Mehr als 650 Kinder allein im vergangenen Jahr getötet

Syrien2016 war das bislang brutalste Jahr für Minderjährige, beklagt das Kinderhilfswerk Unicef

Wer überlebt, hat oft mit psychischen Problemen zu kämpfen Foto: F.: Unicef/ap

BERLIN taz | Sechs Jahre nach Beginn des Konflikts in Syrien hat das Leid der Kinder im Land ein dramatisches Ausmaß angenommen. Immer mehr Minderjährige würden getötet oder als Kindersoldaten rekrutiert, warnt das Kinderhilfswerk Unicef in einer am Montag veröffentlichten Studie. 2016 sei das bislang brutalste Jahr gewesen. Es seien mehr Kinder getötet, verstümmelt oder rekrutiert worden als je zuvor, seit der Konflikt im März 2011 ausbrach und wenig später die bewaffneten Kämpfe begannen.

Der Studie zufolge kamen allein im vergangenen Jahr 652 Kinder ums Leben. Gegenüber 2015 ist das ein Anstieg um 20 Prozent. Fast jedes dritte dieser Kinder sei in oder in der Nähe seiner Schule getötet worden. Insgesamt habe es mehr als 2.500 Fälle von direkter Gewalt und schweren Kinderrechtsverstößen gegeben. Dies, so Unicef, sei vermutlich jedoch nur „die Spitze eines Eisbergs“. Die veröffentlichten Zahlen liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit weit unter dem tatsächlichen Ausmaß, da Unicef nur verifizierbare Fälle öffentlich macht.

Auch die Zahl von Kindersoldaten, die durch bewaffnete Gruppen rekrutiert wurden, lag 2016 laut Unicef weit höher als in den Vorjahren – mit über 850 dokumentierten Fällen habe sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr in etwa verdoppelt.

Insgesamt gingen 1,7 Millionen Kinder wegen des Kriegs nicht in die Schule. Außerdem befänden sich 2,3 Millionen als Flüchtlinge in Syriens Nachbarländern. Beobachter warnen, dass es selbst bei einem Ende der kriegerischen Handlungen im Land Jahrzehnte dauern wird, bis die Folgen des Konflikts überwunden sind. „Das Ausmaß des Leidens ist beispiellos“, sagte Geert Cappelaere, Nahost-Direktor von Unicef. „Jedes der Kinder ist fürs Leben gezeichnet, und das hat furchtbare Folgen für ihre künftige Gesundheit und ihr Wohlergehen.“

Das deutsche Kinderhilfswerk Terre des Hommes wies am Montag zudem auf das Problem der Kinderarbeit hin. 75 Prozent der in Syrien verbliebenen Kinder arbeiteten, um ihre Familien im täglichen Überlebenskampf zu unterstützen. Andere würden von ihren Eltern aus Not an Milizen verkauft.

Erst in der vergangenen Woche hatte die Kinderrechtsorganisation Save the Children vor der psychischen Belastung gewarnt, der Kinder in Syrien ausgesetzt sind. Sprachstörungen, Bettnässen, Albträume, aber auch Drogenmissbrauch durch Minderjährige seien an der Tagesordnung. Als Grund nannte die Organisation psychosomatische Stresssymptome bei Millionen von Kindern. Viele lebten in ständiger Angst vor Gewalt.

Die Zahl der Kindersoldaten habe sich 2016 im Vergleich zum Vorjahr in etwa verdoppelt

Am Dienstag und Mittwoch sollen die diplomatischen Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts in der kasachischen Hauptstadt Astana weitergehen. Die Vertreter der syrischen Aufständischen erklärten jedoch am Montag, dass sie nicht teilnehmen würden, da Angriffe auf Rebellengebiete trotz der seit Ende Dezember geltenden Waffenruhe weitergingen. Für den 23. März ist eine weitere parallel laufende Gesprächsrunde in Genf geplant.

Jannis Hagmann