: Auf der Suche nach dem Absoluten
Ausstellung Die Kestnergesellschaft in Hannover widmet sich ihrer Verbindung zu dem vielseitigen Gestalter Friedrich Vordemberge-Gildewart – einem Freund von Kurt Schwitters
Von Bettina Maria Brosowsky
Zum Herbst schickt sich das Sprengelmuseum Hannover an, mit einer großen Ausstellung die lokale, aber international vernetzte und beachtete Avantgarde der Aufbruchsjahre zwischen 1912 und 1933 zu würdigen: rund um ihre Integrationsfigur Kurt Schwitters. Im Vorgriff hat das Haus gerade das Kabinett der Abstrakten, das El Lissitzky 1927 in Hannover realisierte, nach neusten Erkenntnissen rekonstruiert. Und nun stellt die Kestnergesellschaft mit einer kleinen Werkschau eine weitere zentrale Persönlichkeit dieser Glanzzeit hannoverscher Kunst wie Kultur vor: den vielseitigen Gestalter Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899 bis 1962). Dieser, von seinen Freunden und Kollegen kurz Vau Ge oder noch minimierter VG bezeichnet, verantwortete zwischen 1924 und 1934 den grafisch-programmatischen Auftritt – heute würde man wohl sagen: die Corporate Identity – dieses großbürgerlichen, 1916 gegründeten Kunstvereins.
In Osnabrück geboren, kam Friedrich Vordemberge – noch ohne Doppelnamen – 1919 nach Hannover. Einer Tischlerausbildung sollten hier Studien der Innenarchitektur an der Kunstgewerbeschule folgen, zusätzlich belegte er Seminare für Architektur und Plastik an der Technischen Hochschule. Einer seiner Dozenten, der Bildhauer Ludwig Vierthaler, holte ihn als Mitarbeiter in sein Atelier.
Diese frühe künstlerische Bestätigung schlug sich 1920 im Zusatznamen Gildewart nieder – eine Anlehnung an die Altstadtgasse seines Geburtshauses, um sich so von einem gleichnamigen älteren Cousin zu unterscheiden. Und sie ist bis heute immerhin noch in rund fünfzehn Baureliefs an Wohnhäusern im Stadtbild Hannovers präsent. Mit diesen halbplastischen, tendenziell nonfigurativen Arbeiten legte Vordemberge-Gildewart die Basis für sein gesamtes weiteres Schaffen, sei es als Maler, Grafiker und Typograf oder als Innenraumgestalter sowie entwerfender Architekt in Osnabrück.
Von 1924 bis 1930 bewohnte Vordemberge-Gildewart eine Atelierwohnung über dem damaligen Domizil der Kestnergesellschaft in der Königstraße, sie hatte vorher bereits El Lissitzky gedient.
Das Jahr 1924 verlief für ihn insgesamt rasant: Er gründete mit seinem ehemaligen Studienkollegen, dem Architekten und Innenraumdesigner Hans Nitzschke, die „Gruppe K“. Sie stellten sofort in der Kestnergesellschaft aus: sogenannte Konstruktionen, ein Relief, Architekturzeichnungen. Vordemberge-Gildewart lernte Kurt Schwitters kennen, traf Theo van Doesburg, Nestor der holländischen De-Stijl-Bewegung, und wurde dort Mitglied.
Auch in den nächsten Jahren fehlte es nicht an internationalen Nachfragen und Ausstellungsbeteiligungen, etwa in Paris, New York oder Zürich, wohl aber am finanziellen Auskommen. Und so war er dankbar, die gesamten Drucksachen der Kestnergesellschaft grafisch betreuen zu können.
Autodidaktisch erarbeitete er sich dafür ein strenges Gestaltungsvokabular, angelehnt an Ideen des holländischen Stijls, des russischen Konstruktivismus eines El Lissitzky oder auch des Bauhauses. Mit serifenlosen Schrifttypen, freigestellten Majuskeln und farbigen Flächen lenkte er den Seh- und Lesefluss durch seine verschachtelten Layouts.
Ganz undogmatisch verwendete er auch tendenziell verpönte Mischfarben wie Braun für die Typografie sowie farbige Papiere als Druckträger. Über diese Arbeit kam es zu einer zeitweiligen Kooperation mit Kurt Schwitters im „Ring neuer Werbegestalter“, zu weiteren kommerziellen Aufträgen für die lokale Geschäftswelt sowie zur Gründung der Künstlergruppe „Die Abstrakten Hannover“.
Ab 1930 verantwortete Vordemberge-Gildewart eine Serie formatgleicher Ausstellungskataloge in durchgängigem Design, die – als technisches Novum – auch fotografische Reproduktionen enthielten. Die Begeisterung für neue Medien schlug sich zwar nicht in der eigenen künstlerischen Praxis nieder. Allerdings hielt Vordemberge-Gildewart bereits im Mai 1925 eine flammende Einführungsrede, als die Kestnergesellschaft eine erfolgreiche Experimentalfilmveranstaltung aus Berlin nach Hannover holte: „Heute Abend kommt der Film zu Ihnen so ganz ohne Fix und Fax und so ganz ohne gefühlvolle Szenerie.“ Der absolute Film enthielte sich, genau wie die absolute Kunst, jeglichen Inhalts, hätte nichts mehr gemein mit dem formerstarrten und formverlogenen Theater, so Vordemberge-Gildewart.
Die Ästhetik des Absoluten suchte Vordemberge-Gildewart neben der Grafik in malerischen Kompositionen: monochrome Farbflächen, mit schwarzen Linien separiert, durch plastische Elemente wie eine Halbkugel fein ausbalanciert. Zeitlebens haderte er mit dem Begriff der Malerei: Sie war ihm zu stark mit der Virtuosität des individuellen Pinselstrichs belastet.
1935 war dann Schluss mit der absoluten Kunst, die Kestner-Kataloge mussten unter neuer Leitung in neuer Typografie erscheinen: Fraktur. Ins Visier der entarteten Kunst und der antisemitischen Verfolgung geraten, ging Vordemberge-Gildewart 1936 mit seiner jüdischen Ehefrau, der Hannoveraner Tänzerin Ilse Leda, über Berlin ins Exil. 1977 gründete Leda im schweizerischen Rapperswill die VG-Stiftung. Sie vergibt seit 1983 regelmäßig ein mit 60.000 Franken dotiertes Stipendium an eineN jungeN KünstlerIn. Eine wechselnde europäische Institution sichtet dafür den regionalen Nachwuchs, so 2017 die Kestnergesellschaft.
Die entbehrungsreichen frühen Jahre in Hannover waren Leda nur zu gut in Erinnerung geblieben. Im Gästebuch, einem Mikrokosmos kleiner Kunstwerke, der die vielfältigen Kontakte des Ehepaars widerspiegelt, findet sich dazu folgender Eintrag: „Es ist hier lausig kalt dafür dankt Joachim Ringelnatz.“
Ausstellung „Abstrakt – Konkret – Absolut. Friedrich Vordemberge-Gildewart und die Kestnergesellschaft“: bis 7. Mai, Hannover, Kestnergesellschaft, Goseriede 11
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen