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Feindbild Journalist

Methode Widersprüchliche Vorwürfe, elend lange Untersuchungshaft – 152 Journalisten sitzen in der Türkei ein, über 100 warten auf ihre Verhandlung

ISTANBUL taz | „Wer als Journalist jetzt verhaftet wird, kommt nicht so schnell wieder raus.“ Diese düstere Prognose eines türkischen Kollegen kurz nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016, hat sich bis auf wenige Ausnahmen bewahrheitet.

Über 100 Journalisten, die nach Verhängung des Ausnahmezustands im Juli 2016 verhaftet wurden, sitzen nach wie vor in U-Haft. Die allermeisten warten noch auf ihre Anklage, gegen kaum einen von ihnen wurde bislang ein Verfahren eröffnet.

Die Regierung entschuldigt das mit der angeblichen Überlastung der Justiz, aber auch schon vor dem Putschversuch hatten lange Zeiten in Untersuchungshaft Methode und waren bereits ein Teil der Strafe. Insgesamt dürfen Beschuldigte fünf Jahre lang in Untersuchungshaft festgehalten werden, bevor ein Prozess gegen sie beginnen muss. Insgesamt sind zurzeit – mit Deniz Yücel – 152 Journalisten in Haft, der größte Teil von ihnen wurde nach dem 15. Juli letzten Jahres eingesperrt.

Willkürliche Vorwürfe

Fast alle werden wegen des Vorwurfs der Propaganda oder Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung festgehalten. Unmittelbar nach dem Putsch war es zumeist der Vorwurf, Anhänger der islamischen Gülen-Bewegung zu sein, die von Präsident Erdoğan für den Putsch verantwortlich gemacht wird. Die meisten dieser Bewegung zugerechneten Medienhäuser waren deshalb schon vor dem Putsch geschlossen oder unter staatliche Kuratel gestellt worden, aber erst nach dem 15. Juli wurden die Journalisten, die dort gearbeitet hatten, verhaftet. Darunter bekannte Namen wie Sahin Alpay, Ali Bulaç und die beiden Altan-Brüder.

Im zweiten Schritt kam die Verhaftungswelle gegen Journalisten kurdischer Medien und aller übrigen Publizisten, die sich für eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei starkgemacht hatten. Mitte August letzten Jahren wurde die kurdische Tageszeitung Özgür Gündemdichtgemacht, die RedakteurInnen verhaftet und sämtliche anderen Unterstützer der Zeitung, wie die Schriftstellerin Aslı Erdoğan, ebenfalls in U-Haft genommen. Aslı Erdoğan ist eine der Wenigen, die aufgrund einer massiven internationalen Kampagne mittlerweile zumindest aus der U-Haft entlassen wurden. Ein Prozess gegen sie ist aber weiter anhängig.

Die dritte Verhaftungswelle richtete sich dann gegen die republikanische Opposition rund um die Tageszeitung Cumhuriyet. Insgesamt 13 Kollegen, darunter der Chefredakteur, sitzen seit Ende Oktober im berüchtigten Gefängnis für politische Gefangene in Silivre. Gegen sie liegt überhaupt noch keine konkrete Beschuldigung vor, ein Ende ihrer U-Haft ist nicht abzusehen. Ihre Haftbedingungen sind skandalös. Sie müssen um jeden Besuch kämpfen und haben keinen Zugang zu Büchern und Zeitungen. Außerdem werden Gespräche mit ihren Anwälten vom Gefängnispersonal aufgezeichnet.

Politisch motiviert

Zuletzt wurde Ende Dezember einer der prominentesten investigativen Journalisten des Landes, Ahmet Şık verhaftet. Für Şık nichts Neues, er saß bereits 2011 ein Jahr wegen seiner journalistischen Arbeit in U-Haft. Damals weil er die zu der Zeit noch mit Erdoğan verbündete Gülen Gemeinde in einem Buch kritisiert hatte; jetzt, weil er angeblich ein Propagandist der Gülen-Terrorbewegung ist.

Am Beispiel von Ahmet Şık wird die Willkür der Vorwürfe besonders deutlich. Die Anklagen haben in der Regel mit der Realität nichts zu tun, sondern sind allein politisch motiviert. Ahmet Şık etwa ist weder Mitglied der Ergenekon-Terrorbewegung, die Gülen einst stürzen wollte, noch ist er heute Propagandist der Gülen-Bewegung. Er gilt als ein Journalist, der den Mächtigen auf die Finger schaut, Korruption und Willkür kritisiert. Deshalb ist er Erdoğan und seiner Regierung wohl ein Dorn im Auge.

Das Verbrechen, das all diesen Journalisten vorgeworfen wird, ist, dass sie sich gegen die Gleichschaltung der türkischen Medien zu reinen Erdoğan-Propagandaorganen gewandt haben. Jürgen Gottschlich

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