von Eva Oer

Es ist 2016, der Herbst der Legislaturperiode naht in großen Schritten. Entwicklungsminister Gerd Müller sitzt mit seinen Vertrauten am Tisch und überlegt, womit er sich auch im kommenden Jahr Schlagzeilen sichern kann: „Fluchtursachen bekämpfen … Was machen wir da bloß … Wie wäre es mit einem Marshallplan? Für Afrika? So was hatten wir schon lange nicht mehr!“ Eine Wortmeldung: „Aber ein Marshallplan? Wollten wir nicht mit statt über die Afrikaner reden?“ Müller: „Dann heißt es eben Marshallplan MIT Afrika!“

Ja, diese Episode ist frei erfunden. Doch so stellt man sich die Überlegungen vor, an deren Ende Müllers Plan zu seinem Titel „Marshallplan mit Afrika“ kam. Und eines muss man ihm lassen: Aufmerksamkeit hat der CSU-Mann mit dem Titel geschaffen, allein wegen all der damit verknüpften Erwartungen.

Wir erinnern uns: Der Marshallplan bezeichnete das großangelegte Wirtschaftsaufbauprogramm für das Europa der Nachkriegszeit. Ungefähr 14 Milliarden Dollar flossen über mehrere Jahre aus den USA nach Übersee. Ein riesiges Unternehmen, dessen Titel vor allem in Deutschland nach wie vor der Glanz schneller wirtschaftlicher Erholung anhängt.

Großer Titel, nichts dahinter

An diesen Mythos knüpfte Müller an, als er im Januar seinen Plan vorstellte – und doch enttäuschte der Plan, der sich als lose Ideensammlung entpuppte. Wer mit Blick auf das historische Vorbild feste Finanzzusagen und ein neues Konzept für die Entwicklungspolitik sucht, wird im „Marshallplan mit Afrika“ nicht fündig. Dafür reihen sich Dutzende Vorschläge aneinander, deren konkrete Umsetzung Müller nicht erläutert.

Entwicklungsexperten beklagen seit Langem mangelnde Kohärenz in der Politik als Problem für die Entwicklungszusammenarbeit. So bemängeln etwa Hilfsorganisationen, dass die Handelspolitik der EU die Anstrengungen der Entwicklungszusammenarbeit in Afrika wieder zunichte macht. Wie auch Deutschland und Minister Müller an dieser zweischneidigen Politik beteiligt sind, lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Der Weg müsse „vom Freihandel zum fairen Handel“ gehen, heißt es im neuen Marshallplan. Nichtsdestotrotz hat der Entwicklungsminister auch die umstrittenen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit afrikanischen Staaten unterstützt, die EPA. „Handelsschranken werden abgebaut“, nannte das Müller, bevor das Bundeskabinett im vergangenen Jahr der Unterzeichnung des EPA mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC) zustimmte. „Das macht es zum Beispiel für Farmer in Südafrika oder in Namibia leichter, ihre landwirtschaftlichen Produkte auch bei uns anzubieten und das auch für Produkte, die weiterverarbeitet wurden.“

Allerdings müssen die Länder in diesem Zusammenhang auch ihre Märkte öffnen. Nur schrittweise, so heißt es, über 12 Jahre und für rund 80 Prozent der EU-Produkte. Aber gerade die am wenigsten entwickelten Länder haben davon Nachteile. Innerhalb der SADC sind das Lesotho und Mozambik. Diese Länder, die Least Developed Countries (LDC) genannt, hatten bereits zollfreien Marktzugang für alles außer Waffen. Sie profitieren also nicht – müssen aber ihre Märkte für Waren aus Europa öffnen.

Aktivisten glauben, dass die Abkommen vor allem dafür sorgen sollen, dass die EU sich auch in Zukunft einen möglichst guten Zugang zum Rohstoffreichtum Afrikas sichern kann. Wenn Müller also in seinem Marshallplan einen Paradigmenwechsel fordert und erklärt, „wir“ müssten begreifen, „dass Afrika nicht der Kontinent billiger Ressourcen ist“ – welches „wir“ meint er dann?

Dagegen machte Müller schnell klar, welche Verantwortung er bei den afrikanischen Staaten sieht. Bei der ersten Vorstellung des Marshallplans in seinem Ministerium sagte er: „Der Grundsatz lautet: Afrika muss selbst mehr leisten.“ Im schriftlichen Entwurf klingt das so: „Wir nehmen die afrikanischen Regierungen beim Wort. Künftig arbeiten wir mit den Staaten intensiver zusammen, die reformorientiert sind und das vor allem durch Verlässlichkeit, Rechtssicherheit und politischer Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger unter Beweis stellen.“

Vor der eigenen Tür kehren

Sorgen die Abkommen vor allem für einen ­Zugang zu Afrikas ­Rohstoffreichtum?

Wie wäre es denn mal, sich selbst beim Wort zu nehmen, Herr Müller? Zwar ist es seit Langem ein Prinzip nicht nur der deutschen Entwicklungspolitik, Staaten die Zusammenarbeit aufzukündigen, in denen Menschenrechtsverletzungen und Korruption an der Tagesordnung sind. Doch im Namen der Fluchtursachenbekämpfung ist ein Aufweichen dieses Grundsatzes zu sehen – Eritrea etwa kommt für die EU wieder als Gesprächspartner infrage, wenn es darum geht, Afrikaner an der Flucht nach Europa zu hindern.

Selbst mehr leisten – das sollte sich die Bundesregierung auch zu Herzen nehmen, wenn es im Marshallplan heißt, in der Zusammenarbeit mit Afrika müssten Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden. Auch hier gibt es Versäumnisse: Obwohl auch deutschen Unternehmen in Entwicklungsländern schon Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden, hat es Deutschland im vergangenen Jahr verpasst, einheimische Konzerne mit einem strengen nationalen Aktionsplan für Menschenrechte verbindlich zu mehr Unternehmensverantwortung zu verpflichten.

Dabei ist es ein Kernelement des Plans, für mehr Investitionen der deutschen Privatwirtschaft in Afrika zu sorgen. Müller will sogar staatliche Entwicklungsgelder springen lassen, um die Risiken der Investoren zu verringern. Wenn aber zusätzliche Sicherheiten für Unternehmen geschaffen werden, sollten diese auch mehr Pflichten bekommen. In der Regel haben Betroffene in entfernten Ländern nämlich keine Möglichkeit, gegen Fehlverhalten deutscher Firmen vorzugehen.

Müllers Marshallplan ist derzeit nur ein Entwurf, darauf weist der Minister oft genug selbst hin. Trotzdem tingelt er von Konferenz zu Konferenz, stellt seine vagen Ideen afrikanischen Staatsmännern, Bankern und Unternehmern vor. Würde er den Zusatz „mit Afrika“ aber wirklich ernst nehmen, müsste er auch von Deutschland und der EU mehr verlangen.

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