Gute Schule in Göttingen: Aufstand der Eliteschulen
Die Göttinger Gymnasien fühlen sich bei den Anmeldeterminen für die fünfte Klasse benachteiligt. Denn die Vorauswahl treffen die Gesamtschulen.
Die Stadt Göttingen als Schulträger legt seit Jahren getrennte Anmeldetermine fest, für die Gesamtschulen meistens zwei Wochen früher als für die Gymnasien. Die fünf Göttinger Gymnasien fühlten sich dadurch benachteiligt, sagt die Leiterin des Theodor-Heuß-Gymnasiums, Ulrike Koller. Denn wenn Schülerinnen und Schüler von den Gesamtschulen abgewiesen werden, können sie sich zwei Wochen später an einer anderen Schule anmelden – sprich an einem der Gymnasien. Haupt- und Realschulen gibt es nicht mehr.
Damit sehen sich die Göttinger Gymnasien einem Phänomen ausgesetzt, mit dem andernorts die Gesamtschulen zu kämpfen haben: Eltern, die sich um das Fortkommen ihres Nachwuchses kümmern, schicken diesen auf die „guten“ Schulen – in der Regel die Gymnasien. Nun sind die „guten“, zum Teil sogar ausgezeichneten Schulen in Göttingen aber die Gesamtschulen. Deshalb möchten die Gymnasien wenigstens die gleichen Startbedingungen bei der Anmeldung haben.
In diesem Jahr liegen die Anmeldetermine für die Gesamtschulen am 25. und 26. April, die Gymnasien sollen am 4. und 5. Mai folgen. Die Gymnasien verlangen einen zeitgleichen Termin, wie er vom Land Niedersachsen vorgesehen ist und andernorts praktiziert wird. Weil die Stadt nicht auf diese Forderung eingegangen ist, laden die Gymnasien Eltern und Kinder nun zu ihren „Reservierungstagen“ ein. Wenn die Erziehungsberechtigten dann bis zum eigentlichen Anmeldetermin im Mai nicht absagen, werden die Reservierungen verbindlich.
In Göttingen gibt es neben den fünf Gymnasien schon länger zwei Gesamtschulen. Zwei weitere sind erst kürzlich hinzugekommen – eine davon im Flecken Bovenden, der zum Schulbezirk Göttingen gehört. Wegen ihrer Unterrichtskonzepte, aber auch weil sie eine Ganztagsbetreuung anbieten, waren die beiden „alten“ Gesamtschulen, die Integrierte Gesamtschule (IGS) im Ortsteil Geismar und die Kooperative Geschwister-Scholl-Gesamtschule (KGS) stets sehr gefragt. Die IGS wurde 2011 sogar zur deutschen „Schule des Jahres“ gewählt.
Viele Kinder mussten von den beiden Gesamtschulen abgewiesen werden. Sie wurden von den Eltern an anderen Schulen, sprich den Gymnasien, angemeldet oder per Losverfahren dorthin verteilt. Aus Sicht von Rektorin Koller hat das keinen Sinn: Es müsse doch darum gehen, für jede Schülerin und jeden Schüler die bestmögliche Schulform zu finden, sagt sie. Während die Gymnasien schon durch ihren Auftrag auf das Ziel Abitur hinarbeiteten, böten Gesamtschulen mehr Möglichkeiten mit Haupt- und Realschulabschlüssen und einem darauf abgestimmten Unterricht.
Tatsächlich, argumentieren die Gymnasien, hätten sie zuletzt immer mehr Jugendliche beschult, die das Abitur absehbar nicht erreichten. Leidtragende seien die Schüler selbst. Sie würden am Gymnasium überfordert und seien eigentlich in den auslaufenden Haupt- und Realschulen, in Oberschulen oder eben Gesamtschulen besser aufgehoben.
Ob die nun von den Gymnasien zusätzlich festgelegten Reservierungstage rechtens sind, wollte Göttingens Schuldezernent Siegfried Lieske (Grüne) nicht kommentieren. Die Stadt und der Kreis Göttingen hätten die Gesamtschulen gebeten, etwa 30 schwächere Schüler mehr aufzunehmen als bislang üblich.
In der vergangenen Woche beschloss der Göttinger Stadtrat eine neue Schulsatzung. Sie sieht ausdrücklich vor, dass Kinder, die keinen Platz an einem der städtischen Gesamtschulen bekommen, die neue IGS in Bovenden besuchen sollen.
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