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Im Wartesaal der Kunst

Kunst Transitreisende im Stipendiatenverkehr stellt die Ausstellung „Hours and Hours of inactivity“ im Neuen Berliner Kunstverein vor. Ein Schwerpunkt liegt auf Langzeituntersuchungen und seriellen Arbeiten

Ausstellungsansicht mit einem von Wolf von Kries gestalteten „Wartebereich“ Foto: NBK/Jens Ziehe

von Tom Mustroph

Kunst ist auch eine Funktion der Zeit. Diese Erkenntnis trägt die Gruppenausstellung „Hours and Hours of Inactivity“ im Neuen Berliner Kunstverein bereits im Titel. Ob sich die Botschaft auch auf die Tätigkeit oder eben Nichttätigkeit der ausstellenden Künstler, die allesamt Empfänger des jährlich vergebenen Arbeitsstipendiums „Bildende Kunst“ des Berliner Senats sind, bezieht, können die elf Stipendiatinnen und Stipendiaten am besten selbst beurteilen.

In einer anderen Lesart weist der Titel auf das Format künstlerischer Langzeituntersuchungen und serielle Ausgabeformen hin. Davon findet sich einiges. Sophie-Therese Trenka-Dalton etwa fotografierte 2011 die verlassenen Räume der irakischen Botschaft in Berlin-Pankow. In den verwüsteten Räumlichkeiten ist noch gut das Wand füllende Poster zu erkennen, das ein Relief der rituellen Löwenjagd des assyrischen Königs Assurbanipal wiedergibt. Der lebte im 6. Jahrhundert vor unserer Zeit in Ninive, einer antiken Stadt auf dem Boden des heutigen Mossul, das gerade wegen der Kämpfe gegen den IS für Schlagzeilen sorgt.

In Trenka-Daltons Foto verbinden sich also historische Linien, die in das alte Assyrien führen, in den Irakkrieg unter Bush junior und dessen Folge, den hemmungslosen Horden des sogenannten Islamischen Staats. Die Künstlerin kontrastiert dieses fotografische Motiv mit einer Videoarbeit über ein gestopptes Immobilienprojekt auf Dubais künstlichem Inselarchipel Palm Jebel Ali. Die ­Bauarbeiten an diesem Komplex wurden im Zug der Finanzkrise 2008 eingestellt. Jetzt sieht man die Fassade, die traditionellen Wüstenschlössern der Region nachempfunden ist und in ihren Dimensionen allerdings auf das Mehrfache ­auf­geblasen ist, verlassen im Sand.

Ins Innere kommend, fallen liegen gelassene Werkzeuge und Baumaterialien auf. Zuweilen ist das Interieur schon komplett: Ornamente und kalligrafische Verzierungen schmücken die Wände. Oft aber sieht man Enden von Kabeln und Plastikrohren von Wänden und Decken herabhängen. Ganze Scharen von Tauben haben den Komplex erobert. Ein Vogelskelett weist daraufhin, dass die Tiere sogar schon zum Sterben an diesen Ort gelangen. Die Videoinstallation „Nakheel Palm Jebel Ali“ inszeniert melancholisch das Ende übersteigerter Immobi­lien­träume.

Mit ingenieursmäßigen Eingriffen in den Stadtraum setzt sich Sandra Schäfer auseinander. In ihrem bereits im Berlinale-Forum 2017 gezeigten Beitrag „Haret Hreik“ stellt sie das gleichnamige Beiruter Stadtviertel vor. Sie lässt Bewohner von den Bombardierungen durch die israelische Armee erzählen. Die Geschichte vom Wiederaufbau, organisiert und finanziert durch die Hisbollah, wird von einzelnen Protagonisten in Beziehung zum israelischen Siedlungsbau gesetzt. Stein für Stein, Haus für Haus ­erscheint hier als Waffe in einem längst alle Bereiche des Lebens erfassenden Ermüdungskriegs.

Gegen diese politisch aufgeladenen Arbeiten haben es die anderen schwer. Bettina Allamodas lange Stoffbahnen, die sonst elegant vom Fesseln und Verbinden, vom Einschnüren und der Balance erzählen, sind zum kontextlosen Raumdekor reduziert. Heidi Sills Plakatserie von Interventionen in den Stadtraum wirken nachgerade harmlos. Sie zeigen, wie einer Skulptur noch eine Skulptur beigesellt ist, eine Fliese entfernt, ein Blick organisiert wird.

Ein Rechteck ist aus der Wand gesägt, dahinter sorgt ein Ventilator für Wind

Zu behaupten vermag sich immerhin Fritz Balthaus’ Eingriff in den Ausstellungsraum. Ein Rechteck ist aus der Wand gesägt, dahinter sorgt ein Ventilator für Wind. „Luftbild“ nennt Balthaus diese sich ebenfalls in der Dimension der Zeit entfaltende Arbeit.

Die Ausstellung leidet etwas darunter, dass das von John Cage in die Kunst eingeführte, in diesem Fall aber eben nicht von ihm angewandte Prinzip des Zufalls die Organisation übernahm. Die elf Stipendiaten wurden schließlich unabhängig voneinander ausgewählt. Die Vielfalt der Stile und Methoden der präsentierten Künstler mag zwar die Diversität der Berliner Kunstszene widerspiegeln. Ein Arrangement, das eine Kommunikation der einzelnen Arbeiten untereinander befördert, hätte der Gruppenschau aber sicher gutgetan.

So ist der n.b.k. kaum mehr als ein Bahnhof der Kunst: Transitreisende im Stipendiatenverkehr sind mal kurz miteinander in Raum und Zeit versammelt, um dann wieder anderen Destinationen zuzustreben.

nbk, bis 30. 4., Di.–So. 12–18, Do. 12–20 Uhr

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